Peter Philipp, 29. Oktober 2005

zu: Johannes Kandel's Kritik am Artikel Debatte über deutsche Leitkultur

Sehr geehrter Herr Dr. Kandel,

leider demonstrieren Sie durch Ihre Zuschrift an Qantara.de eben das, weswegen ich gegen die Erneuerung der "Leitkultur"-Debatte argumentiere:

Sie greifen sich (einige) Extremisten heraus, denen Sie empfehlen, woanders zu leben , wenn sie sich hier nicht integrieren wollen. D'accord: Wer sich in einem anderen Land nicht ("wenigstens ein bisschen")integrieren will, der sollte sich dort nicht auf Dauer niederlassen. Das gilt für Zuwanderer in Deutschland wie für Deutsche anderswo. "Ein bisschen"? Ich glaube nicht, dass ein Türke oder ein Araber in Deutschland unbedingt Mitglied im Kegelklub werden muss, um seine Integration zu demonstrieren.

Ebensowenig wie durch besagte Lederhose oder den Gamsbart: Sie finden solche Äußerlichkeiten abwegig? Viele in Deutschland tun das offenbar nicht. Wie sonst hätte es zur Kopftuch-Debatte und dann zur Kopftuch-Gesetzgebung kommen können, bei denen Menschen doch eben an solchen Äußerlichkeiten gemessen und beurteilt wurden - an dem, was sie AUF dem und nicht IM Kopf tragen?

Sie definieren dann die "deutsche Leitkultur" als politische Basiskultur mit uneingeschränkter Akzeptanz der Menschenrechte und Trennung von Staat und Kirche: Es gibt keine einheitlich gültige Definition dieses Begriffes. Und weil jeder in ihn hinein interpretiert, was ihm gerade passt, finde ich es nicht gut, die Diskussion darüber wieder zu beleben.

Dies würde nur zu neuem Streit, zu neuer Polarisierung führen. Beides brauchen wir nicht und die Integration von Zuwanderern würde dadurch auch nicht gerade erleichtert. Zumal die Dinge doch auch den von Ihnen zitierten Bereichen klar sind und keiner Diskussion bedürfen: Menschenrechte und säkulares System sind GESETZLICH festgelegt. So wie die Schulpflicht oder die Verkehrsregeln. Und das Gesetz ist für alle da: Einheimische, Zugewanderte oder auch nur Besucher. Mit "Kultur" hat das nichts zu tun, mit "deutscher Leitkultur" schon gar nicht. Dieselben Regeln gelten ja auch anderswo in Europa.

Sie empfehlen schließlich Zuwanderern, sich etwas mehr mit Geschichte und politischer Kultur Deutschlands zu beschäftigen: Das wäre sicher nützlich. Kann man das aber zur Voraussetzung machen für ein Leben in Deutschland? So, wie man jetzt (vergeblich) versuchte, perfekte Deutsch-Kenntnisse vorzuschreiben? Das kann's ja wohl nicht sein. Wohin dann mit all den Einheimischen, die nichts davon wissen?

Mein Plädoyer war das einer menschlichen und verständnisvollen Annäherung von Einheimischen und Zuwanderern. Offenheit und Interesse auf beiden Seiten. Dann wird INTEGRATION erleichtert. Diese darf aber nicht mit ASSIMILATION verwechselt werden. Jeder Mensch soll sein Recht auf Eigenart haben und behalten. Wir haben Vielfalt unter den Einheimischen - warum sollten dann Zuwanderer nach Kriterien irgendeiner "deutschen Leitkultur" über den assimilatorischen Kamm geschert werden?

Mit freundlichen Grüßen

Peter Philipp