"Warum lasten wir alles der Religion an?"

Wegen seines Engagements für ökologische Nachhaltigkeit, Versöhnung und Dialog zwischen den Religionen und Kulturen wurde Prinz Hassan von Jordanien mit dem Abraham Geiger Preis 2008 ausgezeichnet. Nasser Jubara und Bassam Rizq haben sich mit Prinz Hassan über die Realität des Dialogs und neue Ansätze der Kooperation jenseits der Kulturgrenzen unterhalten

Sie betrachten den Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden als Notwendigkeit. Könnten Sie uns für einen solchen Dialog ein praktisches Beispiel aus der islamischen Welt geben?

Prinz Hassan: Ein konkretes Beispiel für eine solche Kooperation ist der Bau einer Schule in Ruanda durch jüdische Freiwillige, die ihr Vorhaben mit der ruandischen Regierung, aber auch mit dem Mufti des Landes abgesprochen haben. Solche und ähnliche Projekte werden von Friedensgruppen in verschiedenen Teilen der Welt betrieben. Und wenn wir vom historischen Palästina reden, kann ich mit Stolz sagen, dass ich mit 125 NGOs Friedensarbeit betreibe. Wir setzen uns für einen Stopp des Baus der israelischen Trennmauer des Hasses ein und arbeiten an einer positiven Sicht auf die Menschen. Ich betrachte die negative Lage im Gaza-Streifen und im besetzten Palästina als eine Form der Eskalation zwischen zwei Seiten, die jeweils an militärische Lösungen glauben. Momentan versuchen wir, eine weitere Spaltung und eine Verschärfung des Konflikts auf religiöser und konfessioneller Grundlage in der Region zu verhindern.

Sie stehen bekanntermaßen gegen die Theorie des Kampfes der Kulturen. Gibt es dennoch einen solchen Kulturkonflikt, und auf welcher Ebene?

Prinz Hassan: Meiner Meinung nach gibt es eine einzige Weltkultur, die sich durch die Menschheitsgeschichte zieht und von der wir ebenso profitieren, wie wir ihr geben. Der zivilisatorische Maßstab besteht in dem kulturellen Reichtum, den wir in seiner Vielfalt erhalten müssen. Dies ist ein Ziel, dem sich die Menschen überall verpflichtet sehen sollten. Wir stehen für den Respekt vor kulturellen Unterschieden und schätzen Religiosität.

Die Kulturen, von denen wir sprechen, sind die Kultur des Friedens und eine Kultur der verantwortungsvollen Teilhabe und eines Staatsbürgertums fern von Egoismus. Isolation und Abwehrhaltung wecken feindliche Gefühle gegenüber dem Anderen und schaffen ein Sicherheitsproblem. Daraus entsteht lediglich Hass sowie Profit für die Waffenindustrie. Friedlichkeit, Kooperation und Toleranz auf der Grundlage gegenseitigen Respekts entstehen nur auf der Grundlage entsprechender Schulbildung.

Daher begrüße ich die europäischen Programme zur Unterstützung des Dialogs, denn wir streben nach einer Weltstaatsbürgerschaft, die der materiellen, nur der Bourgeoisie dienenden Globalisierung etwas entgegensetzt. Vier Milliarden Menschen auf der Erde leiden unter materieller Not. Hier kann die Religion ansetzen, aber nicht nur als Erbauung für die Gläubigen, sondern indem sie Wissenschaft und praktisches Arbeiten propagiert. Die Gläubigen sollten sich für den Bau von Krankenhäusern und Schulen und für wohltätige soziale Arbeit einsetzen.

Welche Verantwortung kommt den westlichen und muslimischen Medien zu, um Vorurteile und Stereotypen auf beiden Seiten abzubauen?

