Integration ist besser als ihr Ruf

In den deutschen Medien kommen Migranten meist als Bildungsversager, Kleinkriminelle, Sozialhilfeempfänger, Islamisten oder U-Bahn-Schläger vor. Das aktuelle Jahresgutachten des Sachverständigenrats für Integration und Migration wirft einen Blick auf den Alltag der Einwanderungsgesellschaft und stellt Deutschland in Sachen Integration ein überraschend gutes Zeugnis aus. Von Holger Moos

Junge  Migranten vor Deutschlandfahne; Foto: dpa
Integration in Deutschland funktioniert: Die Ergebnisse des Gutachtens stehen in krassem Gegensatz zu den medialen Horrorszenarien einer angeblich auf breiter Front gescheiterten Integration.

​​2008 wurde der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) von acht unabhängigen Stiftungen ins Leben gerufen. Vorsitzender ist der renommierte Migrationsforscher Klaus J. Bade.

Im Mai 2010 veröffentlichte der Sachverständigenrat sein erstes Jahresgutachten mit dem Titel Einwanderungsgesellschaft 2010. Es basiert auf einer repräsentativen Befragung von 5.600 Personen mit und ohne Migrationshintergrund.

Pragmatischer Integrationsoptimismus

Die Ergebnisse des Gutachtens stehen in krassem Gegensatz zu den medialen Horrorszenarien einer angeblich auf breiter Front gescheiterten Integration. Der Alltag in der deutschen Einwanderungsgesellschaft ist geprägt von "pragmatischem Integrationsoptimismus". Zwei Drittel aller Befragten sagen, sie seien an der Integration von Zuwanderern interessiert.

Eine entscheidende Grundlage des sozialen Friedens in einer Einwanderungsgesellschaft ist Vertrauen. Laut der Studie herrscht ein "belastbares gegenseitiges Grundvertrauen" zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern. Migranten vertrauen den Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung sogar mehr als diese sich selbst.

Klaus Bade; Foto: Universität Osnabrück
Migrationsforscher Klaus Bade: Eine Einwanderungsgesellschaft sei von vielschichtigen sozialen und kulturellen Prozessen geprägt, die sowohl die Zuwanderer als auch die Mehrheitsbevölkerung veränderten.

​​Die subjektive Einschätzung des Integrationsalltags fällt ebenfalls überwiegend positiv aus. So fühlen sich mehr als 95 Prozent der Migranten in Deutschland "sehr wohl" oder "eher wohl". Mehrheitsgesellschaft wie Zuwanderer empfinden die deutsche Integrationspolitik der letzten Jahre als integrationsförderlich, nur zehn bis 15 Prozent beurteilen sie negativ.

Erlebte Diskriminierung ist unter den Zuwanderern weniger verbreitet als erwartet. Am häufigsten machen türkische Zuwanderer Diskriminierungserfahrungen, vor allem in der Schule, in der Arbeitswelt und in Behörden.

Die Erwartungen an Zuwanderer in puncto Integration sind bei Zuwanderern und bei der Mehrheitsbevölkerung ähnlich: Die Migranten sollen sich um Arbeit bemühen, Deutsch sprechen, einen guten Bildungsabschluss anstreben, die hiesigen Gesetze beachten und Freundschaften mit Deutschen schließen.

Im Gegensatz zu den Diskursen in Politik und Medien wird von den Zuwanderern selten erwartet, dass sie religiöse und kulturelle Lebensweisen aufgeben und besonderes Interesse an deutscher Kultur und Geschichte zeigen. Auf die Forderung nach kultureller Assimilation wird also weitgehend verzichtet.

Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland relativ gut ab. Zwar sind Zuwanderer im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung einem anderthalbfach höheren Risiko der Arbeitslosigkeit ausgesetzt, aber in anderen europäischen Ländern ist dieses Risiko bis zu vier Mal so hoch.

Im Mainstream angekommen

Allein die Feststellung, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, sorgte noch vor wenigen Jahren für politischen Zündstoff. Mittlerweile sind Migration und Integration politische Mainstream-Themen.

Agentur für Arbeit; Foto: AP
Die Umfrage ergab, dass am häufigsten türkische Zuwanderer Diskriminierungserfahrungen machen, vor allem in der Schule, in der Arbeitswelt und in Behörden.

​​Selbst Politiker der CDU, die traditionell mehrheitlich darauf beharrten, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, sehen zunehmend "Zuwanderung als Chance" – so der Untertitel des 2009 erschienenen Buches "Die Aufsteigerrepublik" des nordrhein-westfälischen CDU-Politikers Armin Laschet.

