Libanons Kampf gegen das Vergessen

Nach dem libanesischen Bürgerkrieg fielen in Beirut viele Bauwerke der Abrissbirne zum Opfer. Doch Denkmalschützer retteten einzelne Gebäude, wie das "gelbe Haus", das nun das Museum für Stadtgeschichte werden soll.

By Martina Sabra

Wer durch das wieder aufgebaute Stadtzentrum Beiruts zum SODECO-Einkaufszentrum spaziert, der kann zur Zeit leicht übersehen, welch wertvolle alte Bausubstanz sich direkt am Weg befindet.

Eines der wichtigsten architektonischen Kulturdenkmäler der Stadt, das so genannte "Gelbe Haus" der Barakat-Familie, ist für die Öffentlichkeit geschlossen und weitgehend verhüllt.

Die Beiruter Stadtverwaltung hat mit dem geschichtsträchtigen Jugendstilbau Großes vor: Bis 2012 soll hier das erste Museum für die Geschichte der Stadt Beirut entstehen, das "Bait al-Madina" (Haus der Stadt).

Rauschende Feste und Diplomatie

Das stark mitgenommene Gebäude blickt auf glanzvolle Jahre zurück. Seit der Errichtung durch den berühmten libanesischen Architekten Youssef Aftimos in den 1920er Jahren, hatten Generationen gut betuchter Beiruter Oberschichtsfamilien in dem Haus gearbeitet und gelebt.

Man feierte dort rauschende Feste, lokale Politprominenz und internationale Diplomaten gaben sich die Ehre.

Mit dem Beginn des Bürgerkrieges im Jahr 1975 wurde das "gelbe Haus" wegen seiner strategisch bedeutsamen Lage auf der "Berührungslinie" zwischen Ost- und Westbeirut zunehmend zu einem Ort bewaffneter Auseinandersetzungen.

Heckenschützen besetzten das Haus, von dem aus ganze Straßenzüge und Stadtviertel eingesehen werden konnten. Als der Krieg 1989 zuende ging, war die Bausubstanz von zahlreichen Schießereien stark beschädigt.

Zurück in die Vergangenheit

Dass das Haus dennoch nicht abgerissen wurde, ist der engagierten Beiruter Architektin Mona Hallak zu verdanken. Im Jahr 1994 begann sie bei einem ihrer Streifzüge mit der unabhängigen Denkmalschutzorganisation APSAD,das Haus zu erkunden.

"Viele hatten Angst, das Haus zu betreten, wegen möglicher Blindgänger", erinnert sich Hallak. "Doch ich musste einfach hinein. Es war unglaublich faszinierend, vor allem weil alles so aussah, als seien die Bewohner erst Stunden zuvor gegangen."

Hallak zieht einige großformatige Fotos aus der Tasche: "Schauen Sie hier, einer der Wohnungseigentümer war Zahnarzt. Der Behandlungsstuhl stand noch an seinem Platz, als ich zum ersten Mal das Haus betrat. Über und über mit Staub bedeckt, aber voll funktionsfähig. In den Schubladen seiner Schränke lagen persönliche Briefe von prominenten libanesischen Politikern."

Außergewöhnliche Rettungsaktion

Trotz seiner kulturhistorischen Bedeutung stand das Barakat-Haus in den 1990er Jahren mehrmals kurz vor dem Abriss. 1997 gelang es Mona Hallak in buchstäblich letzter Minute, die Zerstörung zu verhindern.

Während die Bauarbeiter bereits dabei waren, die wertvollen Fliesenböden herauszureißen, startete Hallak eine außergewöhnliche Rettungskampagne. Sie sammelte Unterschriften, verfasste Petitionen ans Parlament und an die Stadtverwaltung, mobilisierte Unterstützung im In- und Ausland.

Schließlich gelang es Hallak, die Entscheidungsträger zu überzeugen: Im Sommer 2003 ordnete die libanesische Regierung an, das Gebäude der Stadtverwaltung von Beirut zu übereignen und es in ein Museum umzuwandeln. Doch die allgemeine politische Unsicherheit und bürokratische wie finanzielle Hindernisse verzögerten das Projekt.

Undurchsichtige Auftragsvergabe

Jetzt hat die Stadt Beirut einen neuen Anlauf gestartet. Die Stadtverwaltung von Paris hat Hilfe bei der Finanzierung und bei der inhaltlichen Gestaltung zugesagt. So wurde eine Ausstellung mit den wichtigsten Fundsachen aus dem Gebäude organisiert.

Im September 2009 soll mit Hilfe einer Konferenz die Öffentlichkeit in die Debatte über die inhaltliche Ausgestaltung einbezogen werden. Und es wurde nach langem Hin und Her ein Architekturbüro beauftragt, das die Restaurierung und den Umbau des Barakat-Hauses planen soll.

Mit dem Prozedere sei sie nicht ganz glücklich gewesen, sagt Mona Hallak. "Die Auswahl erfolgte nicht durch einen Wettbewerb, sondern willkürlich." Doch trotz leiser Kritik sei sie letztendlich froh, dass das Haus nun endgültig für die Öffentlichkeit gerettet werden konnte.

Ein Stadtmuseum für Beirut

Laut gegenwärtigem Zeitplan soll das Museum für die Stadtgeschichte von Beirut seine Pforten im Jahr 2012 für die Allgemeinheit öffnen. Unklar ist noch, welchen Raum der Bürgerkrieg bei der inhaltlichen Gestaltung des Museums einnehmen soll.

Einige Politiker würden dieses Thema am liebsten ganz außen vor lassen. Andere finden es selbstverständlich, dass das 15 Jahre währende kollektive Trauma mit hunderttausenden Toten sowie die fast vollständige Zerstörung des alten Beiruter Stadtkerns in einem Museum reflektiert werden.

Mona Hallak will sich auf jeden Fall weiter engagieren: dafür, dass beim anstehenden Umbau die Spuren des Bürgerkrieges nicht verwischt werden, sondern in angemessener Weise sichtbar bleiben.

Martina Sabra

© Deutsche Welle 2009

Qantara.de

Fotoausstellung "Missing" in Beirut
Libanons Schatten der Vergangenheit
Noch immer lastet das Erbe des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 schwer auf dem Zedernstaat. Mit einer Fotoausstellung in Beirut wollen jetzt verschiedene Initiativen auf das Schicksal der Verschwundenen aufmerksam machen und die Vergangenheitsbewältigung fördern. Arian Fariborz informiert aus Beirut.

Der libanesische Bürgerkrieg
Erinnern und Verarbeiten
Am 30. Jahrestag des Ausbruchs des libanesischen Bürgerkriegs im Jahr 1975 initiierte die libanesische Organisation Umam D&R ein Projekt zur kollektiven Erinnerung für Jugendliche. Bernhard Hillenkamp sprach mit Teilnehmern und Verantwortlichen.

Wiederaufbau und Neuordnung im Südlibanon
Taten statt Worte
Viele Libanesen betrachten das UN-Mandat als ersten Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Frieden und zum Wiederaufbau des Landes. Doch die Skepsis bleibt, dass die staatlichen und internationalen Bemühungen nur schleppend vorangehen. Von Bernhard Hillenkamp