Prinz Hassan: In Bezug auf die herabwürdigenden Mohammed-Karikaturen sage ich ausdrücklich, dass der Islam als Zivilisation und als Glaube und Wertesystem zu erhaben ist, um durch Bilder oder sonstige primitive Beleidigungen beschädigt zu werden. Ebenso betone ich, dass die Veröffentlichung solcher Boshaftigkeiten in den Medien dem sozialen Frieden auf der Welt nicht dienlich ist. Die Profiteure solcher Aktionen sind nicht die benachteiligte schweigende Mehrheit, sondern "Religionsprivatiers", die den Glauben für politische Anliegen und persönliche Zwecke instrumentalisieren. Man müsste das Positive statt das Negative hervorheben.

Wer verweist denn z.B. auf die Zusammenarbeit des katholischen Kirchenrats in Kambodscha und Thailand mit dem Asiatischen Muslimrat für die Hilfe zugunsten von Kindern, die Opfer von Sklavenhandel wurden? Die Rolle der Medien besteht in einer Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft gegen Extremismus und gegen die Verschleierung der Wahrheit. Medien können in hohem Tempo auch solche Bilder transportieren, die vom Klischee abweichen. Die Version der Presse ist nicht immer die einzig richtige.

Sie rufen zur Zusammenarbeit der Kulturen und der Religionen auf. Genügt das, um die Gräben und Konflikte zwischen den Menschen zu verringern?

Prinz Hassan: Manche Menschen rufen zur Trennung von Kirche und Staat auf. Mir wäre es lieber, wenn die religiösen Instanzen sich über die Tagespolitik erheben und keine politischen Programme vertreten würden. Die Religion ist für Gott da, das Land für alle, wie wir sagen. Ein britischer Historiker sagte einmal, dass falsch verstandener Patriotismus eine Verdrehung geschichtlicher Tatsachen und künstlichen Hass unter Nachbarn bewirken könne. Wir können wählen zwischen rationaler Koexistenz auf der Grundlage übergeordneter, gemeinsamer Interessen hinsichtlich der Respektierung der Unterschiedlichkeit als Ausdruck von Zivilisation und weiterer blutiger Konfrontation unter Ausschaltung des Verstandes.

Sie haben in Berlin die Auszeichnung des jüdischen Denkers Abraham Geiger für Ihre Bemühungen um den Dialog zwischen den Kulturen entgegengenommen. Deutschland ist das Land des Reformers Martin Luther. Brauchen auch die Muslime einen Martin Luther?

Prinz Hassan: Die lutherische Reform führte zunächst zu Blutvergießen zwischen der neuen Konfession und der katholischen Kirche. Ich möchte an die Weisheit des Scheich Sahrawardi erinnern, der sagte: Die Sonne geht im Osten auf, und insofern glaube ich, dass die Reform und die Erneuerung, die wir uns erhoffen, von uns selbst kommen müssen. Wir müssen das Prinzip der Shura (Beratung) wiederbeleben und die verschiedenen islamischen Rechtsschulen ebenso zusammenbringen wie Sunniten und Schiiten. Ich würde mir wünschen, dass eine solche Zusammenkunft in Mekka stattfände, damit sie auf die immer weiter wachsenden Gruppen ausstrahlen kann, die im Namen der Religion auftreten.

Die islamisch-jüdische Geschichte war jahrhundertelang von Ruhe und Frieden geprägt, was nicht in allen Kulturen gelang. Muslime und Juden waren gleichermaßen Opfer der Inquisitionsgerichte und flohen ins Osmanische Reich. Es würde uns auch nicht schaden, im Rahmen eines Gesprächs unter Gläubigen in einen Dialog mit dem Judentum in der Welt zu treten.

Glauben Sie nicht auch, dass politische Konflikte, insbesondere im Irak, in Palästina und Afghanistan den Dialog der Kulturen beeinträchtigen?

Prinz Hassan: Genau darum geht es! Warum lasten wir alles der Religion an? Der Dialog zwischen Schöpfer und Mensch basiert auf Überzeugungen. Alles, was wir heute an "Dialog der Gehässigkeiten" erleben, ist menschengemacht.

Interview: Nasser Jubara und Bassam Rizq

© Qantara.de 2008

bersetzung aus dem Arabischen: Günther Orth

Prinz Hassan ist Präsident der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden und des Club of Rome und zählt zu den wichtigsten Fürsprechers des Dialogs der Kulturen.

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