Hollywood auf Dari

Mit "Drachenläufer" hat Khaled Hosseini einen Welterfolg gelandet. Bei der Verfilmung seines Romans war man um Authentizität bemüht. Dennoch erhitzt der Film vor allem in Afghanistan die Gemüter. Amin Farzanefar berichtet.

Seit der Erscheinung von Khaled Hosseinis "Drachenläufer" 2004 hat sich das Buch gut acht Millionen Mal verkauft – ein internationaler Erfolg, der geschickt ein individuelles Schicksal mit der großen Politik verbindet.

Durchgängiger roter Faden ist die Freundschaft zwischen dem Hazara-Jungen Hassan und dem reichen Paschtunen Amir, erzählt vor dem Hintergrund der afghanischen Geschichte: die Ära vor dem Bürgerkrieg, der Einmarsch der Sowjets, dann die Schreckensherrschaft der Taliban.

Hosseinis Roman war geradezu ein Manifest für die über den Globus zerstreute afghanische Exil-Gemeinde. Für den westlichen Leser warf er ein neues Licht auf ein Land, das man bislang vor allem mit Taliban, Al-Qaida und Opium in Verbindung brachte.

Als Paramount für eine Verfilmung Hollywood-Regisseur Marc Forster verpflichtete – verantwortlich für den Oscar-prämierten "Monsters Ball" – durfte man auf das 18 Mio. Dollar teure Projekt zumindest gespannt sein. Tatsächlich zeigte sich Forster schon im Vorfeld um größtmögliche Authentizität bemüht.

Mit afghanischen "Authenticity Advisers" wurde das historische Umfeld rekonstruiert, die Besetzungsproben führten ihn bis nach Afghanistan, wo er schließlich seine Hauptdarsteller fand: der elfjährige paschtunische Zekariya Ebrahimi und der 13jährige Hazara Ali Danesh Bakhtyari sollten diese spannungsreiche, über ethnische und ständische Grenzen reichende Freundschaft verkörpern.

Dreharbeiten mit Leibwache

Für den Deutsch-Schweizer Forster war dabei selbstverständlich, dass der Film in der Originalsprache Dari gedreht wird. Dennoch: dass ein amerikanisches Team eine afghanische Geschichte verfilmt, sorgte für Zündstoff. Denn wegen der Gefahrenlage mussten die Dreharbeiten nach China verlagert werden, und dem Team stand eine US-Antiterror-Einheit zur Seite.

Die Hauptdarsteller Ali Danesh Bakhtyari und Zekariya Ebrahimi
Im Mittelpunkt des Films steht die Freundschaft von zwei Jungen aus den verschiedenen ethnischen Gruppen Afghanistans.

​​Das Ergebnis ist nun durchaus beachtlich. Erzählt wird eine mehrere Jahrzehnte, Kontinente und Krisenherde umspannende Geschichte mit dem geballten Pathos eines Bollywood-Epos, und dabei bleibt der Film immer äußerst realistisch. Völlig zu Recht sind Zakariya und Ali bereits für Darstellerpreise im Gespräch.

In Afghanistan indes ist "Der Drachenläufer" inzwischen zensiert. Der Leiter der Filmbehörde, Ahmed Latifi, selber Regisseur, befürchtete einen Aufruhr. Stein des Anstoßes ist die angedeutete Vergewaltigung Hassans durch eine paschtunische Jugendbande.

Die für westliche Augen durchaus dezent umgesetzte Szene erscheint manchem Vertreter der afghanischen Ethnien mehr als skandalös: Die schiitischen Hazara fühlen sich in der Opferrolle gedemütigt, die sunnitischen Paschtunen wiederum sind es leid, ständig als Sündenbock herzuhalten.

