Aufklärung statt Ausgrenzung
Herr Benz, Sie haben mit Ihrem Beitrag über strukturelle Parallelen zwischen Islamophobie heute und dem Berliner Antisemitismusstreit im 19. Jahrhundert in der Süddeutschen Zeitung heftige Reaktionen geerntet. Hat Sie das überrascht?
Wolfgang Benz: Mit den Reaktionen habe ich gerechnet. Als ich im September 2008 eine Konferenz zum Vergleich von Islam- und Judenfeindschaft an der Technischen Universität in Berlin veranstaltet habe, merkte ich bereits, was ich los trete.
Diejenigen, die mich im Internet am heftigsten kritisiert haben, waren bei der Konferenz gar nicht dabei. Sie haben nur mit einem Pawlowschen Reflex darauf reagiert. Und einige wussten schon vor der Veranstaltung, dass sie zu verdammen sei. Hier würde Antisemitismus mit Islamfeindschaft verglichen, das galt diesen Menschen als arge Sünde. Deshalb haben einige Kritiker mich in eine Ecke mit Holocaustleugnern gestellt. Dem Sturm einer politisch festgelegten Entrüstung nachzugeben, widerspricht aber dem Geist der Wissenschaft.
Wie erklären Sie sich die Heftigkeit der Debatte?
Benz: Als Historiker bin ich nicht so sehr methodisch gerüstet, um das zu erklären. Psychologen und Psychoanalytiker sind gefragt zu erklären, warum es solche Feindbilder offensichtlich braucht. Wir haben es mit einer kleinen, aber lautstarken Gruppe zu tun, die wohl befürchtet, dass der Holocaust jetzt sein Alleinstellungsmerkmal verlieren könnte, dass man Israel schadet.
Wieso das?
Benz: Es wird unterstellt, wer Verständnis für Muslime zeige, entziehe Israel Zuwendung. Wer sich dafür einsetzt, dass der muslimische Nachbar nicht diffamiert wird, der muss nach dieser Logik ein Feind Israels und ein Anhänger von Irans Präsident Ahmadinedschad sein. Das sind manichäische Bilder, in denen die Welt entweder gut oder böse ist. Dabei habe ich den islamistischen Antisemitismus, wie ihn Ahmadinedschad oder der frühere Premierminister von Malaysia, Mahathir, vertreten, immer eindeutig verurteilt. Das zeigt aber, wie wenig es in der Debatte um Argumente geht.
Sie haben auf strukturelle Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamophobie hingewiesen. Aber über Juden existieren doch andere Klischees als über Muslime. Zum Beispiel werden Muslime als resistent gegen die Moderne verunglimpft.
Benz: Das sind aber nur graduelle Unterschiede. Die strukturellen Gemeinsamkeiten der Stigmatisierung der jeweiligen Minderheit sind größer. Zum Stereotyp gehört zum Beispiel der Vorwurf der Selbstsegregation, das heißt die Minderheit wolle sich ja angeblich nicht assimilieren, nicht integrieren, sie wolle auf Kosten der Mehrheit Vorteile genießen.
Es handelt sich um Überfremdungs- und Verschwörungstheorien wie die Vorstellung, Minderheiten wollten unser Land in Besitz nehmen oder eben heute: islamisieren. Im 19. Jahrhundert waren es die Juden, jetzt ist es die angebliche islamische Gefahr, die das Abendland bedroht. Man schreibt der jeweiligen Minderheit die Eigenschaft des Fremdseins zu, die ihr nicht genommen werden darf. Das sind gemeinsame Merkmale, an die das Vorurteil andocken kann.
Warum sehen Sie keine Unterschiede?
Benz: Mich interessiert, was die Mehrheitsgesellschaft als scheinbares Argument gegen Juden vorbrachte und was sie jetzt gegen Muslime vorbringt. Es handelt sich dabei zum großen Teil um Zuschreibungen. Das heißt Muslime sind in Wirklichkeit anders als die Muslime, die in der Vorstellung von Islamfeinden existieren. Genauso sind Juden anders als in der Vorstellung, die Antisemiten von ihnen haben.
