Mein Ramadan
Bei meinem ersten Ramadan war ich 30 Jahre alt. Ich war gerade erst zu Islam konvertiert und es sollte ein ziemliches Desaster werden. Ich hatte, seit ich zum Islam übergetreten war, ein ziemlich aufregendes Jahr hinter mir:
Als Popmoderatorin für MTV Europe und der Jugendsendung "Bravo TV" in Deutschland hatte ich Preise gewonnen, doch mein Übertritt zum Islam hatte für eine ziemlich negative Pressekampagne in den deutschen Medien gesorgt, die dafür verantwortlich war, dass ich meine Arbeit praktisch über Nacht verlor.
All die Veränderungen in meinem Inneren führten dazu, dass die Welt um mich herum immer mehr zerfiel und auseinanderbrach. Rückblickend betrachtet hat sich der Umstand, dass ich alles verlor, womit ich mich zuvor identifiziert hatte – meine Beziehung, die mich ironischerweise mit dem Islam vertraut gemacht hatte, war inzwischen auch beendet – im Nachhinein als Segen herausgestellt.
Nun konnte ich mich auf das konzentrieren, was wirklich für mich zählte: Ich konnte meine Beziehung zu Gott und den Glauben besser kennen lernen, ich konnte damit beginnen, mein Leben neu zu ordnen und – am allerwichtigsten, auch mich selbst neu orientieren.
Eine Charakterprüfung
Am Abend vor meinem ersten Ramadan machte ich den Fehler, mit Freunden auszugehen und ein, zwei Gläser Champagner zu trinken. Am nächsten Tag wachte ich mit einem schrecklichen Kater auf, hatte Kopfschmerzen und war dehydriert. Um drei Uhr nachmittags endlich gab ich auf und sagte mir, dass Ramadan nichts für mich ist. Möge Gott mir vergeben.
Im folgenden Jahr hatte ich einen neuen Job als Moderatorin einer täglichen Kultursendung auf NBC Europe. Ramadan fiel mit den Weihnachtsferien zusammen. Um uns Zeit für eine Drehpause zu verschaffen, mussten wir jeden Tag doppelt produzieren, was hieß, dass wir die Überleitungen und den Off-Ton von morgens bis abends aufnehmen mussten. Ich dachte, dass ich das nie schaffen würde, weil ich zwischen den Aufnahmen immer Wasser getrunken hatte.
Aber wunderbarerweise sorgte Gott dafür, dass mein Mund sich von selbst befeuchtete und ich wie im Fluge durch den Fastenmonat kam.
Natürlich war es hilfreich, dass ich da schon kein Alkohol mehr trank. Viele Kollegen machten mir Komplimente, wie strahlend und rein ich aussah. Es war wirklich eine wundervolle Erfahrung. Seit dieser Zeit fastete ich jeden Ramadan in den letzten 13 Jahren. Tatsächlich freue ich mich inzwischen richtig darauf.
Ramadan-Wunder
Während des Ramadan, so sagt es ein Hadith, "sind die Türen der Hölle verschlossen und die des Paradieses offen". Dieser Satz hat sich für mich bewahrheitet und ich habe manchmal das erlebt, was ich Ramadan-Wunder nenne.
Einmal hatte ich zum Beispiel kurz vor dem Ramadan einen Bandscheibenvorfall, der sehr schmerzhaft war. Noch schlimmer aber war, dass mein Arzt mir sagte, dass ich wohl meinen Plan aufgeben müsse, auf die Hadsch zu gehen, die Pilgerreise nach Mekka.
Mit Hilfe intensiver Physiotherapie und Gebeten kam meine Bandscheibe ohne Operation wieder in Ordnung und das alles während des Ramadan. Ein befreundeter Chirurg nannte das eine Wunderheilung, da es sich wirklich um einen ernsthaften Vorfall gehandelt hatte. So konnte ich, Gott sei Dank, die Hadsch erleben!
