Institutionalisierte Unterdrückung
In ihrem neuen Dokumentarfilm thematisiert die renommierte Regisseurin Rachsan Bani-Etemad die rechtliche Benachteiligung sowie Diskriminierung der iranischen Frau und zeigt neue Formen des Widerstands gegen die politischen Zwänge in der Islamischen Republik auf. Von Alessandro Topa
"Wem zeigen Sie eigentlich diese Bilder?", fragt eine entkräftete Frauenstimme aus dem Off. "Warum hilft uns bloß niemand?", klagt eine andere.
Der Zuschauer sieht derweil einen Computerbildschirm flackern: In kleinen Rechtecken präsentiert das Vorschaufenster des laufenden Videomitschnitts die Gesichter mehrerer verschleierter Frauen.
Es sind alte und junge Frauen – aus allen gesellschaftlichen Schichten – ein Klick genügt, und die Bilder beginnen zu sprechen: "Ich will denen da oben, den Offiziellen, wer auch immer sie sind, sagen, dass wir hier verhungern, dass wir kaputt gehen", schreit eine der Frauen kämpferisch bevor sie in Tränen ausbricht.
Schließlich ruht die Kamera auf dem Gesicht eines Mädchens, deren fingerbreiten Augenbrauen von einem beige-farbenen Gebets-Tschador eingerahmt sind. Vermutlich stammt sie aus ländlichen Verhältnissen.
Am Rande der Gesellschaft
Sie scheint in die Zukunft zu schauen, während sich erstmals die Stimme der Erzählerin zu Wort meldet: "Wer sieht diese Filme? Wer hört diese Worte?", reflektiert sie aus dem Off.
Es ist, wie sogleich klar wird, die Stimme der Regisseurin: "Seit 30 Jahren stehe ich hinter der Kamera, höre wieder und wieder diese Fragen und habe keine Antwort", sagt sie.
Die 1954 in Teheran geborene Rachschan Bani-Etemad hat insbesondere im letzten Jahrzehnt ihrer langjährigen Karriere die prekäre sozio-ökonomische Situation iranischer Frauen thematisiert.
Ihre Protagonistinnen stehen am Rande der Gesellschaft und dokumentieren mit ihren Schicksalen das Unrecht, das die Islamische Republik im Namen der Scharia und der Tradition an ihnen verübt. Mit dem Spielfilm "Blutiges Spiel" ("Khun-bazi") wagte sich die Grande Dame des iranischen Autorenkinos zuletzt gar an das gesellschaftliche Tabu weiblicher Drogenabhängigkeit.
Neue Kommunikationsräume
In ihrem Dokumentarfilm "Unsere Tage" ("Ruzegar-e ma") hatte sie schon 2001 anlässlich der Präsidentschaftswahlen die Themenstränge politische Partizipation und Frauenrechte eingebracht, indem sie das Fehlschlagen der Kandidatur einer alleinerziehenden Mutter mit der Kamera begleitete.
"Seit 30 Jahren stehe ich hinter der Kamera, höre immer wieder diese Fragen und habe letztlich keine Antwort darauf", erzählt Bani-Etemad. "Doch dieses Mal, im Frühjahr 2009, eröffneten sich neue Kommunikationsräume."
Und in der Tat lässt bereits der Anfang des Dokumentarfilms "Wir sind die Hälfte der iranischen Bevölkerung" ("Ma nimi az jamiyat-e Iran hastim") erahnen, dass die Regisseurin wenig Zweifel hegt, endlich Antworten gefunden zu haben.
"Wem zeigen Sie eigentlich diese Bilder? Wer hört diese Worte?" – auf diese einfachen wie berechtigten Klagen verzweifelter Frauen, die für eine Filmschaffende nicht zuletzt auch die Frage nach Sinn und Relevanz des politisch engagierten Films in einem quasi-totalitären Staat aufwerfen, antwortet Bani-Etemad, indem sie ihre Dokumentation als Kommunikationsmedium zwischen Gesellschaft und Politik konzipiert.
Ein Medium, das schon im Mai mit der sinngemäßen Aufschrift "Bitte raubkopieren!" in Teheran kursierte und als historisches Dokument die basisdemokratische Aufbruchsstimmung einfängt, die bis zum 19. Juni im Iran herrschte.
Wie ausgeprägt das Streben nach politischer Partizipation war, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass es Bani-Etemad kurz vor den Wahlen gelang, drei der vier Kandidaten zum Mitmachen an ihrem Projekt zu bewegen und ihnen in einem Kino den dokumentarischen Hauptteil ihres Films vorzuspielen.