Damit will ich Juden und Muslime nicht gleich reden. Aber die Mechanismen von Ausgrenzung und Diskriminierung sind sich nicht nur ähnlich, sie haben auch den gleichen Grund: Die Mehrheitsgesellschaft braucht fremde Minderheiten, denen man Schuld zuschreiben kann und an die sie Bedrohungsängste, Überfremdungs- und Überwältigungsfantasien delegiert. Das stärkt den Zusammenhalt der Mehrheitsgesellschaft und verhilft ihr zu übersichtlichen Erklärungen und Definitionen, wie es in der Welt zugeht.
Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert leben wir heute in einer Demokratie. Sind wir denn wirklich nicht weiter gekommen?
Benz: Aufklärung ist ein mühsames Geschäft. Man hat gelernt, dass Juden jetzt sankrosankt sind, weil wir ihnen Entsetzliches angetan haben. Das bringt uns aber offensichtlich nicht zum nächsten Schritt, auch andere Minderheiten, Muslime aber auch beispielsweise Sinti und Roma oder Menschen mit sexuell abweichender Orientierung, zu respektieren. So weit sind wir noch nicht.
Wir scheinen den einen Schritt getan zu haben – obwohl ich als Antisemitismusforscher skeptisch bin, ob die Mehrheit wirklich so aufgeklärt ist. Wenn die Menschheit so lernfähig wäre, dann gäbe es keinen Antisemitismus mehr. Wir begreifen nicht, dass Vorurteile, Ressentiments und Feindbilder prinzipiell schädlich sind und gegenüber keiner Minderheit greifen sollten.
Die öffentliche Debatte über Islam und Muslime in Deutschland hat sich in den letzten Monaten doch versachlicht.
Benz: Ich sehe das nicht ganz so positiv. Von einem Umdenken kann noch keine Rede sein. Erfreulicherweise geben jetzt einige große seriöse Blätter wie die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung der Vernunft eine Stimme. Das ist ein Lichtblick aber kein Durchbruch. Diese Debatte ist noch lange nicht ausgestanden. Sie bietet einfach zu viel Reizstoff. Ich fürchte, bei der nächsten großen Verfehlung mit einem Muslim als Täter, zum Beispiel einem so genannten Ehrenmord, werden wir wieder einen Rückschlag erleben.
Wo ziehen Sie die Grenze zwischen berechtigter Kritik und Islamophobie?
Benz: Islamfeindschaft, die sich selbst Islamkritik nennt und von manchen als Islamophobie bezeichnet wird, ist immer dann im Spiel, wenn keine Argumente mehr stattfinden, sondern nur noch gehasst wird. Was sich in manchen Blogs abspielt, hat nichts mehr mit Argumenten zu tun sondern mit Diskriminierung. Negative Eigenschaften werden Muslimen ein für alle Mal zugewiesen, das ist Ausgrenzung, keine Debatte.
Wie kann man dem begegnen?
Benz: Durch Aufklärung, Debatten und den Austausch von Argumenten, obwohl mit festgelegten Islamfeinden ebenso wenig ein Austausch von Argumenten möglich ist wie mit einem Antisemiten. Es handelt sich in der Regel um Menschen mit Bedrohungsängsten, mit oftmals, aber nicht immer, niedrigem Bildungsniveau. Um Menschen, die bereit sind, etwas zu glauben, ohne es zu hinterfragen. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Mehrheit in unserer Gesellschaft in propagierter Intoleranz keine Lösung sieht.
Für diese Mehrheit sind die demokratischen Werte konsensfähig. Es ist sehr wichtig, die Mehrheit auf diesem Kurs zu halten, sie zu stärken und über die Wirkungsweise von Vorurteilen aufzuklären. Sie müssen wissen, welche Funktion Vorurteile besitzen, um das menschliche Wohlbefinden zu verbessern und sich die Welt zu erklären.
Interview: Claudia Mende
© Qantara.de 2010
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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