Votum gegen Oligarchen und Populisten

Um die politische Zukunft des Regimes von Präsident Ilcham Alijew steht es nicht zum Besten, wenn in Aserbaidschan gewählt wird – hat doch der Widerstand gegen seine autoritäre Herrschaft deutlich zugenommen.

Um die politische Zukunft des Regimes von Präsident Ilcham Alijew steht es nicht zum Besten, wenn in Aserbaidschan gewählt wird – hat doch der Widerstand gegen seine autoritäre Herrschaft in Aserbaidschan in den letzten Monaten stark zugenommen. Von Vladimir Müller

Aserbaidschans Präsident Ilcham Alijew, Foto: AP
Parlamentswahlen als demokratischer Lackmustest - ob Präsident Alijew es mit fairen und transparenten Wahlen auch wirklich ernst meint, muss sich noch erweisen

​​Es könnte ein reiches Land sein - mit jährlich zehn bis 15 Prozent Wirtschaftswachstum, dank riesiger Ölvorkommen: In Aserbaidschan, der früheren Sowjetrepublik am Kaspischen Meer, sind aber zum märchenhaften Reichtum bisher nur einige Oligarchen gekommen.

Proteste gegen Alijew

Etwa die Hälfte des acht Millionen-Volkes lebt unter der Armutsgrenze, Hunderttausende haben das Land verlassen. Zugleich aber formiert sich Widerstand in dieser säkularen Republik mit 90 Prozent Muslimen: Seit Monaten gehen Tausende auf die Straßen, um gegen das Regime des Präsidenten Ilcham Alijew zu demonstrieren.

Es gab etliche Verletzte und Verhaftete im Vorfeld der Wahlen, die Polizei ging zum Teil brutal gegen Demonstranten vor, wenn sie gleiche Chancen für alle Parteien, Versammlungsfreiheit oder den Rücktritt des Präsidenten forderten. Die Befürchtungen der Opposition: erneute Wahlfälschung durch die regierende Partei "Neues Aserbaidschan" (YAP) wie bei den Präsidentschaftswahlen 2003.

Und auch der Europarat sah Anlass zur Besorgnis: "Die aserbaidschanischen Behörden setzen sich nicht für die Abhaltung demokratischer Wahlen ein, die im Einklang mit den Werten des Europarates stehen", so dessen Bilanz vier Wochen vor den Wahlen.

Späte Einsicht und politische Konzessionen

Politikwissenschaftler, wie Elchan Nurijew von der Universität in Baku, meinen trotzdem, dass Präsident Alijew inzwischen begriffen habe, dass Aserbaidschan jetzt demokratische, transparente und faire Wahlen brauche. Der von den USA und internationalen Organisationen ausgeübte Druck sei dabei hilfreich gewesen.

Einige - bescheidene - Fortschritte sind tatsächlich zu verzeichnen: Für die 125 Parlamentssitze durften sich diesmal mehr als 2.000 Direktkandidaten registrieren lassen, fünf Mal so viele wie bei der letzten Wahl im Jahr 2000. Und ebenfalls nach internationalem Druck werden die Wähler am Sonntag bei der Wahl ihre Finger mit Farbe markieren lassen müssen, um einem Mehrfach-Wählen vorzubeugen.

Andererseits wurde die Opposition in ihrer Arbeit von den Behörden behindert, ihre Versammlungen wurden mit Polizeigewalt auseinander getrieben. Von gleich guten Chancen im Wahlkampf und in den gleichgeschalteten aserbaidschanischen Medien kann keine Rede sein.

Prominente Oppositionelle im Abseits

40 politische Parteien gibt es in Aserbaidschan, die drei führenden Oppositionsparteien haben sich zum Bündnis "Azadliq" ("Freiheit") zusammengeschlossen. Eine herausragende Rolle in diesem Block spielt der Chef der Demokratischen Partei und einstige Parlamentspräsident Rasul Gulijew.

