Protektionismus als Auslaufmodell?
Freihandelsabkommen sind im Nahen Osten derzeit groß im Kommen. Alle paar Monate reichen sich Handelsminister verschiedener arabischer Staaten die Hände und halten frisch unterzeichnete Verträge ins Blitzlichtgewitter.
Und das, obwohl sich 17 Mitgliedsstaaten der arabischen Liga bereits 1997 in der Freihandelszone GAFTA zusammengeschlossen haben, in der seit Anfang 2005 alle Zölle abgeschafft sind.
Doch von einem aufblühenden Handel zwischen den arabischen Ländern ist bislang wenig zu spüren. In den meisten Staaten macht der inner-arabische Handel gerade mal rund zehn Prozent ihres Außenhandels aus.
Nüchtern konstatiert denn auch der ägyptische Industrie- und Handelsminister Rashid Mohamed Rashid, einer der Geschäftsleute in der ägyptischen Regierung, während des World Economic Forum in Sharm El-Sheikh im vergangenen Mai: "Wir haben 50 Jahre lang von einem gemeinsamen arabischen Markt geträumt, doch das Problem war, dass wir eben nur geträumt haben – etwas anderes haben wir nicht gemacht."
Bürokratische Barrieren
Die Zölle sind innerhalb der Region weitgehend abgeschafft, doch andere Barrieren bleiben. "Das wahre Hindernis ist die Bürokratie", sagt Gamal Bayoumi, Generalsekretär der Vereinigung Arabischer Investoren, "nicht weil sie gegen die Abkommen wäre, aber sie verteidigt die Partikularinteressen der beteiligten Länder."
So finden sich in den bilateralen Abkommen Negativlisten, die viele Güter von vornherein ausschließen. Mit Hilfe von erforderlichen Importlizenzen, vorgeschriebenen Produkt-Standards und bürokratischem Zoll-Prozedere wird den regionalen Unternehmen der Handel immer noch erschwert.
Auch Logistik und Transportwesen zwischen den arabischen Ländern sind nur schwach entwickelt: Die Straßenverbindungen sind häufig von schlechter Qualität, die Eisenbahn spielt in der Region kaum eine Rolle und Flughäfen wie Seehäfen haben nur geringe Kapazitäten.
Verhinderte Export-Schlager
So kann auch Peter Youssef, Export-Manager bei Al-Ahram Beverages, dem größten Getränke-Hersteller Ägyptens, nur träumen, wenn sein Blick über die große Weltkarte in seinem Büro schweift. Denn er würde seinen Export-Schlager Fayrouz, ein nicht-alkoholisches Erfrischungsgetränk, gerne in mehr Länder und in größeren Mengen exportieren.
So wäre der Sudan ein interessanter Markt, doch da es zwischen Ägypten und seinem südlichen Nachbarn keine Landverbindung für den Warenverkehr gibt, muss Youssef seine Container einschiffen. Das dauert zwei Wochen.
Weitere Wochen würden die Getränke-Kisten beim sudanesischen Zoll im notorisch verstopften Port Sudan lagern. Bis dahin wäre schon ein Drittel der Haltbarkeitszeit der Getränke abgelaufen, bevor das Produkt überhaupt auf den Markt kommt, rechnet Youssef.
Die größte Schwäche der GAFTA besteht in den unklaren Herkunftsregeln. Sie bestimmen, wie viel Vorleistungsgüter eines Produkts aus einem dritten Land stammen dürfen, damit es als zollfrei deklariert wird.
Derzeit streiten die GAFTA-Länder darüber, wie die Herkunfts-Regeln zu berechnen sind. Einige wollen den Verkaufspreis als Basis für die 40 Prozent nehmen, die aus dem Herstellerland stammen müssen, andere die Produktkosten.
Kaum Produktvielfalt bei Exporten
Said Abdallah, Staatssekretär im ägyptischen Industrie- und Handelsministerium, erwartet eine Einigung bis Ende dieses Jahres. Man arbeite fieberhaft daran, die Herkunftsregeln zu vereinfachen. Damit folgt er einer gängigen Erklärung für den schwachen Binnenhandel der arabischen Welt.
