Leben im Ausnahmezustand
Haitham Maleh, Rechtsanwalt und Präsident der "Syrischen Menschenrechtsvereinigung", war zu Besuch in Deutschland, um an einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses des Bundestages teilzunehmen. Mit ihm sprach Dorothee Winden.
Der 72jährige Anwalt Haitham Maleh war von 1980-1987 ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren inhaftiert, weil er sich als Mitglied der Rechtsanwaltsvereinigung für eine Aufhebung des seit 1963 geltenden Ausnahmezustandes einsetzte. Er gründete 2001 die Menschenrechtsvereinigung Syriens (HRAS – "Human Rights Association in Syria"), die 70 Mitglieder in ganz Syrien hat. Er gehörte zum Verteidigungsteam der zehn politischen Gefangenen des "Damaszener Frühlings", der syrischen Demokratiebewegung, die 2001 niedergeschlagen wurde.
Herr Maleh, unter welchen Arbeitsbedingungen arbeitet die syrische Menschenrechtsvereinigung?
Haitham Maleh: Die Website unserer Organisation ist in Syrien verboten. Wir dürfen weder Zeitschriften noch Broschüren veröffentlichen. Unsere Berichte verbreiten wir über das Internet oder verteilen sie per Hand. Wir haben 2002 im Libanon eine Zeitschrift mit dem Titel Tayyarat (arab.: Strömungen) drucken lassen und waren dadurch starkem Druck ausgesetzt. Ich wurde für die Aktion vor ein Militärgericht gestellt.
Sie wurden wegen „Verbreitung einer illegalen Zeitschrift“ angeklagt, weil Sie die Ausgabe nach Syrien eingeführt hatten.
Maleh: Sie wollten mich verhaften, doch ich habe das Land rechtzeitig verlassen können. Am 3. August bin ich ausgereist, dann war ich 80 Tage lang in 11 verschiedenen Ländern unterwegs - in Jordanien, Ägypten, den Emiraten und in einigen europäischen Ländern. Im Anschluss bin ich dann von Amman aus wieder nach Syrien eingereist. Mein einziges Gepäck war eine kleine Tasche mit Unterwäsche und ein Rasierapparat. Ich habe mir gesagt: Wenn sie mich jetzt verhaften, bin ich bereit. Aber sie haben mich bei der Einreise nicht erwischt. Später hat mir jemand von Amman meinen Koffer gebracht. Dann kam mein Fall vor das Militärgericht. Die Verhandlungen erstreckten sich von Januar bis Juli 2003. Dann wurde das Verfahren eingestellt. Präsident Bashar al-Assad hatte ein Amnestiegesetz erlassen. Ich war der einzige politische Fall, der verhandelt worden war.
Welche persönlichen Konsequenzen hatte Ihre Tätigkeit als Menschenrechtsanwalt für Sie?
Maleh: Das Regime kontrolliert alles. Drei Beamte des Geheimdienstes stehen vor meinem Büro. Wenn ich mein Büro verlasse, folgen sie mir, wohin ich auch gehe. Mein Telefon wird abgehört. Sie versuchen, mir Angst einzuflößen. Ich habe im März dieses Jahres in Paris einen Vortrag über 40 Jahre Ausnahmezustand in Syrien gehalten. Danach habe ich ein Ausreiseverbot erhalten, das ich aber gerichtlich angefochten habe. Außerdem ist mir verboten worden, Vorträge zu halten. Im Juni 2002 wurde Druck auf die Rechtsanwaltsvereinigung ausgeübt, damit diese mir die Zulassung für drei Jahre entzieht. Dann könnte ich nicht mehr als Rechtsanwalt arbeiten. Das wäre so, als würde ich gehängt. Wovon soll ich denn leben, wenn ich nicht arbeiten kann?
Wie hat die Rechtsanwaltsvereinigung entschieden?
Maleh: Sie haben mir die Lizenz entzogen, aber ich habe Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt. Sie ist also noch nicht endgültig.
Mit welchen Problemen haben Sie in Ihrer Arbeit als Rechtsanwalt zu kämpfen?
Maleh: Es gibt keine unabhängige Justiz in Syrien. Praktisch haben die Richter keine Macht, beispielsweise wenn es um die Anordnung von Haft geht. Die eigentliche Macht liegt bei den Geheimdiensten. Die Richter hören auf sie. Es gibt keine Gerechtigkeit in Syrien. Ich habe einige Fälle verloren, weil es sich bei der Gegenseite um Mitglieder des Geheimdienstes handelte. In einem anderen Fall – es ging um die Schließung eines kriminaltechnischen Labors – habe ich den Prozess gewonnen. Aber seit vier Jahren können wir den Vollzug des Urteils nicht durchsetzen.
Woran liegt das?
Maleh: Es ist unmöglich! Wenn ich in Syrien arbeite, kommt es mir so vor, als würde ich in einem dunklen Raum schwimmen und kein Licht sehen.
Aber in einigen Fällen waren Sie doch mit ihren Anstrengungen erfolgreich?
Maleh: Das stimmt. Einige Menschen sind freigelassen worden, nachdem wir Druck ausgeübt hatten. In einem Fall habe ich beispielsweise ein Telegramm an den Innenminister geschickt. Nach einer Woche wurde der Inhaftierte freigelassen. Im vergangenen Monat hatte ich einen Fall, wo ein Kurde vom politischen Geheimdienst festgenommen wurde. Nach ein paar Tagen wurde er freigelassen. Er musste allerdings einige Papiere unterschreiben, ohne zu wissen, was überhaupt in dem Dokument geschrieben stand. Sie sagten ihm: "Vergiss dein Haus in Mezzeh!" (ein Stadtteil von Damaskus/Anmerkung der Redaktion). Sie hatten die Möbel aus seinem Haus geräumt und es in Beschlag genommen. Nach meinen Protesten hat er sein Haus zurück erhalten.
Was können Deutschland oder die Europäische Union tun, um die Menschenrechtsarbeit in Syrien zu unterstützen?
Maleh: Es würde sehr helfen, wenn europäische Länder Menschenrechtsaktivisten zu Konferenzen einladen oder Ihnen Stipendien geben, damit sie sich in Menschenrechtsfragen weiterbilden können. Wir können keine direkte finanzielle Unterstützung aus dem Ausland annehmen, weil das Regime uns vorwerfen würde, Beziehungen zu anderen Staaten zu unterhalten. Die europäischen Regierungen sollten der syrischen Regierung erklären, dass es normal ist, wenn Menschenrechtsorganisationen Geld von europäischen Nicht-Regierungsorganisationen erhalten. Außerdem hoffe ich, dass die EU das Assoziierungsabkommen mit Syrien nicht unterzeichnet, bevor die Regierung die Menschenrechte respektiert.
Dorothee Winden, © Qantara.de 2003
Mehr Informationen über den Fall Maleh und die "Human Rights Association in Syria" finden Sie bei Amnesty International