Der neue kalte Krieg
Manchmal hilft die Erinnerung. Zum Beispiel an das Jahr 1983. Die Fronten im westdeutschen Meinungskampf waren seit Jahrzehnten verhärtet.
Wie mit den sozialistischen Ländern umgegangen werden sollte, wie verwerflich der Kommunismus war – das waren unverhandelbare Glaubensfragen. Abgrenzung schien wichtiger, als aufeinander zuzugehen, Zwischentöne hatten es schwer.
Die Diskussionen in den deutschen Feuilletons und Internetforen in den letzten Wochen ähneln dieser Situation auf fatale Weise. Gegenstand des neuen kalten Meinungskriegs ist der Islam. Die Fronten verhärten sich jetzt: Es geht offenbar nicht mehr um Wahrheitsfindung und Argumente, gefragt sind Schanzarbeiten für den bevorstehenden medialen Stellungskrieg.
Zensur oder Rassismus?
Der Schweizer Volksentscheid gegen Minarettbau, und der Attentatsversuch gegen den Zeichner der Mohammed-Karikaturen hat die seit dem 11.9.2001 schwelende Debatte schonungsloser denn je wieder angefacht. Auf der einen Seite: Diejenigen, die den Islam erklärtermaßen als Feind und fundamentale Bedrohung begreifen.
Auf der Gegenseite nicht so sehr die Muslime selbst, sondern ihre einheimischen Anwälte und Fürsprecher. Denen werfen die Islamkritiker wie Henryk Broder nichts Geringeres vor als Zensur, Duckmäusertum und Verrat an den Idealen der Aufklärung und westlichen Zivilisation.
Die Islamverteidiger schlagen zurück, indem sie den Islamkritikern rassistische oder religiöse Vorurteile unterstellen, und ihre undifferenzierten Argumente geißeln. So etwa der Journalist Claudius Seidl, der in der Frankfurter Sonntagszeitung Broder angegriffen hatte.
Und die Muslime selbst? Auch sie teilen sich in zwei Lager. Gegenüber der großen Mehrheit der Gläubigen oder sich kulturell dem Islam zugehörig Fühlenden steht eine kleine, aber in den Medien sehr aktive Gruppe säkularisierter und rückhaltlos den Idealen des Westens verpflichteter (Ex-) Muslime, die es als ihre Mission begreifen, vor dem Islam zu warnen.
Am prominentesten ist derzeit wohl Necla Kelek. Ihre Stellungsnahmen sind gefragt und ihre (meist von ihnen selbst niedergeschriebene) Lebensgeschichte, scheint die Authentizität ihrer Urteile zu verbürgen.
Wenn ein Deutscher sagt, der Islam sei schlecht, liegt der Verdacht eines Vorurteils nahe. Wenn ein Muslim oder eine Muslima vor dem Islam warnt, klingt es viel glaubwürdiger. Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Selbst die, die sich lautstark vom Islam abgekehrt haben, plädieren ja letztlich für ihre eigene Sache, nämlich die Abkehr.
Die Rolle der säkularisierten Muslime
Diese säkularisierten Muslime sind daher jetzt verstärkt ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Sie würden letztlich nicht weniger pauschal argumentieren als die vourteilsbelasteten europäischen Islamkritiker und, ganz wie diese, einer einseitigen kulturellen Hegemonie des Westens das Wort reden, so etwa die Psychologin Birgit Rommelspacher in der Berliner taz.
Sie würden den Islam für Probleme verantwortlich machen, die weniger mit der Religion als mit bestimmten sozialen Milieus oder lokalen Traditionen zu tun haben. Diese Kritik wurde von den kritisierten (Ex-) Muslimen ihrerseits als Affront, Versuch zur Zensur und subtile Form des Rassismus verstanden.
Die Debattenlage ist verwirrend, und ein um Sachlichkeit bemühter Beobachter wird kaum eine Position finden, mit der er sich vorbehaltlos identifizieren kann. Dabei wurde die Frage, wie es sich mit dem Islam nun in Wahrheit verhält (falls er als solcher überhaupt zu greifen ist), noch gar nicht berührt.
Mit gutem Grund. Es geht nämlich nur in zweiter Linie um den Islam als solchen. Tatsächlich geht es um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Es geht um Deutschland und um Europa. In der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Islam geht es letztlich, so kann vermutet werden, um die Angst, die Transformationsprozesse in unserem Land nicht mehr adäquat beeinflussen zu können.