Für Klaus J. Bade ist eine Einwanderungsgesellschaft von vielschichtigen sozialen und kulturellen Prozessen geprägt, die sowohl die Zuwanderer als auch die Mehrheitsbevölkerung verändern. Es entstünden neue Identitäten, alte wandelten sich. Das gesellschaftliche Leben werde immer komplexer.

Auch wenn die Wanderungsbilanz in den letzten Jahren mehr oder weniger ausgeglichen ist, wächst der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund aus demografischen Gründen, weil Zuwanderer durchschnittlich jünger sind und mehr Kinder bekommen. Deshalb ist es nach Bade "Bürgerpflicht, ein gewisses Maß an Unübersichtlichkeit als Normallage ertragen zu lernen".

Baustelle Bildung

Doch das Jahresgutachten zeigt auch Probleme auf. Besonders im Bildungsbereich herrsche nach wie vor keine Chancengleichheit. Es gebe ein "Integrationsparadox". Theoretisch befürworten fast alle Befragten die Forderung nach Gleichberechtigung im Bildungssystem. Die Mehrheit der Befragten macht auch positive Erfahrungen mit ethnisch heterogenen Schülerschaften. Dennoch werden Schulen mit einer solchen Schülerschaft als weniger leistungsfähig eingeschätzt.

Kanzlerin Merkel mit Migrantenvertretern auf dem Integrationsgipfel; Foto: AP
Der Migrationsbericht bescheinigt dem deutschen Bildungssystem eine strukturelle Benachteiligung von Zuwanderern und warnt vor hieraus resultierenden Belastungen für den Arbeitsmarkt und einer möglichen Gefährdung des sozialen Friedens.

​​Insbesondere bildungsorientierte und einkommensstarke Eltern mit und ohne Migrationshintergrund schicken ihre Kinder deshalb seltener auf Schulen mit hohem Zuwandereranteil. Dadurch komme ein "sich selbst verstärkender bildungspolitischer Teufelskreis in Gang".

Da der Bildungserfolg in Deutschland immer noch stark an die soziale Herkunft gekoppelt ist, und Zuwanderer sich im Durchschnitt in einer schlechteren sozialen Lage befinden als Personen ohne Migrationshintergrund, liegt es nahe, ihr vergleichsweise schlechtes Abschneiden in der Schule alleine damit zu erklären.

Doch es besteht auch unabhängig von der sozialen Herkunft ein Zusammenhang zwischen ethnischer Herkunft und geringerem Bildungserfolg. Der Migrationsbericht bescheinigt dem deutschen Bildungssystem eine strukturelle Benachteiligung von Zuwanderern und warnt vor hieraus resultierenden Belastungen für den Arbeitsmarkt und einer möglichen Gefährdung des sozialen Friedens.

Für den großen Problembereich Bildung empfiehlt das Jahresgutachten eine "Bildungs- und Qualifikationsoffensive" für Migranten. Angesichts der schrumpfenden und alternden deutschen Bevölkerung fordern die Migrationsforscher eine aktive Zuwanderungspolitik, die Deutschland für junge, gut qualifizierte Zuwanderer attraktiver macht. Zuwanderung sei jedoch kein "alleiniges Allheilmittel gegen den demografischen Wandel".

Holger Moos

© Goethe Institut 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

Qantara.de

Studie "Muslimisches Leben in Deutschland"
Integration statt Abgrenzung
Die Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge macht deutlich, dass die soziale Integration von Muslimen besser ist als vielfach angenommen. Defizite bestehen hingegen nach wie vor bei der Schulbildung und beim Bildungsaufstieg. Sonja Haug fasst die Ergebnisse der Studie zusammen.

Kommentar zur Studie "Ungenutzte Potenziale"
Integration ist keine Einbahnstraße
Die Studie "Ungenutzte Potenziale" des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung sorgt in letzter Zeit mitunter für Unmut. In ihrem Kommentar kritisiert die Soziologin und Migrationsexpertin Soraya Moket insbesondere die Annahme von einer "Homogenität der Ethnien".

Medien und Integration
Politik als Korrektiv der vierten Gewalt
Während sich Spitzenpolitiker hierzulande um neue Wege der Integration von Migranten bemühen, entpuppen sich Journalisten zunehmend als eine Ansammlung enthemmter Kleinbürger. Die Politik als Korrektiv der vierten Gewalt – eine Paradoxie der deutschen Geschichte, meint Eberhard Seidel.