Koalition innerhalb der iranischen Frauenbewegung
In diesem hochinformativen Hauptteil des Films kommen führende Aktivistinnen der iranischen Frauenbewegung zu Wort, die nach dem Machtantritt Ahmadinedschads im Jahre 2005 schrittweise ihre politischen Differenzen über Bord warfen, um nun in einer Koalition für Forderungen zu kämpfen, die sowohl konservativ-religiöse als auch säkulare Frauenrechtlerinnen unterstützen.
Wie die Journalistin und Mitinitiatorin der Kampagne "Eine Million Unterschriften für die Gleichberechtigung der Frau", Nooshin Ahmadi Khorassani, in dem Film präzisiert, umfassen die Forderungen der Koalition insbesondere den Beitritt Irans zur UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau sowie das Bestreben, alle entsprechenden Gesetze zu beseitigen.
Streitpunkte sind die in der iranischen Verfassung verankerten Artikel 20 und 21, die zwar die Gleichheit der Geschlechter - respektive die Pflichten des Staates gegenüber der Frau - garantieren, was jedoch durch den Zusatz "gemäß islamischer Prinzipien" eingeschränkt wird.
Kampf um Gleichberechtigung
Ein zweiter Strang des Films dokumentiert in Gestalt oft anonymisierter Interviews die strukturellen Formen der Gewalt gegen Frauen, ihre Unterdrückung und Benachteiligung in der iranischen Gesellschaft. Eigentümlicherweise sind es gar nicht solche Fälle, wie etwa die juristische Diskriminierung im Sorge- oder Scheidungsrecht, die am meisten bestürzen.
Es sind vor allem die Szenen, in denen das weit verbreitete materielle Elend alleinerziehender Iranerinnen, die schockieren. Es sind Interviews mit Studentinnen, die hervorragende Zulassungsprüfungen abgelegt haben, jedoch aufgrund von Quotenregelungen, die auf Betreiben der Regierung Ahmadinedschads eingeführt wurden, nicht das studieren können, was ihren Begabungen eigentlich entspricht.
Es sind Interviews wie jenes mit der Unternehmerin Fatemeh Daneshwar, die eine hochprofessionelle Beratungsstelle für gefährdete Frauen und Familien aufgebaut hat und von den unaufhörlichen Schikanen der Behörden berichtet, die ihre karitative Arbeit gefährden.
Kurzum: es ist eine sich radikalisierende Kultur der Misogynie, des Frauenhasses, welcher mit diesen Interviews festgehalten wird und "Wir sind die Hälfte der iranischen Bevölkerung" zu einem so mutigen wie wichtigen Dokument macht.
Zum Dialog bereit
Am Ende des Films sieht man schließlich nacheinander Mirhossein Mussawi, Mehdi Karrubi und Mohsen Rezaei in einem kleinen Kino sitzen, in dem sie soeben Bani-Etemads Film gesehen haben.
Mussawi wird in Begleitung seiner Frau Zahra Rahnaward befragt. Der moderate Prinzipientreue Rezaei hat zudem seine Frauenbeauftragte mitgenommen. Mehdi Karrubi hingegen erscheint an der Seite eines damals zehn Kilo schwereren Ali Abtahi.
Rezaei und der sich überraschend zurückhaltend äußernde Mussawi verweisen im Kern darauf, dass die Politik nicht umhin könne, die islamische Kultur und Tradition des Landes zu berücksichtigen.
Wie die Anwältin und Aktivistin Schadi Sadr, die zuletzt im Juli auf offener Straße verhaftet worden war, kurz zuvor betont hatte, beruht besagte "Tradition" freilich nicht zuletzt auf einem Familienmodell und Frauenbild, das in der Verfassung der Islamischen Republik zementiert ist. Einzig Mehdi Karrubi erweist sich als sichtlich bewegt und zum Dialog mit den Frauen bereit.
Anerkennung aus populistischen Motiven
Dass der einzige Kandidat, der nicht zur Teilnahme an dem Film bereit war, sich nunmehr geradezu als "lupenreiner Feminist" geriert und Frauen Ministerposten anvertrauen möchte, ist nicht nur ein Beleg für den Populismus Ahmadinedschads, sondern verdeutlicht darüber hinaus, dass selbst ein Radikal-Islamist nicht umhin kann, sich – zumindest zum Schein – dem Problem der Wut und Perspektivlosigkeit der iranischen Frauen zu stellen.
Nachdem sie die Islamische Revolution, den langjährigen Iran-Irak-Krieg sowie den Wiederaufbau des Landes mitgetragen haben, um nun als oft hervorragend qualifizierte Akademikerinnen zu Dumping-Löhnen ihre Arbeitskraft verkaufen zu müssen, ist es unwahrscheinlich, dass sich diese mutigen Frauen mit der Anerkennung begnügen, die ihnen nun symbolisch mit drei Ministerposten zuteil werden soll.
Alessandro Topa
© Qantara.de 2009
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