Die Lust an der Kontroverse
In Teheran mit seinen 12 Millionen Einwohnern, gibt es nicht nur immer mehr Fast-Food-Restaurants, Pizzerias, Softeis-Ketten und Benetton-Filialen, sondern – neben unzähligen Buchhandlungen - inzwischen auch 200 Galerien. Darüber hinaus präsentiert sich moderne Kunst in so genannten "Off-Galerien", im risikofreien Raum halbprivater Kreise, und auf eigenen Websites.
Diese Szene haben nun zwei Künstlerinnen erkundet. Die Schweizerin Susann Wintsch und die seit 1991 in Deutschland lebende Iranerin Parastou Forouhar sind zwischen 2005 und 2006 insgesamt fünfmal in den Iran gereist und stellen nun das Kunstmagazin "Treibsand" vor, das als DVD erschienen ist.
Aufbruchswillige Avantgarde in der Zeitschlaufe
"Treibsand – Analyzing while waiting (For time to pass)" versammelt dabei gefilmte Installationen und Performances, Kunst-Videos, Fotografien, Bilder und Kommentare von Künstlern, Kritikern und Kennern.
Ganz anders als das Propagandagetöse aus Teheran präsentiert sich die neue iranische Kunst als subtil und vielschichtig. Der Titel gibt dabei schon eine erste Orientierung vor: "Warten in der Zeitschlaufe" deutet die Stagnation an, mit der sich die aufbruchwillige Avantgarde im Iran konfrontiert sieht.
Das Video "A few Centimeters above Sealevel" von Neda Razavipour etwa zeigt eingesperrte Goldfische – das traditionelle iranische Glückssymbol -, deren Glasbehältnis durch Tinte zunehmend eingeschwärzt wird. Auch Samira Eskandarfar thematisiert die allgemeine Enge, den Mangel an öffentlichem Raum.
In ihrem Film "Monologue under white light" ergeht sich ein junges Pärchen in immer absurderen privaten Ritualen und redet schließlich in unverständlichen, dadaistischen Phrasen.
Und mit der Fotoarbeit "Bodiless" zeigt Mehraneh Atashi, wie sie sich dem für Frauen verbotenen "Krafthaus" der Männer (einer Art traditionellem Fitness-Center) nähert: Das martialisch-rituelle Training mit Ketten, Holzschilden und schweren Keulen fotografiert die junge Künstlerin nur indirekt, durch einen Spiegel.
Unaufhaltsamer Wandel
Einer der maßgeblichen Förderer dieser neuen künstlerischen Vielfalt ist Alireza Sami-Azar. Als langjähriger Leiter des Teheraner "Museum of Contemporary Art" hatte er iranische Künstler mit Auslandsstipendien in den Westen geschickt und ihnen den Zugang zum internationalen Kunstmarkt ermöglicht.
Nach Ahmadinedschads Amtsantritt vor fast zwei Jahren wurde er nun abgesetzt - und hält dennoch die unter dem Amtsvorgänger Chatami initiierte Reformbewegung für unaufhaltsam:
"Diese Periode hatte größeren Einfluss auf die zeitgenössische Kunst als die durch die Islamische Revolution hervorgerufenen Änderungen", so Alireza Sami-Azar. "Der politische Umschwung dieser Zeit ist in einen tief greifenden Prozess des kulturellen Wandels eingebettet, der meiner Meinung nach nicht aufgehalten werden kann."
Sami-Azars Bilanz klingt bestechend: 60 Prozent der Kunststudierenden sind Frauen – überhaupt stellen Frauen wichtige Protagonisten der jungen Kunstszene. Vielerorts haben sich die unabhängigen Künstler selbst organisiert und auch an den Universitäten ein Mitspracherecht erkämpft.
Die Verwendung neuer Medien in den Künsten trägt der Öffnung einer ehemals isolierten Gesellschaft Rechnung, die per Internet und Satellitenschüssel längst schon an der Globalisierung teilhat.
Kritische Reflexion des westlichen Orientbildes
Dennoch ist die Freiheit der jungen Künstler gleich in doppelter Hinsicht eingeschränkt: Durch die hinlänglich bekannte, jüngst wieder angezogene Zensur, aber auch durch die Erwartungen des internationalen Kunstmarktes, der im Moment Ausschau hält nach Talenten aus der Peripherie, der "Dritten Welt", und dabei bestimmte Klischees und Stereotype voraussetzt.
Iman Afsarian, Maler und Redakteur einer Teheraner Kunstzeitschrift, beschreibt auf "Treibsand" das Vorgehen der dominanten westlichen Kultur als neokolonialistischen Beutezug, der eine entsprechend zynische Reaktion der iranischen Künstler hervorruft: Diese greifen gängige Themen im Westen auf – ob Freiheit, Menschenrechte oder das Kopftuch -, laden diese mit Doppeldeutigkeiten und Symbolik auf und füttern damit hungrige Kuratoren.
Dieser Markt funktioniert, solange die modisch-exotischen Künstler kritische Selbstbeschau betreiben, oder auch den narzisstischen Westen und seinen Blick auf den "Orient" durchleuchten.
Blick aus dem Brunnen
Und es wird heikel, wenn sie selbst als Subjekt wahrgenommen werden wollen. Als passendes Sinnbild für die Situation des Iran mag eine Videoarbeit von Simin Keramati dienen: "The upper edge of the wall" ist aus der Perspektive einer in einen Brunnen gefallenen Person gefilmt. Am oberen Bildrand sieht der Betrachter eine Passantin, die auf Englisch eine zeitlang ruft: "Spring doch, na nun spring schon", dann nach einer Weile weitergeht - peinlich berührt, gelangweilt oder genervt.
Auf "Treibsand" gibt es noch viel mehr zu entdecken. Die von Parastou Forouhar und Susann Wintsch vorgestellte neue iranische Kunst offenbart eine Vielstimmigkeit, eine Lust an der Kontroverse und eine Annäherung an gesellschaftliche Komplexitäten, die man andernorts selten findet.
Nicht in den offiziellen Teheraner Staatsaktionen und nicht in der an gesellschaftlichen Details und Hintergründen armen westlichen Berichterstattung. Neue, lebendige Bilder gegenüber alten Stereotypen zu etablieren ist eben schwierig - gerade, wenn es den Iran betrifft.
Amin Farzanefar
© Qantara.de 2007
TREIBSAND [VOLUME 01]: "Analysing while Waiting (For Time To Pass)", ISSN 1662-0577
Qantara.de
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