"Die sich überlagernden Exportprofile der arabischen Wirtschaften sind hierfür der Hauptgrund ", erklärt Abdallah. Da die arabischen Staaten – neben dem hohen Rohstoffanteil ihrer Exporte – vielfach die gleichen Produkte herstellen, komme der Handel untereinander nicht in Schwung.
In den kommenden Jahren könnte jedoch Hilfe von außen kommen. Bereits vor elf Jahren hat sich die EU, als Reaktion auf Terrorismus und Migrationsdruck, im so genannten Barcelona-Prozess eine stärkere wirtschaftliche Kooperation mit den südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten zum Ziel gesetzt.
Zwar wurden damals mit einigen Ländern Assoziierungs-Abkommen geschlossen, wonach Zollschranken - und bürokratische Prozedere - aufgehoben und die Wirtschaftspolitik vereinheitlicht werden sollten. Doch de facto hat der Barcelona-Prozess insgesamt nur wenige fruchtbare Ergebnisse hervorgebracht. Ein Grund dafür wird im fehlenden regionalen Handel gesehen.
Hoffnungen in das Agadir-Abkommen
Viel Hoffnung wurde daher in das Agadir-Abkommen vom Februar 2004 gesetzt, das eine Freihandelszone zwischen der EU und Marokko, Ägypten, Jordanien und Tunesien vorsah.
Das Abkommen beinhaltete aber auch, dass Unternehmen eines dieser Länder Produkte, die Vorprodukte aus einem der anderen arabischen Länder enthalten, zollfrei in die EU einführen können. Das soll den Anreiz erhöhen, Vorprodukte aus der eigenen Region einzuführen und so den regionalen Handel fördern.
Doch das Agadir-Abkommen ist noch immer nicht in Kraft, da bislang die Unterschrift des marokkanischen Königs Mohammed VI fehlt. Der Verdacht liegt nahe, dass dies auf den Druck einflussreicher marokkanischer Wirtschaftsbranchen zurückzuführen ist, die die ausländische Konkurrenz fürchten.
Die Europäische Union hofft dennoch, dass in vier Jahren das Agadir-Abkommen und die bilateralen Vereinbarungen in der Region die Entwicklung zu einer großen Freihandelszone zwischen der EU und den südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten ermöglichen werden.
Regionaler Handel gilt als einer der wichtigsten Faktoren für Wirtschaftswachstum. Funktionierende Handelsabkommen ziehen aber auch wichtige ausländische Direktinvestitionen an.
So produziert Siemens in Ägypten Computerteile und Telefonanlagen, um sie von dort aus in arabische und afrikanische Märkte zu exportieren, weil der ägyptische Markt allein zu klein ist.
"Ägypten steht nicht mit Saudi-Arabien im Wettbewerb und Saudi-Arabien nicht mit Jordanien. Wir stehen im Wettbewerb mit China, Indien, Brasilien", sagt Mohammed El Mehdy, Siemens-Hauptgeschäftsführer in Ägypten. "Was auch immer wir hier machen, es wird die anderen nicht davon abhalten, in unserer Region Geschäfte zu machen." Vor allem chinesische Billigprodukte sind in den Ländern des Nahen Ostens seit einigen Jahren allgegenwärtig.
Letztlich können nur die Unternehmen selbst dafür sorgen, dass die Bedingungen für den regionalen Handel besser werden. "Die Tage des Protektionismus sind gezählt", gibt sich Ägyptens Handelsminister Rashid überzeugt.
Die Unternehmen hätten begonnen, regional zu denken, und würden sich bei den Regierungen für stärkeren regionalen Handel einsetzen. "Zuvor stand jeder Minister der Region unter dem Druck, den nationalen Markt zu schützen. Heute sind es die Unternehmen, die uns drängen, den Markt zu öffnen."
Frederik Richter
© Qantara.de 2006
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