Zwischen humanistischer Fiktion und rauer Realität
Dem ägyptischen Regisseur Ibrahim El Batout ist mit "Ein Shams - Eye of the Sun" auch ohne Hilfe der Behörden ein bewegender und zeitnaher Spielfilm gelungen, der die Bewohner eines ärmeren Viertels in Kairo in den Mittelpunkt rückt. Amin El-Arousi hat den Film gesehen.
Eines der ältesten Viertel Kairos heißt "Ein Shams", übersetzt "das Auge der Sonne". Für Außenstehende bedeutet dieser Teil der unüberschaubaren Metropole "Heliopolis", aber wer hier keinen kennt, verirrt sich auch nicht hierher.
Weit weg sind in diesem ärmeren Bezirk der ägyptischen Hauptstadt die Attraktionen der Hochglanzbroschüren aus den Reisebüros.
"Ein Shams - The eye of the Sun" ist auch der Titel eines Spielfilms, der seit kurzem in den ägyptischen Kinos läuft und in mancher Hinsicht bemerkenswert ist. Er wurde unabhängig, das heißt an den Behörden vorbei produziert.
Kein Dreh ohne Genehmigung
Die Einwilligung der Zensur ist jedoch obligatorisch. Schon das zu realisierende Drehbuch wird im Normalfall geprüft, doch gestaltete sich dies in diesem Fall schwierig, da in dem Film viel auf Improvisation vertraut wurde.
Nach wie vor wird ein Film erst dann zu einem wirklichen ägyptischen Film, wenn das Drehbuch zuvor zur Prüfung bei der Zensur eingereicht wird, wenn die Dreharbeiten an den Originalschauplätzen vom Innenministerium genehmigt sind und wenn der abgeschlossene Film schließlich von der Zensur für die Kinoauswertung frei gegeben wird. Und dann müssen sogar noch die Gewerkschaften "ihren Segen" erteilen.
Allein mit der ersten Vorgabe taten sich El Batout und sein Autor Tamer El Said schwer, entstand das Drehbuch doch im Zusammmenspiel mit den Dreharbeiten.
Die Frage nach einer Genehmigung für die zahlreichen Außenaufnahmen stellte sich erst gar nicht, da sie ohne vorherige Freigabe der Zensur ohnehin nicht zu erhalten gewesen wären.
Dokumentarfilme aus Kriegs- und Krisenregionen
Der ägyptische Regisseur Ibrahim El Batout hat vorher erst einen Spielfilm gemacht, aber schon viele preisgekrönte Dokumentarfilme. Er drehte bevorzugt in Krisen- und Kriegsregionen, war im Irak, im Sudan und im Kosovo.
Er berichtete über erfolgreich verlaufende militärische Operationen und über deren verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Allein dieser um Ausgewogenheit bemühte Ansatz darf, wenn nicht als Einzelfall, so doch als Ausnahmefall im aktuellen ägyptischen Spielfilm gelten.
Auf die Idee, einen Film über die Bewohner "Ein Shams" zu machen, wurde El Batout von seinem Kollegen Mohamed Abdel Fatah gebracht. Im Zentrum der Erzählung, die El Batout mit dem Autoren Tamer El Said erarbeitet hat, steht nicht nur eine Riege kaleidoskopisch miteinander verbundener Protagonisten. Das Viertel selbst rückt in den Fokus der filmischen Handlung.
Eine der vielen Darsteller ist die elfjährige Shams (Hanan Adel). So gern sie in Fantasiewelten flieht - besselt ist sie vor allem von dem Wunsch, einmal die Grenzen ihres Viertels hinter sich zu lassen, nach Downtown zu kommen, ins Kairoer Zentrum um den Tahrir-Platz – eine Welt, von der sie weiß, dass sie nur wenige Kilometer entfernt existiert, für sie jedoch unerreichbar bleibt.
Shams wird an Leukämie sterben. Sie ist ein Opfer der erhöhten Radioaktivität in Folge des massenhaften Einsatzes bunkerbrechender Bomben im Irak. Es gibt wissenschaftliche Belege für diesen Zusammenhang. Und solche dagegen. Das ist ein Thema des Films, wenn auch nicht das einzige. Die Tragödie des sterbenden Mädchens steht unvermittelt neben der Geburt eines anderen.
