Stephan Milich zu "Was bleibt von den Arabern" von Stefan Buchen
Das Thema des Beitrags ist sicherlich noch immer oder heute mehr denn je relevant, Dichter wie Saadi Yusuf und Muhammad al-Maghut haben oft in ihren Gedichten die Frage aufgeworfen, was arabisch eigentlich heißt, zwischen persönlicher und kollektiver Identität und oft gespiegelt im Prisma des Exils. Mahmud Darwish hat in der Analogie zu den vom weißen Mann zumindest identitär ausgerotteten BewohnerInnen Nordamerikas ebenfalls anhand Palästinas diese Frage postkolonial bearbeitet, sein Gedicht Rede des Indianers ... aus dem Band 11 Sterne ist viel zu wenig bekannt in Deutschland. Für mich gibt Darwisch in seiner Lyrik auch Antworten oder zumindest Ansatzpunkte für eine arabische Identität in Würde, selbstbehauptet, ohne aber Identität als statisch zu begreifen. Ein neuer distopischer Roman, der sich noch viel mehr mit der Frage nach dem Aussterben der Araber beschäftigt als der von Shakir Nuri, ist Wasini Al-A'rag's "2084 Hikayat al-arabi al-akhir" - leider ist in D eher ein Boualam Sansal bekannt als Nuri oder Al-A'raj, weil plumpe Distopien, die kulturalistisch mit dem Islam als Hauptproblem argumentieren, sich viel besser verkaufen... leider wird in dem Beitrag nicht diskutiert, ob durch die Europäisierung der Welt nicht jede nicht-(west)europäische Region und Gesellschaft im Laufe des 19. und 20. Jh ihre "alte" kulturelle Identität (zumindest teilweise) aufgeben musste, um in der heutigen Welt, geprägt von Nationalstaaten, Konsum, Konkurrenzdenken, Individualismus etc. da hilft es auch nicht, Identität als dynamisch zu begreifen und zusagen - egal ob eine Gemeinschaft untergeht, ist ja alles dynamisch - , denn die Interventionen des "Westens" haben vorhandene Strukturen gewaltsam und unrechtmäßig verändert, nicht nur in arabisch geprägten Regionen...
Außerdem ist es problematisch, Länder wie den Irak etc. immer nur als arabisch zu sehen, was ist mit der kurdischen, yazidischen, turkmenischen, berberischen, tscherkessischen, armenischen assyrischen usw Identität... hier brauchen wir eine genauere Sprache, ohn politisch instrumentalisiert werden zu können; und zu guter Letzt: Irak und Palästina und heute Syrien, Yemen und Libyen sind nur teilweise paradigmatisch für den Zustand der "arabischen Welt", die Kulturproduktion und die Kulturwissenschaften fokussieren eben sehr stark auf Themen wie Gewalt, Trauma etc. deshalb ist es eine ernstzunehmende Herausforderung, diese Aspekte zu erforschen - ihnen den angemessenen Raum einzuräumen, ohne das ganze Bild, andere Lebenswelten und Phänomene nicht aus dem Blick zu verlieren - auch wenn es in der zeitgenössischen arabischen Literatur und im Film eine starke Tendenz zu solchen Themen gibt. Die sicher vielfältigen Gründe hierfür zu erforschen wäre eine relevante Aufgabe.