Was bleibt, wenn der Diktator fällt

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Sprecher Mouataz Al-Shaltouh (Foto: Andreas Rehmann/NDR)

Im Dezember 2024 herrscht Euphorie unter Syrer:innen – auch im Exil. Doch zugleich brechen die verdrängten Schrecken der Diktatur wieder auf. Ein neues Hörspiel erzählt vom inneren Kampf, einen Flug von Berlin nach Damaskus zu buchen.

By Clara Taxis

Faris Salamah, ehemaliger Revolutionsmusiker, lebt im Berliner Exil. In der Nacht zum 8. Dezember 2024 bleibt er lange wach, doch den Moment des Sturzes von Baschar al-Assad verschläft er.  

Als er wach wird, sind alle voller Euphorie. Er selbst hatte in dieser Nacht jedoch einen Alptraum. Darin ist er nach Damaskus zurückgekehrt, wurde am Flughafen festgenommen und es wurde klar: Das Regime wurde überhaupt nicht gestürzt. Es war eine Falle. 

Das für den NDR produzierte Hörspiel „Damaskus danach“ vom deutsch-syrischen Regisseur Mudar Alhaggi nimmt uns als Publikum mit in die Gefühle jenseits der Schlagzeilen. Es zeigt auf, was der Sturz des Diktators für viele Syrer:innen eben auch bedeutet hat – sich seinen persönlichen Geistern zu stellen, all den Gefühlen, Ängsten und Erfahrungen, die man verdrängt hatte. 

Oder, wie es ein Bekannter ausdrückte: „Es gab für uns 14 Jahre lang kein Licht am Ende des Tunnels. Nach dem Sturz von Assad gab es das, doch es beleuchtete all die Traumata, die wir im dunklen Tunnel vor uns selbst versteckt hatten.“ 

Diktatur verwischt die Grenze zwischen Realität und Wahn

Im Stück bleibt offen, ob der Protagonist Faris, gesprochen von Mouataz Al-Shaltouh, am Ende wirklich noch nach Damaskus fliegt oder nicht. Trotzdem erleben wir seine Ankunft am Damaszener Flughafen und die Passkontrolle mehrfach – und jedes Mal endet die Szene mit grauenhafter Folter oder der Konfrontation mit Hunden, vor denen Faris panische Angst hat.  

Die Alpträume sind eine Begegnung mit den Geistern, die die Diktatur in den Herzen der Menschen hinterlassen hat. Das Verschwimmen von Realität und Wahn scheint im Moment der Befreiung unverständlich, doch ist es eigentlich der Kern von Erfahrungen in der Diktatur. 

Im Hörspiel erleben wir eine Szene, in der Faris erst hört, wie sein bester Freund bestialisch gefoltert wird. Kurz darauf wird er in ein Büro gebeten, ihm wird etwas zu trinken angeboten, dann muss er ein Papier unterschreiben – woraufhin er, einem Wunder gleich, frei gelassen wird. 

Sein Freund, und das ist das eigentliche Trauma, wurde damals jedoch nicht freigelassen und Faris kämpft mit Schuldgefühlen: Warum habe ich überlebt und er nicht?  

Für die Mutter des Freundes gibt es bis heute keine Gewissheit, ob ihr Sohn tatsächlich umgekommen ist – und wenn ja, wo, wann und unter welchen Umständen. Wie ihr geht es Tausenden Familien.  

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“

Tatsächlich ist es in Syrien in vielen Fällen unmöglich, sich die Schicksale anhand von Fakten herzuleiten: Das Regime stellte für Menschen Totenscheine aus, die zehn Jahre später befreit wurden. Auf der anderen Seite verschwanden Menschen, über die keinerlei Informationen bekannt wurden.  

Und es gab Syrer:innen, die Angehörigen erzählten, ihr Kind sei noch am Leben, und sich dann für weitere Informationen teuer bezahlen ließen. So auch im Hörspiel, wo die Mutter von Faris’ Freund nach der Geldübergabe nie wieder etwas hört. Sie und viele andere Mütter und Väter in Syrien geben die Hoffnung aber nicht auf, sie weigern sich, den Tod ihrer Angehörigen anzuerkennen, solange sie keine Beweise in den Händen halten.   

Für Faris ist es nach dem Sturz des Regimes die Hoffnung, die ihm am meisten Angst macht. Sie gleicht der Hoffnung von 2011 zu sehr. Damals ergriff eine Euphorie viele Menschen und sie gingen auf die Straße – plötzlich schien ein Ende der Diktatur möglich.  

Doch was folgte, war für viele die Flucht und ein Leben im Exil, für manche auch Folter, Haft und vor allem der Verlust geliebter Menschen. Ob man wieder Hoffnung haben kann, darüber streitet Faris mit seiner Familie und seinen Freunden. 

Intensives Hörerlebnis

Die verhandelten Themen sind auch für uns als Hörer:innen nicht ohne. Nachempfundene Foltergeräusche und bedrohliche Musiksequenzen vermitteln Faris‘ Angst, ob aus seinen Erinnerungen oder in seinen Alpträumen. Die Einordnung durch Gespräche des Protagonisten mit einem Therapeuten ist auch für die Hörer:innen hilfreich. 

Durch das Einbinden von Originalaufnahmen der revolutionären Demonstrationen von 2011, aber auch kleinen arabischen Worten im deutschen Dialog, entsteht das Gefühl der Nähe zum Geschehen. Die Übersetzerin Sandra Hetzl schafft es mit viel Sprachgefühl, zwischen dem Deutschen und dem syrischen Arabisch zu vermitteln. 

Alle Sprechenden sprechen Arabisch ohne Akzent, Deutsch teilweise mit. Auch diese Wahl macht das Stück nahbar – es macht deutlich, dass die erzählte Geschichte von Menschen stammt, die mit uns heute in Deutschland leben.  

 

Das Hörspiel ist ab 14. November 2025 im NDR-Podcast ARD Hörspiel-Speicher zu finden. 

 

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