Bleischwere Tabus
Man wollte es wohl anderen erfolgreichen Seifenopern gleichmachen. Wie etwa der türkischen Serie "Noor", die bis Ende August Tabuthemen muslimischer Gesellschaften via Fernsehen in die Wohnzimmer gebracht hatte.
Täglich verfolgten Millionen von Fans in Marokko, Syrien oder Saudi-Arabien die Lebensgeschichte von Noor und ihrer Familie. Aber auch in den palästinensischen Städten leerten sich zur abendlichen Sendezeit die Straßen, obwohl Vertreter der populären radikal-islamischen Hamas vor der Serie gewarnt hatten, sie verstoße gegen "Religion, Werte und Tradition". Ein Publikum, das sich über religiöse Lehrmeinungen hinwegsetzt und bereit für kritische Inhalte ist, sollte beste Voraussetzung für ähnliche Folgeprojekte sein.
"Über Unterhaltung kann man ernsthafte und wichtige Themen ansprechen", sagte Fabienne Bessonn, Mitglied der Europäischen Kommission, die zusammen mit dem Goethe Institut und der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) die Produktion der ersten palästinensischen Seifenoper Matabb mit 170.000 Euro gefördert hatten.
Eine klägliche Summe, gemessen am Standard von etablierten Serienproduktionen, wie der Lindenstraße, die dem palästinensischen Pendant als Vorbild galt. Der Geldmangel konnte nur durch praktischen Einfallsreichtum und selbst aufopferndes Engagement wettgemacht werden.
Auf Eis gelegt, aber kein Beinbruch
Umso bitterer, dass die Palestine Broadcast Cooperation (PBC) die geplante Ausstrahlung der Serie kurzfristig absetzte. Vom ersten bis zum zehnten September hätten die zehn Folgen von Matabb über Satellit in alle Welt ausgestrahlt werden sollen. Und das zur Primetime im Ramadan.
Denn nach dem Iftar, dem Fastenbrechen nach Sonnenuntergang, sitzen die Familien gemeinsam vor dem Fernseher und verdauen ihre schweren Mahlzeiten in aller Ruhe. Für ihre Werbesendeplätze erzielen Fernsehkanäle um diese Zeit Höchstpreise.
PCB begründete die vorläufige Absetzung von Matabb damit, man wolle sicher gehen, "dass keine Szenen, die für die eine oder andere Seite anstößig sein könnten" gesendet werden. Ein Komitee habe alle zehn Folgen überprüft und sei zum Schluss gekommen, einige Szenen müssten geändert werden. Darunter zwei, in denen ein Palästinenser israelischen Soldaten an einem Checkpoint Blumen überreicht und ein anderer von einem Selbstmordattentat träumt. "Das ist keine Zensur", betonte Jehia Barakat, der Programmdirektor von PBC.
"Erschüttert und zutiefst enttäuscht" war George Khleifi, der Regisseur von Matabb. Doch letztlich ist es kein totaler Beinbruch: Zum einen wird die Serie von Maan TV gezeigt, auch wenn der Sender in Palästina nur über Antenne zu empfangen ist. Außerdem kann Matabb zu einem späteren Zeitpunkt auch noch über Satellit gehen, sobald die von PBC geforderten Änderungen durchgeführt wurden.
Auf einen schmalen Grad
Allen an der Produktion beteiligten Personen war von Anfang an klar, dass sie auf einem schmalen Grad wandern. Insbesondere, wenn man heikle Themen anspricht, die gewöhnlich unter den Tisch gekehrt werden. "Wir sprechen nur über die Besatzung und Kontrollpunkte", sagte Shaden Zamamiri, eine der Hauptdarstellerin in einem Interview mit der Tagesschau. "Nie über eigene Probleme, da herrscht Schweigen."
Es ist genau diese gesellschaftliche Grauzone, die Matabb auf dem Bildschirm für alle sichtbar machen will. "Brennende Inhalte diskutieren", nennt es Farid Majari, Direktor des Goethe Instituts in Ramallah, gleichzeitig Produzent und Drehbuchschreiber der Seifenoper. "Über das eigene Liebesleben entscheiden, Gewalt gegen Frauen und ihr berufliches Fortkommen oder Arbeitsteilung in der Familie", sind solche heißen Themen.
Ursprünglich hatte Majari die Idee, noch einen Ehrenmord und einen schwulen Charakter einzubauen. Er habe aber darauf verzichtet, da dies doch etwas zu weit gegangen wäre. Palästina ist schon lange kein Ort von Liberalität mehr. Im Westen würde man von Selbstzensur sprechen, aber letztendlich machte der Goethe-Direktor nichts anderes als Drehbuchschreiberkollegen in Deutschland, Frankreich oder in den USA. Sie alle orientieren sich an den Konsumgewohnheiten der Fernsehzuschauer und vermeiden es geflissentlich, negativ zu provozieren. Koste es, was es wolle.
Bleischwer statt leichtfüßig
Dabei geht es bei der Serie Matabb nicht um Unterhaltung als Selbstzweck. Sie ist eine Art trojanisches Pferd, mit einem Bauch voller Inhalte, die transportiert werden sollen. Wer allerdings die ersten Episoden ansieht, weiß, da wurde des Guten ein bisschen zuviel getan.
Die Handlung ist um die Mitarbeiter einer NGO angelegt, die den Namen "Initiative zur Förderung von Kunst, Kultur und Entwicklung Palästinas" trägt. Für Palästinenser, die Tag für Tag mit unzähligen Nichtregierungsorganisationen zu tun haben, durchaus ein Grund zum herzhaften Lachen. Ansonsten sind die Episoden leider eher tröge, gespickt mit bleischweren Inhalten. Statt Unterhaltung und Spaß ein unaufhaltsamer Ablauf von Problemen, die obendrein auch noch meist sehr klischeeträchtig und mit erhobenem Zeigefinger präsentiert werden.
Man kann sich kaum vorstellen, dass Palästinenser, deren reales Leben unter israelischer Besatzung problemgeladen genug ist, sich diese Aufklärungsserie zum Feierabend ansehen wollen. Noch dazu im Ramadan, im dem, vergleichbar zur westlichen Weihnachtszeit, künstliches Harmoniestreben angesagt ist. Bei allem guten Willen und Einsatz, der Seifenoper fehlt einfach der nötige Humor, der Menschen dazu bringt, über sich selbst zu lachen und nachzudenken.
Alfred Hackensberger
© Qantara.de 2008
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WWW
Das Goethe-Institut hat eine Webseite zu Matabb eingerichtet, darauf kann man sich auch die Serie anschauen