Iranische Reformer zwischen Aufbruch und Phlegma

Im Juni 2009 finden in Iran Präsidentschaftswahlen statt. Größter Hoffnungsträger der Reformkräfte ist bislang ein Mann, der eigentlich keine Rückkehr auf die politische Bühne mehr anstrebte: Ex-Präsident Mohammad Khatami. Marcus Michaelsen berichtet

 

Die beiden Reformpolitiker Abdollah Nuri und Mohammad Khatami; Foto: Kosoof
Hoffnungen auf ein Comeback der Reformer: Ex-Präsident Mohammad Khatami und Ex-Innenminister Abdollah Nuri erfahren eine breite Unterstützung in der Bevölkerung.

​​ Vierzig gute Gründe für eine Kandidatur Khatamis hat der Reformaktivist Hamid Reza Jalaeipur aufgelistet. Angefangen von der gewinnenden Ausstrahlung des früheren Präsidenten bis hin zum möglichen Abbau der Spannungen zwischen Iran und dem Westen. Der Soziologieprofessor sieht die iranische Gesellschaft momentan in einem "Wartezustand".

 

Ob Studenten, Frauen, Gewerkschaftler – die gesamte Zivilgesellschaft sei unter Präsident Ahmadinejad durch Repressionen gelähmt worden, harre jedoch auf eine Gelegenheit, um wieder an die Öffentlichkeit zu drängen. Ein Antreten Khatamis könne das entsprechende Signal geben und damit eine ähnliche Begeisterung auslösen, wie bei seiner ersten Wahl 1997.

 

Risse im konservativen Lager

 

Sechs Monate vor den Wahlen sind in Iran Spekulationen zu potentiellen Kandidaten voll im Gange. Die Kritik am Regierungsstil des derzeitigen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad und seiner kurzsichtigen Wirtschaftspolitik wird immer lauter. Mittlerweile stellen auch konservative Kreise seine Wiederwahl in Frage. In der Geschichte der Islamischen Republik wäre er allerdings der erste Präsident, der regulär keine zweite Amtszeit erreicht. Doch die Risse im konservativen Lager ebenso wie die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung nähren die Hoffnungen der Reformer auf ein Comeback.

 

Verteilung von Flugblättern für reformistische Präsidenschaftskandidaten in Teheran; Foto: AP
Verteilung von Flugblättern für reformistische Präsidenschaftskandidaten in Teheran. Junge Leute sammeln im Internet Unterschriften für eine erneute Kandidatur Khatamis.

​​ Seine Liste veröffentlichte Jalaeipur auf der Webseite Mowj-e Sevvom ("Dritte Welle"), eine Kampagne, die Khatami zu einer erneuten – dritten – Amtszeit bewegen will. Vor allem junge Leute sammeln seit Monaten im Internet Unterschriften. Ähnliche Webseiten bündeln Nachrichten zu den Entwicklungen im Reformlager und versuchen so den begrenzten Zugang zu Presse und Fernsehen wettzumachen.

 

Bei einer Versammlung Mitte November sprachen sich zahlreiche Künstler, Intellektuelle und ehemalige Politiker für eine Fortführung der Reformpolitik unter ihrem bekanntesten Mentor aus. Die Filmschauspielerin Leila Hatemi rührte das Publikum zu Tränen, als sie Khatami schluchzend bat, wieder zu kandidieren, "für unsere Kinder und alle, die das Land nicht verlassen wollen".

 

"Ich sage nicht nein, aber…"

 

Der Umworbene selbst gibt sich zurückhaltend. Zwar ist Khatami laut Auskunft seines Umfelds in den letzten Monaten "einer Kandidatur immer näher gekommen", doch eine klare Zusage kam von seiner Seite noch nicht. Anfang Dezember hieß es bei einem Besuch der Universität Teheran: "Ich sage nicht nein, aber…."

 

Vor einer großen Zuhörermenge sprach sich Khatami für einen Kandidaten aus, gegen den innerhalb des Regimes keine Vorbehalte bestünden. Die entsprechende Person müsse ungehindert agieren können, um die zahlreichen Probleme des Landes anzugehen. Während seiner Amtszeit hatte die konservative Machtelite der Islamischen Republik dem Präsidenten unzählige Steine in den Weg gelegt und letztlich seine Politik zum Scheitern gebracht.

 

Die Rückkehr ins politische Tagesgeschäft dürfte Khatami tatsächlich schwer fallen. Zwar kritisierte er in den letzten Jahren immer wieder öffentlich die derzeitige Regierung und warnte vor dem Machtgewinn radikaler Kräfte. Zuletzt verteidigte er – durchaus wahlkämpferisch – die Erfolge seiner Administration, verwies auf stabile Wirtschaftsbilanzen und Auslandsbeziehungen. In einer Vortragsreihe entwarf Khatami zudem Perspektiven einer zukünftigen Reformpolitik.

