Kulturelle Ambitionen um jeden Preis
Die neue riesige Messehalle von Abu Dhabi sieht wie ein längliches, silbrig schimmerndes UFO aus. Im Innern schlendern Frauen, Männer und Kinder zwischen den Ständen und kaufen arabische, englische - und dieses Jahr auch zum ersten Mal - deutsche Bücher. In der großzügigen Kinderecke werden Malwettbewerbe abgehalten und Geschichten vorgelesen. Am äußersten Ende der Halle ist ein Diskussionsforum eingerichtet.
Gesprächsrunden mit internationalen Gästen zu literarischen Themen, aber auch zu kontroversen Fragestellungen, wie etwa zu Toleranz und Fundamentalismus, werden abgehalten. Fachbesucher und Aussteller können an Diskussionen über Vertriebsstrategien oder Marketing teilnehmen. In früheren Jahren wurde die Messe in einem großen Zelt mitten in der Stadt abgehalten und war ausschließlich als Verkaufsmesse organisiert.
Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse
Jumaa al-Qubaisi, Direktor der Buchmesse von Abu Dhabi, ist sichtlich stolz auf den Wandel, den die Bücherschau innerhalb eines Jahres durchgemacht hat: "Wir haben versucht dieses Jahr völlig anders zu sein. Wir versuchen bei der Organisation der Buchmesse professionell zu sein und keinen reinen 'Bücherbasar' mehr abzuhalten, sondern Verleger aus der ganzen Welt hier zusammen zu bringen." Diese Veränderungen sind das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit mit der Frankfurter Buchmesse. Die Verantwortlichen in Frankfurt, die bereits jahrelange Erfahrungen in diversen arabischen Buchmessen gesammelt haben, sind vom neuen Standort in den Vereinigten Arabischen Emiraten als Schlüssel für den arabischen Buchmarkt überzeugt.
Teuerste Buchmesse in der arabischen Welt
Die Neuausrichtung ist allerdings bei vielen arabischen Verlegern nicht auf Begeisterung gestoßen. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die um die vielfach gestiegenen Standkosten. Die Buchmesse von Abu Dhabi ist nun die teuerste in der arabischen Welt, obwohl sie vom Verkauf bei weitem nicht die lukrativste ist. Da es in der arabischen Welt keine funktionierenden Vertriebsstrukturen gibt, sind Buchhandlungen, öffentliche Bibliotheken und Leser auf die in verschiedenen Ländern stattfindenden Buchmessen angewiesen. Und für die meisten Verleger sind die Messen eine unerlässliche Einkommensquelle.
Kulturpolitischer Wandel
Die Neukonzeption der Buchmesse von Abu Dhabi ist nur ein Teil der neuen Kulturpolitik im Emirat Abu Dhabi. Seit dem Tod des Staatsgründers und des Regenten von Abu Dhabi, Sheikh Zayed, im November 2004 wurden zahlreiche ehrgeizige Pläne in Angriff genommen, die das Bild des reichsten und größten Emirats in der Föderation der sieben Emirate nachhaltig verändern werden.
Das bekannteste Projekt, das auch international für Furore sorgt, ist die Entwicklung der Insel Saadiyat. Die Insel soll bis zum Jahr 2018 neben Hotels, Yachthäfen, Wohnanlagen auch einige Museumskomplexe beherbergen, unter anderem den "Louvre Abu Dhabi". Zum neuen Kulturpaket gehört auch ein Übersetzungsprojekt, das jährlich 300 bis 400 Titel aus allen Sparten den arabischen Lesern zur Verfügung stellen soll. Der "Sheiykh Zayed Book's Award" im Gesamtwert von knapp zwei Millionen Dollar, der in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen wurde, zeichnet verschiedene kulturelle Leistungen aus. Und Abu Dhabi soll mit seiner Buchmesse zum Verlagszentrum in der arabischen Welt werden.
