Radikalismus auf dem Vormarsch

Ein kürzlich im Internet aufgetauchtes Musikvideo, in dem einige makedonische Männer Osama Bin Laden preisen, befeuerte die Befürchtungen, dass im Südosten Europas eine neue Brutstätte des militanten Islamismus entstehen könnte. Von James M. Dorsey

Isa Beg Moschee, Skopje (Makedonien); Foto: AP
Saudi-arabischer Exportschlager: Die wahhabitische Minderheit auf dem Balkan versucht, den vorherrschenden Mainstream-Islam in einen Islam militanter Ausprägung zu verwandeln.

​​ Ein vor kurzer Zeit aufgetauchtes Video lenkte im Südosten Europas die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Tätigkeiten islamischer Wohlfahrtsverbände in Bosnien, dem Kosovo, Serbien, Albanien, Makedonien und dem EU-Mitglied Bulgarien.

Die Wohlfahrtsverbände hatten mit dem Beginn der Kriege im ehemaligen Jugoslawien Mitte der 1990er Jahre ihre Arbeit aufgenommen. Viele dieser Organisationen werden von Saudi-Arabien finanziert und propagieren den Wahhabismus – eine vom saudischen Königshaus protegierte puritanische Auslegung der islamischen Glaubenslehren.

Jasmin Merdan, ein junger Bosnier, der nach seinem Ausstieg aus wahhabitischen Kreisen in Bosnien ein Buch über seine Erfahrungen verfasste, warnte davor, dass "sie (die Wahhabiten a.d.R.) ihr Weltbild aggressiv verbreiten, in Moscheen Anarchie ausrufen und Intoleranz predigen".

Das auf YouTube erschienene Video ist nur eines von vielen, das von einheimischen Jihadisten produziert wurde und nun in der Region zirkuliert: "Oh Osama, lösche die amerikanische Armee aus. Oh Osama, stelle die Ehre des Islam wieder her. Im September 2001 hast Du eine Großmacht bezwungen. Wir alle beten für dich", singt eine Gruppe Makedonier auf Albanisch.

Songs wie dieser wurden in Bosnien reihenweise produziert. Ziel dieser medialen Offensive ist die Rekrutierung südosteuropäischer Muslime für den Jihad.

Die Regierungen und Sicherheitskräfte der Region befürchten, dass die verstärkten wahhabitischen Aktivitäten immer mehr engagierte Jihadis hervorbringen könnten, die durch ihre Aktivitäten eine ernsthafte Bedrohung für die fragile Stabilität der Nationen Südosteuropas darstellen.

Vor allem in Bulgarien, wo die Muslime ein Sechstel der Bevölkerung ausmachen, könnte unter diesen Umständen eine neue Brutstätte für Jihadisten entstehen. Als EU-Bürger könnten sie mit ihren Pässen problemlos nach Westeuropa einreisen und dort untertauchen.

Bulgarien als Brutstätte

Bulgarien ist der einzige EU-Mitgliedsstaat, dessen muslimische Bevölkerung nicht zum größten Teil aus Immigranten besteht. Vielmehr sind die meisten Muslime Bulgariens Abkömmlinge ethnischer Turkvölker, die sich während der 500-jährigen osmanischen Herrschaft über den Balkan dort niedergelassen haben.

Bulgarische Musliminnen; Foto: AP
Das islamische Erbe Europas: Die Mehrheit der bulgarischen Muslime sind Nachfahren von ethnischen Türken, die sich in der Osmanenzeit dort niederließen.

​​ Drei albanischstämmige Brüder aus Makedonien wurden 2008 unter der Anklage, ein Attentat auf die US-Kaserne Fort Dix in New Yersey geplant zu haben, zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein vierter Verdächtiger, ein aus dem Kosovo stammendes Mitglied dieser Gruppe, muss für fünf Jahre hinter Gitter.

Über den ganzen Balkan verstreut versucht die wahhabitische Minderheit, den vorherrschenden Mainstream-Islam in einen Islam militanter Ausprägung zu verwandeln. Dazu werden Aktivitäten in den Moscheen, islamischen Kulturzentren und auch in den Schulen verstärkt.

Ein weiteres Mittel ist die Unterwanderung der großen islamischen Organisationen in der Region. Weil eine Mehrheit der Muslime in der Region Südosteuropas allerdings säkular eingestellt bleibt, warnen Analysten davor, die Bedrohung, die von den Wahhabiten ausgeht, zu überschätzen.

"Das Problem darf zwar keineswegs ignoriert werden, aber man sollte es auch nicht unnötig aufbauschen", erklärt Hajrudin Somun, ehemaliger bosnischer Botschafter in der Türkei und Historiker an der Philip Noel-Baker International University in Sarajevo.

Islamische Organisationen haben in den letzten zehn Jahren viel Geld investiert, um schätzungsweise 150 neue Moscheen und Erziehungszentren im eigentlich christlich dominierten Bulgarien zu bauen. Einige wenige dieser Einrichtungen propagieren vermutlich die Ideologie des Wahhabismus.

Laut Nedim Gendzhev, dem früheren bulgarischen Obermufti, versuchen Islamisten vor allem im Süden und Nordosten Bulgariens, ein "fundamentalistisches Dreiländereck" zu errichten, bestehend aus Gebieten in Bosnien, Makedonien und der im Westen Bulgariens liegenden Bergkette der Rhodopen.