 

Staatsführung gegen den "Vormarsch der Säkularen"

 

Doch die Rolle des erfahrenen Staatsmanns ist zweifellos leichter als ein erneutes Ringen mit den deutlich erstarkten Konservativen. Bislang beantworteten regierungsnahe Medien jede öffentliche Äußerung des Ex-Präsidenten mit Hetzkampagnen. Auch Revolutionsführer Khamenei attackierte wenige Tage vor Khatamis Auftritt an der Universität noch einmal den "Vormarsch der Säkularen" unter seiner Regierung.

 

Mehdi Karrubi, früherer Parlamentspräsident; Foto: IRNA
Bisher hat nur der frühere Parlamentspräsident Mehdi Karrubi offiziell seine Kandidatur erklärt.

​​ Der neu entflammte Enthusiasmus der Reformkräfte für ihren Schirmherrn verdeutlicht nicht zuletzt den Mangel an Alternativen. Allein der frühere Parlamentspräsident Mehdi Karrubi hat offiziell seine Kandidatur erklärt. Der gemäßigte Kleriker verfehlte bei den Wahlen 2005 den Einzug in die zweite Runde nur knapp hinter Ahmadinejad. In einem offenen Brief an den Revolutionsführer protestierte er anschließend gegen Wahlmanipulation.

 

Karrubi hat sich in der Vergangenheit allerdings wiederholt von den progressiveren Reformkräften distanziert, so dass diese ihn kaum als Kandidaten des gesamten Lagers akzeptieren werden. Ebenso wenig kann der 70-Jährige die Wähler der modernen Mittelschicht mobilisieren, die mit vielen Enthaltungen ein großes Stimmenpotential bieten.

 

Abdollah Nuri: Rütteln an den Grundfesten der Republik

 

Teile der Studentenbewegung plädieren daher für Abdollah Nuri, der unter Rafsanjani und Khatami das Amt des Innenministers bekleidete. Der populäre Reformpolitiker war 1999 unter anderem wegen "Verunglimpfung des Islam" von einem Sondergericht für Geistliche zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. In einer spektakulären Verteidigungsrede hatte er an den Grundfesten der Islamischen Republik gerüttelt und die Vollmachten des Revolutionsführers in Frage gestellt.

 

Reformpolitiker Abdollah Nuri; Foto: ISNA
Wegen "Verunglimpfung des Islam" war Ex-Innenminister Abdollah Nuri 1999 zu fünf Jahren Haft verurteilt worden: Er hatte die Vollmachten des Revolutionsführers in Frage gestellt.

​​ Dem Journalisten Ahmad Zeidabadi zufolge könnte Nuri mit seiner Courage zur mobilisierenden Symbolfigur einer breiten Bewegung für politischen Wandel werden. Die Zurückweisung seiner Kandidatur müsste der konservative Wächterrat mit einem weit reichenden Wahlboykott bezahlen. Für das Regime bildet eine hohe Wahlbeteiligung jedoch ein wichtiges Mittel der Legitimation nach außen.

 

Zur Debatte steht schließlich auch Mir-Hossein Mussavi, der das Land von 1981 bis 1989 als letzter Premierminister durch den Krieg mit Irak führte, bevor dieser Posten mit einer Verfassungsänderung abgeschafft wurde. Der pragmatische Technokrat könnte eine Brücke zwischen Reformlager und gemäßigten Konservativen schlagen. Angeblich hat Mussavi bei Gesprächen mit führenden Köpfen beider Seiten Bereitschaft signalisiert, macht seine Kandidatur jedoch abhängig von Khatami.

 

So zeigt die Suche nach einem passenden Kandidaten die Vitalität, aber auch das Dilemma der iranischen Reformer. Sie fordern einen amtierenden Präsidenten heraus, dessen radikale Anhängerschaft eine Wiederwahl um jeden Preis durchsetzen will. Dabei stehen sie der Machtelite gegenüber, die sich in den Schlüsselbastionen des Regimes gegen jedweden Wandel stemmt.

 

Auf der anderen Seite hingegen findet sich eine Bevölkerung, die Veränderungen ersehnt – und zwar hauptsächlich in wirtschaftlicher Hinsicht. Allein mit Beschwörung der Vergangenheit wird dieser Spagat nicht zu schaffen sein.

 

Marcus Michaelsen

 

© Qantara.de 2008

 

Marcus Michaelsen ist Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt. Für seine Dissertation zum Thema "Das Internet im Transformationsprozess der Islamischen Republik Iran" hielt er sich während der letzten Jahre mehrfach in Iran auf.

 

Qantara.de

 

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