Seltene Symbiose
Seit über vierzig Jahren lebt der deutsche Maler und Schriftsteller Hans Werner Geerdts im marokkanischen Marrakesch. Seine Kunst hat im ganzen Land Spuren hinterlassen. Christoph Leisten stellt den Künstler anlässlich seines achtzigsten Geburtstags vor.
Es gibt viele und gute Gründe, die einen Künstler dazu führen mögen, in einem fremden Land Heimstatt zu suchen. In unserer Zeit und für Künstler aus dem Bereich westlicher Kultur ist es nicht selten die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, die dazu beitragen mag.
Neben den großen Innovationen, die dabei entstehen können, verleitet die Anteilnahme am Fremden allerdings auch häufig zur Okkupation: Allzu oft wird leichtfertig das Eigene über das Fremde gestülpt, wird die fremde Kultur eher aus- als aufgesaugt.
Was dabei herauskommt, ist eine schale Kunst zwischen den Welten, der es an Authentizität so sehr fehlt wie an Wahrhaftigkeit. Große Worte, und doch: An gerade diesen Werten, an Authentizität und Wahrhaftigkeit, fehlt es im Werk des Malers und Schriftstellers Hans Werner Geerdts, der seit Jahrzehnten in Marrakesch lebt, keineswegs.
Als sein Blick vor mehr als vierzig Jahren zum ersten Mal auf den berühmten Platz Djama el Fna fiel, da wusste der Kieler Maler Hans Werner Geerdts, dass er bleiben würde. Nach seinem Studium bei Willi Baumeister, einem der wichtigsten Vertreter der abstrakten Kunst im Nachkriegseuropa, war Geerdts über viele Jahre durch die Welt gereist, durch den Vorderen Orient, durch Japan (wo er Zen-Malerei studierte), Australien und Südamerika.
Inspiriert vom Djama el Fna
1963 endete die Reise in Marrakesch, lange bevor die Beatniks und später die westliche Schickeria die Stadt für sich entdeckten. Was Geerdts in Marrakesch fand, war eine unvergleichliche Vielfalt menschlicher Erscheinung, die er, der Suchende, wie eine Oase des Menschlichen empfand inmitten einer kruden Nachkriegswirklichkeit.
Seitdem entfaltet sich in Geerdts’ kontinuierlichem Werk eine seltene Symbiose: Inspiriert von den prähistorischen Felsbildern des Hohen Atlas, ebenso wie von den Menschenmengen, die sich um die Erzähler und Musikanten auf dem Djama el Fna versammeln, wirft Geerdts mit dem Spachtel seine zeichenhaften Figurationen auf den groben Grund und schafft damit einen tachistischen Stil, in dem Momente der informellen Malerei mit dem Figurativen versöhnt erscheinen.
So wie die Initialmomente seiner Kunst einen Bogen schlagen zwischen frühester Menschheitsgeschichte und der Jetztzeit, so sehr stiftet seine Kunst im Ganzen ein Verbindendes zwischen den Welten. Dies gelingt, weil Geerdts’ Malerei getragen ist von einer grundsätzlichen Wertschätzung der maghrebinischen Kultur, in der er lebt, und von der Idee der Begegnung mit dieser Welt.
Noch in den andeutungsweisen Skizzen der Menschenmenge, die ein Zentrum seines Schaffens ausmachen, ist das menschliche Individuum in seiner Farbigkeit, in seinen Nuancen, in seinen vielfältigen Bewegungen bewahrt.
Mittler zwischen den Kulturen
Nicht zuletzt in der Zusammenarbeit mit Autoren wie Juan Goytisolo und Rolf Italiaander erfuhr Geerdts’ Werk nachhaltige Würdigung. Längst hängen seine Werke in wichtigen Museen der Welt.
Mehr bedeuten dürfte ihm allerdings, dass die UNESCO 2001 eigens ihre Statuten änderte, um das Geschehen auf dem Platz Djama el Fna, der für ihn zum Lebenszentrum wurde, zum ersten immateriellen Weltkulturerbe erklären zu können.
Durch sein Engagement für eine Verständigung mit dem Islam ist Geerdts seit Jahrzehnten zu einem Mittler zwischen westlicher Welt und dem Maghreb geworden. Dokumentiert ist diese Vermittlerrolle nicht nur in seiner Malerei, sondern auch in seinen Büchern, die seit den siebziger Jahren entstanden sind:
In einfühlsamen Erzählungen, Prosaskizzen und Gedichten entwirft Geerdts ein überzeugendes, facettenreiches Bild marokkanischer Wirklichkeit.
Vorbild für marokkanische Künstler
Sein künstlerisches Werk ist indes für viele jüngere marokkanische Künstler Anregung und Vorbild gewesen. Wer heute durch das Land fährt und die Vielfalt junger marokkanischer Gegenwartskunst entdeckt, wird dabei oftmals Spuren ausmachen können, die zurückgehen auf den deutschen Maler, der schon vor Jahrzehnten in der Medina von Marrakesch, als die bildende Kunst in Marokko noch ein Schattendasein führte, eigensinnig ein Werk schuf, das Bestand haben sollte.
Geerdts hat, ohne großes Aufhebens davon zu machen, jungen Künstlern vielfach die Tür zu seinem Atelier geöffnet, um ihnen dahinter eine Welt zu offenbaren, ein Universum von Farben, Formen und Figurationen.
Auf der Suche nach dem ganz Anderen ist Hans Werner Geerdts längst selbst zum Wegweiser geworden; zu einem Wegweiser freilich, der sich nicht aufdrängt, sondern gleichermaßen bescheiden wie beharrlich seine Kunst verfolgt und dabei ein waches Auge bewahrt für die Kreativität, die ihn umgibt.
Feiern auf dem Großen Platz
Am 23. Januar feiert Hans Werner Geerdts mitten in Marrakesch, unweit entfernt vom Platz Djama el Fna, der ihm zur Metapher des Menschlichen wurde, seinen 80. Geburtstag.
Weder die Beatniks noch die Schickeria werden anwesend sein, wohl aber Freunde und Kulturschaffende aus aller Welt, um einen Mann zu würdigen, in dessen Werk sich abendländische und maghrebinische Kultur auf bemerkenswerte Weise berühren.
Christoph Leisten
© Qantara.de 2005