Nun ist aber offensichtlich, dass auch der Islam ein Opfer der weltweiten Transformationsprozesse ist. Das Erstarken des Fundamentalismus ist, wie oft in solchen Fällen, die Reaktion darauf, das wenig erbauliche Bild, das der Islam heute abgibt, das beklagenswerte Resultat.
Über eine Berechtigung von Kritik an vielen Ausprägungen des Islams braucht nicht diskutiert werden; sie ist selbstverständlich. Tatsächlich wird der Islam derzeit an allen Ecken und Enden kritisiert, auch von Muslimen, auch in der islamischen Welt.
Kritik am Islam – statt etwa an Problemen der eigenen Wirtschaft und Politik – ist die wohlfeilste Form der Kritik, die derzeit auf dem Meinungsmarkt zu haben ist. Wer als Nichtmuslim den Islam angreift, ist ein tapferes Schneiderlein, aber kein Held der Meinungsfreiheit.
Selbstkritik oder Anbiederung?
Anders sieht es aus, wenn die Muslime den Islam attackieren, mit einem Wort, eine Art Selbstkritik üben, was immer von Mut zeugt. Wo diese Selbstkritik wie bei Necla Kelek nicht etwa auf türkisch, sondern im Rahmen der deutschen Medienlandschaft geführt wird, ergibt jedoch sich eine die Debatten anheizende Doppelsinnigkeit.
Da das Zielpublikum sowohl Deutsche als auch Muslime sind, liegt die Gefahr von böswilligen Deutungen nahe. Vom Islam überzeugte Muslime könnten zu der Ansicht gelangen, dass es diesen muslimischen Kritikern nicht um die Sache gehe, sondern um eine Art Rache, um eine Abrechnung oder um Anbiederung gegenüber den Deutschen.
Was das nicht-muslimische Publikum angeht, so liegt ein Missbrauch durch diejenigen nah, die ohnedies anti-islamische Ressentiments hegen. Eine solche Lesart liegt dann umso näher, wenn auch diese den Islam attackierenden Muslime ein Ressentiment gegen ihre Religion zu haben scheinen.
Psychologisch ist das sehr nachvollziehbar, denn oft haben diese Menschen unter den Zuständen ihrer Kultur und damit unter dem Islam gelitten, so wie ja auch viele Christen, die sich vehement gegen das Christentum gewendet haben, gebrannte Kinder sind.
Die Motive der muslimischen Islamgegner zu psychologisieren, wäre jedoch ein Fehler. Es kommt nicht darauf an, was sie antreibt, und auch nicht darauf, gegenüber wem sie sich in welcher Sprache äußern, so klug es ist, ein Bewusstsein für Kontexte zu haben.
Sagen wir es im Geist der Aufklärung, auf die sich gegenwärtig so viele berufen: Es kommt auf die Klarheit, Sachlichkeit und Unterscheidungskraft der Argumente an. Wenn diese Kriterien gegeben sind, wird die Kraft des Gedankens alle anderen Erwägungen überstrahlen.
Mangelnde Abgrenzung zu Extremisten
Aber in den laufenden Debatten mangelt es beiden Seiten genau daran. Statt Klarheit finden wir große Rhetorik, statt Sachlichkeit wilde Polemik, statt Unterscheidungskraft haarsträubende Pauschalurteile. Die Diskussionen sind, mit einem Wort, niveaulos.
Man lernt nichts daraus, aber sie nötigen einen dazu, sich blind für eine Partei zu entscheiden. Problematischer noch ist dies: Keine der beiden Seiten grenzt sich genügend gegen ihre extremen Ränder ab.
Die Islamkritiker haben es noch nicht gelernt, sich von einem durchaus existierenden anti-islamischen Ressentiment distanzieren, das bedenkliche Parallelen zum klassischen Antisemitismus aufweist.
Die Gegner der Islamkritiker hingegen müssen sich viel deutlicher auch gegen die ebenso existierenden reaktionären Tendenzen unter den Muslimen wenden. Erst dann besteht die Chance, dass die Grabenkämpfe wieder einem Gespräch weichen werden.
Mag der Kapitalismus, mögen wir den alten Kalten Krieg gewonnen haben – den neuen wird schon deshalb keine Seite für sich entscheiden, weil die Muslime, ob es uns nun gefällt oder nicht, mittlerweile ein Teil von uns sind.
Stefan Weidner
© Qantara.de 2010
Stefan Weidner ist Autor des Buchs "Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausforderung ist.", Verlag der Weltreligionen, Frankfurt 2009.
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