Islam im Klassenzimmer
Viele der insgesamt zwölf Millionen Schüler in Deutschland haben einen Migrationhintergrund. Statistisch gesehen gehört jeder 17. Schüler dem islamischen Glauben an. Nach der römisch-katholischen und der evangelischen Konfession stellt der Islam die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland dar.
Doch wenn es um das Thema Religion und Islam geht, vor allem um den Islam im Zusammenhang mit Bildung und Schule, sind Pauschalisierungen und Stereotype schnell bei der Hand. Dies hat nicht zuletzt die Kopftuchdebatte deutlich gemacht.
Zu wenig praxisnahe pädagogische Konzepte
Praxisorientierte Fachliteratur, die nicht nur einen Überblick, sondern auch brauchbare Konzepte für den Umgang mit Muslimen im Schulalltag bietet, ist Mangelware. Ein Buch der Körber-Stiftung mit dem Titel "Islam im Klassenzimmer - Impulse für die Bildungsarbeit" will diese Lücke schließen. Die Herausgeberin, Sanem Kleff, ist selbst Pädagogin und bringt einen breiten Erfahrungshintergrund aus der Praxis mit: Die türkischstämmige Lehrerin arbeitete bis 1998 an Berliner Schulen. Heute ist sie bei der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) zuständig für Multikulturelle Angelegenheiten und leitet in diesem Rahmen das Projekt "Schule ohne Rassismus". Entstanden ist das Buch aus der Initiative "Voneinander Lernen - Praxisforum Schule und Islam".
Die Körber-Stiftung und die Kultusministerkonferenz der Länder hatten im vergangen Jahr Pädagogen dazu aufgerufen, ihre Erfahrungen im Schulalltag zu schildern und bewährte Konzepte für die interkulturelle Verständigung vorzustellen. 26 dieser Beiträge sind nun in dem Handbuch zusammengefasst. Sie geben nicht nur einen Einblick in unterschiedliche thematische Aspekte wie Pädagogenausbildung, Religionsunterricht oder Dialog-Initiativen im schulischen Alltag, sondern fordern auch zum Um- bzw. Weiterdenken im Bildungssystem auf.
Bewährte Methoden Dazu gehört beispielsweise, dass Schüler selbst zu Wort kommen und ausreichend Raum erhalten, über Islam und Integration zu debattieren. Ein Beispiel ist das Dialog-Projekt "Open Space", welches in Berlin durch Sanem Kleff und Eberhard Seidel, Koordinator von "Aktion Courage", gestartet wurde. Die Jugendlichen sprechen über ihr Verhältnis zueinander und welche Rolle der Islam in ihrem Alltag spielt. Die Initiatoren haben dabei die Erfahrung gemacht, dass weniger über Kopftuchstreit und Migrationpolitik diskutiert wird, sondern vielmehr die Themen Sexualität, Freundschaft, Familie und Zukunftssorgen dominieren. Von 2003 bis 2005 nahmen an diesem Projekt mehr als 1.000 Schüler und Schülerinnen in verschiedenen deutschen Städten teil. Ein Konzept das sich bewährt hat und fortgesetzt wird.
Öffnung der Schulen - nicht nur Pädagogen sind gefragt
Auch Eltern und Kommunen müssen in die Dialogbemühungen intensiver einbezogen werden. Eine Grundschule in einem Problemviertel in Fulda hat es vorgemacht: Der Lehrer Werner Staubach hat einfach den ganzen Stadtteil in seine Schularbeit eingebunden. Entstanden ist ein Netzwerk, in dem verschiedene Akteure vom türkischen Sportverein über die Kindertagesstätte bis hin zum Amt für Jugend und Familie an der interkulturellen Verständigung zwischen Christen und Muslimen arbeiten. Das Beispiel der Cuno-Raabe-Schule in Fulda zeigt, dass Eigeninitiative viel bewirken kann.
Mängel in der Lehrerausbildung
Die meisten Projekte zeigen, dass Integrationsarbeit zwangsläufig über Fachunterricht hinausgeht. Neue Konzepte und Lösungswege sollten erarbeitet werden, damit den Herausforderungen des multikulturellen Schulalltags erfolgreich begegnet werden kann. Dazu gehört auch ein Umdenken in der Pädagogenausbildung: "Es ist ja kein Geheimnis, dass Lehrer auch heute noch, weder in der ersten noch in der zweiten Phase ihrer Ausbildung, auf die Herausforderungen eines interkulturellen Schulalltags vorbereitet werden. Ermutigung zur Selbsthilfe durch Erfahrungsaustausch, vor allem aber Beratung und Unterstützung durch Externe kann hier weiterhelfen", so Lothar Dittmer, Leiter des Bereichs Schule und Hochschule der Körber Stiftung.
Obwohl knapp ein Viertel der in Deutschland geborenen Kinder einen Migrationhintergrund haben, sind Lehrer mit dieser Herkunft immer noch die Ausnahme, stellen die Autoren in einem Beitrag zum Thema Lehrerausbildung fest. Über 90 Prozent der Lehrer und Lehrerinnen sind Deutsche, darunter einige wenige türkische Pädagogen, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Sinnvoll und spannend sind daher auch die Interviews mit Bildungsexperten über die Aufgaben und Herausforderung einer interkulturellen Lehrerausbildung oder gar die Einführung eines interkulturellen Unterrichts für Schüler. Weitere Möglichkeiten, interkulturelle Kompetenz zu erlernen, werden praxisnah in dem Kapitel "Lernwelten" beschrieben. Da ist zum Beispiel der Erfahrungsbericht einer Hamburger Lehrerin, die seit über zehn Jahren mit ihren Schülern - statt nach Frankreich oder England - in islamisch geprägte Länder fährt.
Wertvoller Überblick
Ein umfassender kommentierender Anhang mit Kontaktadressen zu islamischen Organisationen und interkulturellen Einrichtungen, sowie Literaturempfehlungen zu den jeweiligen Arbeitsfeldern rundet die Publikation ab und bietet dadurch hilfreiche Tipps zur vertiefenden Lektüre. "Islam im Klassenzimmer - Impulse für die Bildungsarbeit" ist ein bereicherndes und zudem erschwingliches Handbuch. Ihm gelingt es, das Thema Islam und Bildung sowohl bereits mit der Thematik vertrauten Pädagogen als auch interessierten Laien gut verständlich zu machen. Außerdem verstehen sich die Beiträge als Anregung für eine differenziertere Bildungsarbeit, die in diesem Bereich noch dringend zu leisten ist. Ziel ist es, so die Herausgeberin Sanem Kleff, eine "verquere Islam- und Islamismusdebatte" für Lehrerinnen und Lehrer nicht handlungsanleitend werden zu lassen und einer "Kulturkampfstimmung im Klassenzimmer" einen Riegel vor zu schieben.
Petra Tabeling
© Qantara.de 2006
Literatur: Sanem Kleff (Hrsg.): Islam im Klassenzimmer. Impulse für die Bildungsarbeit. Edition Körber Stiftung, 2005. 12 Euro