Wettbewerb um Prestigeobjekte
Die Ambitionen von Abu Dhabi im kulturellen Bereich sind neu. Bisher galt Sharjah, eine der erdölarmen Emirate mit Sheikh Sultan al-Qasimi an der Spitze, als kulturelles Zentrum des Landes. Einige Museen, Theaterfestivals, die Sharjah Biennale und eine Buchmesse sind die Aushängeschilder. Dubai wartet mit einem internationalen Filmfestival auf und versucht sich als Plattform für den internationalen Kunsthandel zu etablieren.
Abu Dhabi zieht nun mit im Wettbewerb um kulturelle Prestigeobjekte. Aber der kulturelle Ehrgeiz der reichen Sultanate, Scheichtümer und Königreiche am Persischen Golf sollten auch vor dem Hintergrund der Veränderungen dieser Länder in den letzten Jahren gesehen werden: Sie verstehen sich schon lange nicht mehr als kulturelle Entwicklungsländer im Vergleich zu den klassischen Zentren in der arabischen Welt, wie Beirut, Kairo oder Bagdad. Die Machthaber verfügen über schier unerschöpfliche Geldmittel, haben Kultur als Image förderndes Mittel entdeckt und haben eine relative politische Öffnung zugelassen.
An der Bevölkerung vorbei
Die Presselandschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist bisher von keiner Öffnung erfasst worden. Was die einfache Bevölkerung, die Intellektuellen und Künstler in den Emiraten von den zum Teil atemberaubenden Kulturprojekten halten, wird in der Öffentlichkeit nicht debattiert. Mohammed Ahmad Ibrahim gehört zu den bekanntesten Künstlern in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auf der Anfang April eröffneten Sharjah Biennale ist er mit einer Installation vertreten. Ibrahim weist auf die absurde Situation hin, dass es in den Emiraten an Schulen keinen Kunstunterricht gibt:
"Die Emiratis haben in der Regel sehr wenig Vorwissen in Sachen Kunst. Erst Kunstereignisse - wie zum Beispiel die Biennale - führen die Menschen an die Kunst heran. Alle großen Projekte kommen von oben und man kann nur hoffen, dass sie die Verantwortlichen zum Nachdenken bringen und dazu bewegen, bald eine wirkliche Infrastruktur zu schaffen." Der Filmemacher Masud Amrallah findet alle Kulturprojekte erfreulich und wichtig, aber auch er vermisst in vielen Bereichen die Schaffung einer notwendigen Infrastruktur: "Wir gehen die Dinge vom Ende an und machen riesengroße Sprünge. Das finde ich beängstigend."
Kaum Unterstützung für einheimische Produzenten
Seit vielen Jahren fordern Amrallah und andere Filmemacher aus den VAE die Gründung einer Filmakademie, vergebens. Staatliche Unterstützung für einheimische Produktionen gibt es nicht: "Diese Generation von Filmemachern bezahlt alles aus eigener Tasche, wenn sie irgendwann resigniert aufgeben, dann wird es keine Filme mehr aus den Emiraten geben. Ich weiß nicht ob nächstes Jahr überhaupt ein Film entstehen wird."
Aber Amrallah versucht auch Verständnis für sein junges Land zu gewinnen, wo das Verhältnis zur Kultur nicht mit Gesellschaften zu vergleichen sei, die eine allmähliche, jahrhunderte dauernde Entwicklung durchgemacht haben. Es ist noch zu früh, ein Urteil über das neue Konzept der Buchmesse von Abu Dhabi und über die Ergebnisse der Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse zu fällen. Aber eines ist sicher: Viele arabische Verleger müssen noch für die Idee der Schaffung einer professionellen Plattform und von der Einschränkung des "Bücherbasars" gewonnen werden.
Mehr Überzeugungsarbeit ist notwendig. Und ob Abu Dhabi in naher Zukunft sich als Buch- und Verlagszentrum in der arabischen Welt etablieren wird, hängt von der Entwicklung des arabischen Buchmarktes und Verlagswesens ab, die nicht zuletzt am Niedergang des arabischen Geisteslebens kranken.
Mona Naggar
© Qantara.de 2007