Verzicht auf Wut, Ungeduld und negative Gedanken
Am ersten Tag des Ramadan habe ich oft Kopfschmerzen, aber ab dem zweiten Tag geht es mir meist gut und mit jedem Tag wird es besser. Ich spüre den Hunger dann kaum noch, nur gegen Ende des Tages spüre ich eine leichte Erschöpfung und ich werde auch abends früher müde.
Natürlich hört in London die Arbeit an Ramadan nicht auf, weshalb es ein wenig anstrengend werden kann, wenn man mit Leuten zu tun hat, die selbst nicht fasten, aber das ist Teil der Herausforderung.
Ich verbringe dann mehr Zeit mit Gebeten und dem Anrufen Gottes, und lese den Koran oder andere religiöse Bücher. Außerdem gebe ich mein Bestes, auch von Wut, Ungeduld und negativen Gedanken Abstand zu nehmen.
Der Gemeinschaftsgedanke des Ramadan
In diesem Jahr nehme ich am "Fast and Feed"-Projekt teil, in dem Muslime Obdachlose in die Moschee einladen, um mit ihnen ihr Essen zu teilen und über die Bedeutung des Ramadan zu sprechen. Außerdem gibt es üblicherweise ein Iftar, das traditionelle Ramadan-Abendmahl, mit Parlamentsabgeordneten und anderen Politikern, an dem ich auch teilnehme.
Was ich aber am meisten liebe, ist das Fastenbrechen im Haus meiner arabischen Freundin, die häufig Bekannte zum Iftar einlädt. Dort spüre ich die Liebe und Wärme, den Gemeinschaftsgedanken des Ramadan und bekomme ein Gefühl für die Idee des Miteinander-Teilens, die uns im Westen meist fremd ist, vor allem, wenn wir ohne eine muslimische Familie leben, als Single und berufstätig.
Einmal war ich einen Tag, bevor der Ramadan begann, in Ägypten. Ich war zu Tränen gerührt, als ich Tausende von Menschen auf dem großen Platz nahe der Al-Hussein-Moschee sah. Sie alle schauten zum Himmel und riefen aus: gesegneter Ramadan, schöner Mond, wo bist du? Als sie den Neumond dann sahen, war es wie eine Party, ein freudiges Gemeinschaftserlebnis.
Selbst in London empfinde ich den Ramadan als eine sehr besondere und gesegnete Zeit. Ich glaube, diese jährliche spirituelle Disziplin ist für mich wie ein Schlüssel, um mich selbst immer wieder zu verändern und mich zu einem besseren Menschen zu machen – natürlich ist dies noch ein langer Weg.
Ich lege mir selbst Rechenschaft über mein Leben ab; denke darüber nach, was ich verbessern will; arbeite aktiv daran, Menschen zu vergeben, die mich verletzt haben; versuche, jedes Gefühl von Missgunst aus meinem Herzen zu vertreiben und ich bete zu Gott, dass er mir vergibt.
Eine höhere Bewusstseinsebene
Durch das Fasten während des Ramadan fühle ich mich näher zu Gott, klarer, sensibler und nehme alles bewusster wahr. Selbst mein Geschmackssinn ist in dieser Zeit viel feiner. Es ist, als befände ich mich auf einer höheren Bewusstseinsebene. Ich wünsche mir immer, dieses Gefühl würde länger anhalten, doch irgendwie setzt schon bald nach dem Ramadan das Alltagsleben wieder ein.
Ich liebe das gemeinschaftliche Gebet zum Ramadanfest – es ist so schön und melodisch und man fühlt sich den muslimischen Glaubensbrüdern so verbunden, in Gott. Auch fühle ich ein einmaliges Glück darüber, dass ich stark bin und Kontrolle über meinen Körper besitze und über meine Triebe – und nicht sie über mich. Möge diese Stärke, die wir durch das Festen gewinnen, das ganze Jahr über andauern.
Kristiane Backer
© Qantara.de 2010
Kristiane Backer, bekannt als frühere Moderatorin bei dem Musiksender MTV Europe, arbeitet als Fernsehjournalistin und Moderatorin für internationale Fernsehsender. 2009 erschien "Von MTV nach Mekka – Wie der Islam mein Leben änderte".
Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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