Theater zwischen Zensur und Öffnung

Während der Iran von der US-Regierung zum "Vorposten der Tyrannei" erklärt worden ist, hat dort das größte Theaterfestival des Mittleren Ostens friedlich seinen Gang genommen. Von Dorothea Marcus

Foto: www.zaoum.org
Szene aus Hamlet, inszeniert von dem kuwaitischen Regisseur Sulayman Al Bassam

​​Eigentlich heißt "Fadjr" Morgenröte. Gegründet wurde das internationale Festival 1983 ursprünglich als Feier der Revolution - und deshalb dauert es auch zehn Tage - genauso lange, wie einst Khomeini brauchte, um aus seinem französischen Exil zurück nach Teheran zu gelangen.

Doch von einer Verherrlichung des islamischen Gottesstaates auf dem Festival kann keine Rede sein: seit Jahren gilt es als Brennpunkt der iranischen Kulturszene und als Ort für progressives Theater. Nach dem Rechtsruck im Iran nach den letzten Parlamentswahlen hat sich dort allerdings einiges verändert.

Laboratorium für experimentelles Theater

Der iranische Regisseur Attila Pessyani gehört zu den bekanntesten Theaterleuten im Iran. Für das Fadjr-Festival hat er eine Art Laboratorium für experimentelles Theater gegründet. Sein diesjähriges Bühnenstück ist ein Stück ohne Worte, man hört nur das fürchterliche Wimmern eines blinden, tauben und stummen Mädchens, das einsam in einem Niemandsland lebt. Ein gefallener Engel ohne Flügel mit blinkendem Herzen wird ihr einziger Verbündeter.

Zwei fremde Mächte bedrohen und bekämpfen sie - dahinter werden als Video beklemmende Bilder von Unterdrückung und Umerziehung projiziert, dazwischen schwimmt ein stummer Goldfisch. Die einzige Rettung der beiden jungen Menschen scheint die Entrückung nach oben - möglicherweise ein gutes Bild für die ausweglose Situation vieler junger Iraner.

Pessyani möchte mit seiner Arbeit an die Zeiten des großen "Shiraz-Festivals" anknüpfen, das es vor der Revolution gab: "Viele berühmte Künstler dieser Zeit, wie Brook, Grotowski und Kantor haben dort gearbeitet. Das war der Beginn des experimentellen Theaters im Iran", berichtet der Regisseur.

Er ist optimistisch, was die Zukunft des Theaters im Iran angeht: "Das iranische Theaterleben entwickelt sich mehr und mehr. Wir haben inzwischen über sechs Theaterfakultäten mit über 100 Absolventen jährlich - sie tun alles, um zu arbeiten. Es gibt momentan etwa 20 viel versprechende Regisseure hier!"

Einfache und "authentische" Bühnenstücke

Doch in den meisten iranischen Inszenierungen wirken westliche Musik und Videos, eingeblendete Zuschauerbefragungen oder Grenzüberschreitungen ins Publikum deplatziert und unfertig. Und so berühren oft einfache, requisiten- und bühnenbildarme Stücke, in dem Iraner von ihrem Alltagsleben erzählen, viel mehr.

Zum Beispiel sind es Stücke, die von junge Mädchen handeln, die vor ihren zu strengen Vätern ausreißen und obdachlos im Park leben. Oder die einfache Familiengeschichte "Recent Experiences" von Reza Kohestani: An einem einfachen Tisch sitzt eine Familie mit wechselnden Personen, nüchtern werden Jahreszahlen eingesprochen, während die Familie von Schicksalsschlägen erschüttert wird. Einfach und zurückgenommen sind die Dialoge - und sehr berührend.

Ansonsten werden auf dem Festival vor allem europäische und besonders deutsche Dramen gezeigt: Shakespeare gleich viermal, Beckett, Büchners "Woyzeck", Frischs "Santa Cruz", Arthur Miller, Antigone, Medea - zumeist reduziert auf 40 bis 60 Aufführungsminuten.

Es ist ein gigantisches Festival, in Deutschland gibt es nichts Vergleichbares: 29 ausländische und 89 iranische Vorstellungen müssen koordiniert werden, täglich gibt es 20 Vorstellungen, die jedes Mal bereits früh ausverkauft oder brechend voll sind.

Ein Theater für alle?

Doch mit der neuen Theaterleitung, die erst seit wenigen Monaten im Amt ist, kommt es oft zu Koordinationsschwierigkeiten: die Ticketpreise wurden auf umgerechnet drei Euro erhöht, der Wettbewerb wurde eingestellt, das englische Programm liegt mit gewaltiger Verspätung vor, und das vollmundige Festivalmotto "Theater für alle" scheint sich in sein Gegenteil zu verkehren, erzählt die Theaterkritikerin Laleh Taghian, deren Theaterzeitschriften von der neuen Leitung eingestellt wurden:

"Sie haben die ganze Festivalpolitik geändert. Es sind nun keine Theaterleute mehr an der Spitze, sondern in erster Linie politische und religiöse Beamte. Das Festival war in der ganzen Welt bekannt und berühmt für seine Qualität - und heute laden sie Puppentheater ein! Durch den Wechsel wurden die Kontakte und die Erfahrung des Festivals gestoppt. Und außerdem wurde die Zensur verschärft - die Theatergruppen dürfen kaum mehr etwas auf der Bühne sagen", so Taghian.

Dass sich die Zensur verschärft hat, liegt wohl auch an den Ereignissen in der Provinz Khuzistan: dort sitzen die Festivalleiter seit drei Wochen in Haft, weil eine armenische Theatergruppe in durchsichtigen Kostümen aufgetreten war.

Wer auf den 18 Bühnen des Fadjr-Festivals in diesem Jahr also politische Botschaften erwartet, wird eher enttäuscht. Im Gegenteil: die Menschen scheinen politikmüde und resigniert zu sein.

Aus der Inszenierung des kuwaitischen Regisseurs Sulayman Al Bassam, bei dem sich Hamlet in einen von Amerika gestützten islamischen Fundamentalisten verwandelt, gingen die meisten Iraner angewidert heraus und schimpften über den Antiamerikanismus im Stück.

Auch auf die Drohungen der Bush-Regierung reagieren die meisten kaum - entweder, weil sie sie nicht glauben oder sogar heimlich herbeisehnen, meint Theaterkritikerin Laleh Taghian:

"Die Menschen hier müssen mit Politik leben, ob sie wollen oder nicht. Sie würden aber lieber einfach nur leben! Sie brauchen das Theater im Moment, um in andere Welten zu gelangen. Auch die Theaterleute wollen hier bleiben, um hier in ihrer eigenen Sprache zu arbeiten."

Natürlich hielten die Iraner nichts vom amerikanischen Militär, so Taghian, aber falls es einmal im Iran sein sollte, wäre es nicht ihr Problem, sondern vielmehr das von Herrn Khamenei. Ihr Problem sei das eigene Leben. Die Menschen seien müde geworden, erzählt sie. Von daher würden die Iraner im Moment jeden an der Regierung akzeptieren.

Dorothea Marcus

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004