Ehemalige ausländische Kämpfer

Vergangenges Jahr nahmen die bulgarischen Behörden im Süden des Landes einen Bürgermeister und einen Dorflehrer fest. Sie wurden verdächtigt, eine radikale Spielart des Islams unterstützt zu haben. Schon 2003 wurde eine Reihe von islamischen Kulturzentren geschlossen, denen die Behörden Beziehungen zu militant-islamistischen Organisationen unterstellten. Diese Verhaftungen sollten verhindern, dass "Terroristen in Bulgarien Fuß fassen können".

In Bulgarien werden knapp 3.000 junge Muslime vermutet, die in Schulen und Ausbildungslagern militanter Islamisten ideologisch ausgebildet und trainiert wurden; allerdings kann niemand sagen, was sie nach ihrer Ausbildung tun werden.

Bosnische Muslische beim Id-Fitr-Gebet in Sarajevo; Foto: AP
"Dem bosnischen Staat ist es bisher gelungen, den Einfluss der wahhabitischen Lehre auf die Muslime ihres Landes in Grenzen zu halten", schreibt James M. Dorsey.

​​ Die Bedrohung, die vom Wahhabismus ausgeht, ist eine der Hauptursachen für die angespannten Beziehungen zwischen Muslimen und christlichen Serben in Bosnien. Doch dem bosnischen Staat ist es bisher gelungen, den Einfluss der wahhabitischen Lehre auf die Muslime ihres Landes in Grenzen zu halten.

So achten die Behörden genau darauf, wer als Imam an den bosnischen Moscheen eingesetzt, oder wer als Lehrer an den vielen islamischen Lehranstalten tätig wird. Ebenso gelang es, die Vollzugsbehörden von einer wahhabitischen Unterwanderung weitestgehend frei zu halten.

Einige der bosnischen Wahhabiten sind ehemalige ausländische Kämpfer, die sich am Krieg in Bosnien auf der Seite der Muslime beteiligten. Nachdem der Krieg 1995 zu Ende gegangen war, heirateten sie bosnische Frauen und konnten so im Land bleiben.

Der bosnische Staat, interessiert an einer engeren Verbindung zur EU, begann direkt nach dem Ende des Krieges damit, gegen die militanten Kämpfer und das organisierte Verbrechen vorzugehen, durchaus mit einigem Erfolg.

So gelang der bosnischen Polizei im Rahmen ihrer Ermittlungen über einen Bombenanschlag auf die Polizeistation in Bugojno vom Juni dieses Jahres, bei dem ein Polizist getötet und sechs weitere verletzt wurden, schon nach kurzer Zeit die Festnahme des Hauptverdächtigen sowie einem seiner Helfer. Im September konnten ein weiterer Verdächtiger verhaftet sowie ein großes Waffenlager ausgehoben werden.

Dem Militantismus entgegentreten

Boris Grubesic, ein Sprecher des bosnischen Generalstaatsanwalts, gab Mitte September bekannt, dass derzeit landesweit mehrere Staatsanwälte Ermittlungen gegen Personen in Bugojno und Gornja Maoco durchführen, denen Verbindungen zum Wahhabismus, zum Terrorismus und zum organisierten Menschenhandel vorgeworfen werden.

Polizeirazzia in Gornja Maoca; Foto: AP
Polizeirazzia in Gornja Maoca: Der bosnische Staat ermittelt intensiv gegen radikale Gruppierungen im Land.

​​ Gornja Maoca war die Heimat von 30 Familien, die den in Bosnien gelebten Mainstream-Islam rundherum ablehnten. Ihr Leben richtete sich strikt nach den Gesetzen der Scharia und ihre Kinder wurden in außerstaatlichen Schulen in arabischer Sprache unterrichtet.

Nusret Imamovic, der selbsternannte Führer der Wahhabiten von Gornja Maoca, bezeichnete auf den Webseiten bosnisch-wahhabitischer Gruppen Selbstmordattentate als legitimes Mittel des Kampfes. Allerdings schränkte er seine Aussagen dahingehend ein, dass Selbstmordattentate nur unter "außergewöhnlichen Umständen" legitim seien.

Im vergangenen Jahr wurden in Serbien zwölf Wahhabiten verhaftet, die beschuldigt wurden, mehrere terroristische Anschläge, unter anderem auf die US-Botschaft in Belgrad, geplant zu haben. Im folgenden Gerichtsverfahren wurden sie zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt. Serbische Regierungsbeamte wiesen darauf hin, dass die Verurteilten enge Verbindungen zu ihren Glaubensbrüdern in Gornja Maoca unterhielten.

Adnan Hot, einer der verurteilten Terroristen, gab dann auch zu Protokoll, dass Nusret Imamovic für ihn einer von nur drei muslimischen Führern gewesen sei, dem er Gefolgschaft schwor. In einem anderen Fall wurden vier Wahhabiten zu Haftstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt. Sie sollen einen Anschlag auf ein Fußballstadion in der Stadt Novi Pazar im Südwesten Serbiens geplant haben.

Suleyman Rexhepim Rexhepi, der Führer der staatlich-offiziellen Islamic Religious Community (IVZ) in Makedonien, forderte erst kürzlich die Regierung seines Landes sowie die internationale Gemeinschaft dazu auf, härter gegen die Zunahme des Einflusses wahhabitischer Gruppen in Makedonien vorzugehen.

James M. Dorsey

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara

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