In einer globalisierten Welt eignet sich Kino im Einzelfall eben nicht als Medium des Dialogs: Nach der Übersetzung in andere kulturelle Kontexte offenbaren vermeintlich harmlose oder wohlwollende Inhalte plötzlich eine ungeahnte Sprengkraft: vor allem, wenn individuelle Einzelschicksale zu ethnischen oder religiösen Symbolen und Repräsentanten erhöht werden.

"In Deutschland hatte der umstrittene Tatort "Eine Frage der Ehre" bereits gezeigt, wie schnell man die Sensibilitäten einer Minderheit gegen sich aufbringen kann.

Das im Film als "realistisch" Dargestellte ragt dann plötzlich in einen imaginären Raum der Kränkungen und Vorurteile hinein. In Afganisten führte das jetzt gar dazu, dass die Kinderdarsteller des "Drachenläufers" Nach massiven Drohungen außer Landes geflogen werden mussten.

Späße auf Kosten der Hazara

Marc Foster am Drehort
Regisseur Marc Foster war beim Dreh um größte Authentizität bemüht. Die harschen Reaktionen aus Afghanistan hatte er nicht vorausgesehen.

​​Dabei platzte "Drachenläufer" in eine Phase der ohnehin aufgeheizten Gemüter: Zuvor hatte der indische Film "Kabul Express", eine Bollywood-Action-Komödie (Regie: Kabir Khan) einige derbe Späße auf Kosten der Hazara gemacht, was in Forderungen nach der Todesstrafe für einen der Darsteller gipfelte, der daraufhin das Land ebenfalls verlassen musste.

Im Vorfeld zu "Drachläufer" wurden Gerüchte, Anschuldigungen und Drohungen laut. Die landläufige Kenntnis von Hosseinis friedfertiger Erzählung darf für Afghanistan mit seiner hohen Analphabetenrate bezweifelt werden. Dafür sind die Afghanen große Freunde des Kinos und wegen der wenigen Kinosäle - als Folge von Bürgerkrieg und Taliban-Herrschaft - überwiegend auf DVDs angewiesen.

Da die Raubkopien nun wenige Wochen nach dem offiziellen Kinostart auf dem Markt erscheinen, setzt "Paramount Pictures" auf radikale Gegenmaßnahmen und verschob diesen um sechs Wochen.

Zeit genug, die Kinderdarsteller in Sicherheit zu bringen, nachdem sie noch ihre Schulprüfungen absolviert hatten. Zurzeit leben sie an einem unbekannten Ort in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ob sie jemals wieder in ihre Heimat zurückkehren werden, steht in den Sternen.

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2008

Qantara.de

Interview Roya Sadat
"Uns fehlte fast alles"
Roya Sadat ist die jüngste Filmemacherin Afghanistans. Im Gespräch mit Fahimeh Farsaie berichtet sie über die Dreharbeiten zu ihrem ersten Film "Three Dots" und die Probleme, mit denen weibliche Regisseure und Schauspieler in Afghanistan zu kämpfen haben.

Internationales Dokumentarfilmfestival in Kabul
"Wir sind postmodern"
In Kabul fand im Juni das zweite Internationale Dokumentar- und Kurzfilmfestival statt. Gezeigt wurden über 40 Produktionen aus Afghanistan, Pakistan, Iran und Tadschikistan sowie Filme des deutsch-französischen Fernsehsenders ARTE. Ausrichter des Festivals waren unter anderem das Kabuler Französische Kulturinstitut und das Goethe-Institut. Erklärtes Ziel ist vor allem die Förderung des afghanischen Filmnachwuchses. Von Martin Gerner

Buchtipp Spôjmaï Zariâb:
"Wenn Katzen Menschen werden"
In dem Kurzgeschichtenband "Wenn Katzen Menschen werden" erzählt die in Frankreich lebende afghanische Schriftstellerin Spôjmai Zariâb über Kinder als Helden, die in einer Atmosphäre von Armut und Gewalt leben. Stefan Weidner stellt den Band vor.

www

Webseite zum Film (englisch)