Irans Geparde träumen vom Achtelfinale
Die Fußball-WM 2014 beherrscht seit der erfolgreichen Qualifikation der iranischen Nationalmannschaft im Juni vergangenen Jahres die Schlagzeilen im Land. Nicht einmal die seit mehr als einem Jahrzehnt anhaltenden internationalen Verhandlungen zur Beilegung des iranischen Atomstreits können derzeit das Interesse an der Fußball-WM und am "Team Melli" - wie das Nationalteam im Land selbst bezeichnet wird - in der öffentlichen Wahrnehmung toppen. Obwohl sich Irans Kicker während der drei Qualifikationsphasen in Asien nicht gerade mit Ruhm bekleckerten, sind die Erwartungen an das Team bei seiner vierten WM-Teilnahme nach 1978, 1998 und 2006 immens.
Zwar schloss der Iran die letzte Qualifikationsrunde als Gruppensieger vor Südkorea ab, doch fehlt es der Mannschaft an der individuellen Klasse, die die goldene Generation der 1990er Nationalkicker um den Welttorjäger und Ex-Bayern-Stürmer Ali Daei noch besaß. Trotzdem träumen die iranischen Fans vom Achtelfinale, auch wenn Carlos Queiroz, der portugiesische Nationaltrainer des Iran, das Erreichen der KO-Phase immer wieder zur "Mission Impossible" erklärt, um die Erwartungen zu dämpfen.
Potenzial des Kaders
Der vom Aussterben bedrohte persische Gepard ist das Wappentier auf den WM-Trikots der Iraner und soll als nationale Identifikationsfigur den Nationalspielern Beine machen. Dies ist auch zwingend notwendig, denn das Gesamtpotenzial des Kaders ist nur bedingt international konkurrenzfähig.
Nach der WM 2006 und spätestens mit der gescheiterten Qualifikation für die WM 2010, lief die Zeit der iranischen Ausnahmekicker um die Bundesligaspieler Mehdi Mahdavikia, Ali Karimi, Vahid Hashemian und Feridoon Zandi ab. Die inländische Talentschmiede bringt seit Jahren kaum noch Kandidaten hervor, die internationalem Spitzenformat gerecht werden.
Mit dieser Erkenntnis begab sich Queiroz unmittelbar nach seiner Amtsübernahme 2011 weltweit auf die Suche nach etablierten Fußballern mit iranischen Wurzeln. Was anfänglich für große Skepsis in der nationalen Fußballszene sorgte, erwies sich letztlich als kluger Schachzug. Der Trainer entdeckte auf seiner weltweiten Suche iranisch-stämmige Spieler, die schließlich entscheidend die Qualifikation zur WM 2014 mitprägten.
Kicker aus aller Welt
Die Sturmprobleme löste der 26 Jahre alte Reza "Gucci" Ghoochannejad auf Anhieb. Queiroz berief den bis vor zwei Jahren international noch unbekannten, in den Niederlanden aufgewachsenen Torjäger aus der ersten belgischen Liga in die Nationalmannschaft. Der inzwischen bei Charlton Athletic in der englischen Premier League spielende Gucci, bedankte sich schnell mit wichtigen Toren und avancierte zum Topscorer des Teams.
Als weiteres Ass entpuppte sich der in Deutschland aufgewachsene ehemalige deutsche U-21-Nationalspieler Ashkan Dejagah. Zu den weiteren Entdeckungen im Ausland und den iranischen WM-Hoffnungen zählen Torhüter Daniel Davari von Eintracht Braunschweig, Außenverteidiger Mehrdad Beitashour, Stürmer Sardar Azmoun und Flügelflitzer Alireza Jahanbakhsh, der bei NEC Nijmegen unter Vertrag steht.
Erfahrung als Herzstück
Für Coach Queiroz steht die internationale Erfahrung seiner Spieler im Vordergrund. Diese bringen die beiden defensiven Mittelfeldspieler, der 31-jährige Andranik Teymourian und Kapitän Javad Nekounam, 33 Jahre alt, dank ihrer langjährigen Mitwirkung im englischen bzw. spanischen Vereinsfußball mit. Beide waren auch schon bei der letzten WM-Teilnahme Irans 2006 dabei und bilden das Herzstück des Teams.
Zu den Kernqualitäten des iranischen Teams zählen die defensive Systemsicherheit und die gruppentaktische Disziplin. Tugenden, die für den traditionell offensiv ausgerichteten und von ballverliebten Individualisten geprägten iranischen Fußball eher ungewöhnlich sind. Diese neue Grundausrichtung spiegelt eindeutig die Philosophie des Trainers, der in einer stabilen Defensive und im starken Kollektiv die einzige Chance für den Iran sieht, in der WM-Gruppe F mit den mit hochkarätigen Stars besetzten Nationalmannschaften aus Nigeria, Argentinien und Bosnien-Herzegowina, mithalten zu können.
Irritation um Ausrüster und Testgegner
Für große Aufregung sorgten heftige Diskussionen über die Ausrüstung der iranischen Nationalmannschaft. Ali Kafaschian, Chef des dortigen Fußballverbandes, untersagte jüngst den Trikottausch seiner Kicker mit den gegnerischen Spielern bei der WM. Es gebe einfach zu wenige Trikots, so die Begründung.
Zudem sorgt die weltpolitische Lage auch immer wieder für Probleme bei der Turniervorbereitung: Testspiele gegen spielstarke Mannschaften konnten wegen fehlender Bereitschaft der angefragten nationalen Fußballverbände kaum, und wenn dann nur kurzfristig, organisiert werden.
Im Trainingslager in Österreich erfolgte der Feinschliff für die "iranischen Geparde". Doch es reichte in Testspielen gegen Weißrussland und Montenegro jeweils nur zu einem 0:0. Schwere Gruppe, schlechte Ausrüstung, schwache Testspiele: Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche WM könnten wahrlich besser sein. Sollten die Kicker der iranischen Nationalmannschaft die Gruppenphase dennoch überstehen, würden sie in ihrer Heimat mit Sicherheit wie Helden gefeiert.
Farid Ashrafian
© Deutsche Welle 2014
Redaktion: Thomas Latschan/DW