Hinter den Kulissen der Islamischen Republik
Iran ist sicherlich eines der umstrittensten, meist diskutierten und am schwersten zu verstehenden Länder in der aktuellen politischen Berichterstattung.
Die Vielfältigkeit der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte wird in den Debatten um das Land aber in der Regel ausgeklammert. In den öffentlichen Diskussionen dominieren Stigmatisierungen und populistische Argumente, die entweder die "gute" oder die "böse" Seite Irans betonen. Nüchterne Analysen sind rar.
Volker Perthes ist hierbei eine der positiven Ausnahmen. Der Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zeichnet sich neben seiner exzellenten Fachkenntnis auch durch die Fähigkeit aus, das weit gefächerte Problemfeld Iran nüchtern und sehr ausgewogen zu analysieren, so auch in seiner jüngst erschienenen Studie "Iran – Eine politische Herausforderung".
Heterogenität der iranischen Gesellschaft
In seiner 156 Seiten umfassenden Studie gelingt es Perthes, den Iran in seinen Grundzügen zu erklären und Stereotypen entgegenzuwirken. Während Präsident Mahmoud Ahmadinedschads Äußerungen oft als Meinungsbild einer gesamten Nation fehl gedeutet werden, gelingt es Perthes, in unmissverständlichen und prägnanten Sätzen die Vielschichtigkeit sowie Heterogenität der iranischen Gesellschaft darzulegen.
Dabei beschreibt er auch überzeugend, dass die inneriranische Kritik am Präsidenten durchaus zum politischen Tagesgeschäft gehört.
Ahmadinedschads verfehlte Wirtschaftspolitik und seine außenpolitische Polemik sind dabei zwei wesentliche Aspekte, die den Präsidenten während seiner Amtszeit zunehmend in die Defensive gebracht haben.
Perthes wird dem Anspruch gerecht, den Iran als das zu schildern, was es ist: Ein Land, das verschiedenste politische Tendenzen und Strömungen aufweist, in denen soziale und parteipolitische Differenzen und Konfliktlinien bestehen, die umfassend in eine Wertung der politischen Landschaft einbezogen werden müssen – will man zukünftig einen nachhaltigen Dialog mit Iran führen.
Blockierte Politik, blockierte Ökonomie
Weiter beleuchtet Perthes die wirtschaftliche Situation: Dabei sei Iran – trotz seiner enormen Öl- und Gasressourcen – noch immer nur ein "Schwellenland". Subventionen, veraltete Raffinerien, der weiterhin enorme Einfluss der so genannten "bonyads", der religiösen Stiftungen, sowie der staatliche Wirtschaftsdirigismus hemmen das Wachstum und die Entwicklung der Islamischen Republik.
Teile der Elite streben eine Öffnung sowie Privatisierung und Liberalisierung an und kritisieren die "populistische Wirtschaftspolitik" des Präsidenten, die sich bisher als absolut ineffektiv erwiesen hat. Eine starke Fraktion der konservativen Kräfte stützt jedoch die Politik der Isolation und des Protektionismus.
Ein rational handelnder Akteur
Dabei ist die iranische Politik jedoch keineswegs so unbegreiflich oder gar "irrational", wie im Westen oftmals kritisiert wird. Im Gegenteil: Volker Perthes stellt die These auf, dass "die Islamische Republik Iran ein rationaler oder 'logisch' handelnder Akteur ist, der Chancen und Risiken abwägt und den eigenen Nutzen zu mehren versucht."
Demnach strebe der Iran nach einer Vormachtstellung im Nahen und Mittleren Osten – insbesondere nach dem Fall des Iraks und der überdeutlichen Präsenz der USA in der Region.
Der Iran, so Perthes, vertraue niemandem. Auch hierfür sind zum Teil historische Erklärungen zu suchen, unter anderem in dem vom CIA und britischen Geheimdienst organisierten Sturz des ersten und bislang einzigen frei und demokratisch gewählten Premierminister Irans, Mohammad Mossadegh, im Jahr 1953.
Dennoch sei es ein Trugschluss, davon auszugehen, dass der Iran auf Beziehungen zu den USA keinen Wert lege, meint Perthes. Sogar Ahmadinedschad habe daran Interesse – trotz seiner anti-amerikanischen Polemik und Kritik.
Zukunftsfähige Strategie im Umgang mit Iran
Auch beim Thema Atomprogramm behält Perthes seine differenzierte Sichtweise vor. Während man im Westen davon ausgehe, dass der Iran nach der "Bombe" strebe, sei es in Wirklichkeit recht unklar, was die Führung des Landes wirklich beabsichtige.
"Wir können davon ausgehen, dass wichtige Teile des Establishments den Konflikt um das Atomprogramm als eine Frage der Gleichberechtigung in einer Welt betrachten, die Iran das vorenthalten möchte, was anderen erlaubt worden ist", hält Perthes fest.
Allerdings weist der Nahostexperte auch mit Bestimmtheit darauf hin, dass die Beteuerung Irans, Nuklearenergie nur für friedliche Zwecke nutzen zu wollen, mit äußerster Vorsicht zu genießen sei und negiert keineswegs die drohenden Gefahren. Ziel muss es daher sein, eine zukunftsfähige Strategie im Umgang mit Iran zu entwickeln.
Vor allem eine Normalisierung der iranisch-amerikanischen Beziehungen sei wünschenswert, da dadurch eine graduelle Liberalisierung im Land gefördert werde. Als Verhandlungspartner schlägt Perthes hierbei Südafrika vor: das Land ist blockfrei und aufgrund der Aufgabe des eigenen Atomprogramms ein glaubwürdiger Gesprächspartner, folgert Perthes.
Pragmatismus und Sachlichkeit
Perthes beschreibt den Iran als ein Land der inneren Konfliktlinien, der Streitigkeiten zwischen Hardlinern, Reformern und Pragmatikern, ein Land zwischen Traditionalisten und Modernisten, zwischen religiöser und weltlicher Elite, zwischen "jugendlicher Dynamik" und "postrevolutionärer Starrheit".
Perthes Studie ist für den interessierten Laien ebenso geeignet wie für den sachkundigen Leser, da sie zeigt, wie pragmatisch und ausgewogen man die politische Herausforderung Iran behandeln kann – ohne dabei die drohenden Gefahren aus dem Blick zu verlieren.
Sebastian Sons
© Qantara.de 2009
Perthes, Volker: Iran – Eine politische Herausforderung, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008.
Qantara.de
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