Erzählstränge im Spiegel von Wirklichkeit und Fiktion
Am Anfang des Films, nachdem das Stadtviertel über den Taxifahrer Ramadan (gespielt von Ramadan Khater) eingeführt ist, reist die Ärztin Mariam (gespielt von Mariam Albodouma) in den Irak, um Aufklärung über mögliche Wechselwirkungen zu gewinnen.
Man sieht Dokumentarfilmaufnahmen El Batouts, Interviews, die in einem Krankenhaus geführt wurden und Reste ziviler Infrastruktur. Dann hält ein junger GI ein Foto seiner Freundin in die Kamera. Er wirkt müde und ängstlich. Der Irakkrieg tritt im Verlauf des Films nur noch einmal konkret in Erscheinung, bleibt aber als eine Art Hintergrundfolie größerer Zusammenhänge präsent.
Der Filmemacher El Batout kehrte mit "Ein Shams – Eye of the Sun" auch an den Ort zurück, wo der Kameramann El Batout zwei Jahrzehnte zuvor bei Straßenunruhen von der Polizei angeschossen wurde.
Die Dokumentaraufnahmen zeigen eine der großen Antikriegsdemonstration im Stadtzentrum Kairos, bei der es zu Gewaltexzessen kam. Es sind Dokumente, die den humanistischen Ton der Fiktion an die raue Wirklichkeit binden.
Statt unversöhnliche Gegensätze einzuebnen, akzentuiert der Film die Möglichkeit von Veränderung. Der zuerst unpolitische, von wirtschaftlichen Nöten belastete Taxifahrer Ramadan fährt einen verletzten Demonstranten ins Krankenhaus, aber als das Viertel später einen Abgeordneten wählt, wird er es sein, der das Wort ergreift, um von den tatsächlichen Sorgen der Leute zu sprechen.
Jenseits von Kommerz und Unterhaltung
Andere Stränge erzählen vom Alltag im Viertel, vermitteln gerade in ihrer Unaufgeregtheit einen sehenswerten Reichtum.
Da das ägyptische Kino neben seiner starken Komödien-Tradition fast ausschließlich Genre-Imitate nach dem Vorbild Hollywoods produziert, zumeist angesiedelt im Milieu der gehobenen Mittelschicht, hat die Szene einer Hochzeit in einem Armenviertel geradezu revolutionären Charakter.
Doch gibt es noch ein anderes ägyptisches Kino. Dawoud Abd El Sayed und Ousama Fwazi sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Die jungen Regisseure sind gut aufgestellt. Sherif El Bendary gewann mit dem Kurzfilm "At Day's End" viele Preise.
Die ersten Arbeiten von Ahmed Magdi erzählen mit neorealistischer Intensität von Lumpensammlern oder Straßenkindern in Kairo. Aber dieses andere Kino ist im Land kaum wahrzunehmen. Das Publikum liebt seine Stars und deren wirklichkeitsfremd hübschen Schein.
Auch "Ein Shams" ist mit Boutros Boutros-Ghali in der Rolle eines hochverschuldeten Geschäftsmanns durchaus prominent besetzt.
Dass der Film jetzt überhaupt in den Kinos läuft, ist ein Erfolg mit Signalwirkung. Die eingesetzten sieben Kopien werden nur Interessierte erreichen. Aber die sind über Facebook und andere Kanäle gut vernetzt. Man darf also hoffen, dass der Film sein Publikum findet.
Noch wichtiger ist allerdings, dass Ibrahim El Batout und Sherif Mandour ihre Kunst, die einen sozialpolitischen Anspruch hat, gegen alle behördlichen Widerstände durchgesetzt haben.
Amin El-Arousi
© Qantara.de 2009
Ibrahim El Batout, geboren 1963 in Port Said, studierte an der American University of Cairo und sammelte über zwei Jahrzehnte lang Erfahrungen als Kameramann und Regisseur von Dokumentarfilmen. Aus verschiedenen Kriegs- und Krisenregionen berichtete er unter anderem auch für arte, ZDF und BBC. Mit seinem Debüt-Film "Ithaki" von 2005 verband er erstmals Fiktionales und Dokumentarisches.
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