Der Politologe Elchan Nurijew von der Uni Baku glaubt, dass er ein einflussreicher Politiker mit Geld sei: "Dass jetzt unabhängige Leute mit wirtschaftlicher Macht wie Gulijew nach vorne streben, bedeutet für die aserbaidschanische Führung eine Gefahr", so Nurijew. "Diese Führung hält doch die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten im Land fest in ihrer Hand."

Mitte Oktober wollte Gulijew nach seinem zehnjährigen Exil in den USA auf dem Flughafen von Baku landen. Die Behörden verwehrten jedoch dem Privatjet Gulijews die Landung. Kurz darauf wurden mehrere Minister unter dem Vorwurf eines geplanten Staatsstreichs entlassen.

Für Präsident Alijew ist Gulijew ein Krimineller, er habe dem Land mehr als 100 Millionen Dollar gestohlen. Die Opposition wiederum weist auf die seltsamen Machenschaften im aserbaidschanischen Innenministerium hin: Der Leiter der Abteilung für Verbrechensbekämpfung zum Beispiel war selbst Kopf einer Gangsterbande, die sich mit Morden und Entführungen hervorgetan hatte. Mit Hilfe des amerikanischen FBI konnte er vor einigen Monaten überführt werden.

Politischer Vertrauensverlust

Kein Wunder, dass die Menschen in Aserbaidschan wenig Vertrauen in die Politik haben. Der unabhängige Kandidat Balakishi Gasimow meint, dass die Bevölkerung weder mit den Regierungsparteien noch mit der Opposition sympathisiere:

"Das Volk ist müde geworden - von den Demonstrationen und von denen, die sie zusammenschlagen", so Gasimow. "Die Menschen wollen Veränderungen, sie wollen, dass im Parlament mehr Technokraten sitzen und keine Populisten. Sie wollen junge Leute, die nach neuen Lösungen suchen, z.B. gegen die Korruption, und die ihre Fähigkeiten zum Wohle des Landes einsetzen."

Der 27-jährige Wirtschaftsberater Gasimow steht wohl selbst für diesen neuen Politikertyp. Mehr als 1.000 Haushalte habe er während des Wahlkampfes besucht - Wahlkampfwerbung in den Medien ist nur für Parteien gratis.

So versucht er, den potenziellen Wählern sein Programm zu erläutern. Er wolle helfen, Bedingungen für eine liberale Wirtschaftspolitik zu schaffen, die Kleinunternehmer und den Mittelstand fördert. "Der Mittelstand soll zum Rückgrat der Wirtschaft werden, der soziale Bereich muss verändert werden", sagt Gasimow.

Öl und Gas als Wirtschaftsfaktoren

Bisher bezieht die Wirtschaft in Aserbaidschan ihr Entwicklungspotential fast ausschließlich aus den Öl- und Erdgasvorkommen des Landes, die sich hauptsächlich unter dem Kaspischen Meer befinden.

Ende Mai wurde in Baku mit Hilfe von anglo-amerikanischen Investoren die mit 1.800 Kilometer längste Öl-Pipeline der Welt eröffnet - sie führt über Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Das Drei-Milliarden-Dollar-Projekt lässt die Erschließung der Ölproduktion in Aserbaidschan geradezu explodieren.

Politisch bedeute dieses Projekt nachhaltige Stabilität, meint Elchan Nurijew aus Baku, der davon überzeugt ist, dass sowohl die USA, als auch Russland an einer Stabilität in Aserbaidschan interessiert sind. Mit großen politischen Umbrüchen - wie vor einem Jahr in der Ukraine oder davor in Georgien und Kirgisien - rechnen die politischen Beobachter in Baku nicht.

Und auch der Westen scheint eher auf den jetzigen Machthaber gesetzt zu haben - vorausgesetzt, es finden keine Wahlfälschungen statt und der ausufernden Korruption wird ein Riegel vorgeschoben. Denn noch immer gehört Aserbaidschan zu den zehn korruptesten Staaten der Welt.

Vladimir Müller

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005