Der gute Diktator

Die Reaktion der USA auf die Erhebung in Ägypten unterscheidet sich merklich von der auf die Proteste im Iran vor anderthalb Jahren. Die Haltung der Amerikaner steht überdies in scharfem Kontrast zu der Vision, die Barack Obama in seiner Kairoer Rede entwarf. Von Joseph Mayton

Die Reaktion der USA auf die Erhebung in Ägypten unterscheidet sich merklich von der auf die Proteste im Iran vor anderthalb Jahren. Die Haltung der Amerikaner steht überdies in scharfem Kontrast zu der Vision, die Barack Obama in seiner Kairoer Rede vom Juni 2009 entwarf. Warum dies der Fall ist, untersucht Joseph Mayton aus Kairo.

US-Präsident Obama bei Hosni Mubarak in Kairo; Foto: AP
Politische Allianzen auf Kosten des Volkes: die ägyptische Demokratiebewegung kritisiert die moderate Haltung der USA gegenüber dem ägyptischen Diktator.

​​ Am 13. Juni 2009 erhoben sich nach einer fingierten Wahl, die die Macht im eisernen Griff von Präsident Mahmud Ahmadinedschad bewahrte, Hunderttausende Iraner gegen die mutmaßliche Wahlfälschung und protestierten massiv gegen das Regime und die Korruption im Land. Am 25. Januar 2011 gingen Hunderttausende Ägypter auf die Straße und forderten das Ende von 30 Jahren Korruption, Folter und Einschüchterung durch ihren Unterdrücker, Präsident Hosni Mubarak.

Die weltweite Reaktion auf beide Ereignisse könnte unterschiedlicher nicht ausfallen: 2009 erklärten westliche Staats- und Regierungschefs, US-Präsident Barack Obama eingeschlossen, umgehend ihre Unterstützung der Demonstranten und verurteilten Ahmadinedschad und die iranische Regierung.

Dieses Mal jedoch, als in Ägypten im vergangenen Monat eine ähnliche – wohl umfassendere und größere – Protestbewegung aufblühte, waren aus Washington nur sehr leise Töne zu vernehmen. Die Vereinigten Staaten schickten lediglich ihre Außenministerin Hillary Clinton, um der Welt zu erklären, Ägypten sei "stabil" und dass die USA die Lage sehr genau beobachteten.

Der Unterschied zu den Aufständen im Iran ist wohl der, dass Hosni Mubarak scheinbar der "gute" Diktator ist, von dem die USA sich noch nicht trennen wollen. Washington ist ihm verpflichtet, denn er hat mehr für die USA als für Ägypten getan.

Das politische Spiel

2009 sagte Obama, dass "diejenigen, die für Gerechtigkeit aufstehen, immer auf der richtigen Seite der Geschichte sind". Heute ruft Obama zur Zurückhaltung auf und fordert ein Ende der Gewalt auf beiden Seiten. Während die Ägypter für Gerechtigkeit aufstehen, spielt Obama nach den Regeln der Politik und versucht, seinen wichtigsten Alliierten im Nahen Osten zu erhalten, anstatt für die Millionen das Wort zu ergreifen, die ein Ende der Diktatur fordern.

Die Szenen auf den Straßen Ägyptens sind denen im Iran vor zwei Jahren sehr ähnlich. Es gibt erschütternde Videos, die zeigen, wie Demonstranten von Schlägertrupps der Regierung angegriffen werden, wie einzelne Menschen ihr Leben riskieren, indem sie sich den Fahrzeugen der Regierung entgegenstellen, oder wie Mubaraks Sicherheitskräfte töten und zerstören. Selbst nach zwei Wochen Protest gegen die Regierung scheint Obama nicht willens, das Wort für die Ägypter zu ergreifen, wie er es im Falle Irans getan hat.

US-Präsident Obama während seiner Rede in Kairo; Foto: AP
Mit zweierlei Maß: 2009 erklärte Obama in Kairo, dass "diejenigen, die für Gerechtigkeit aufstehen, immer auf der richtigen Seite der Geschichte sind". Heute ruft er nur noch zur Zurückhaltung auf und fordert ein Ende der Gewalt.

​​Die USA wollen, dass Mubarak bleibt. In ihm haben die USA einen Freund im Nahen Osten, der überaus willig ist, die amerikanischen Pläne in der Region angesichts israelischer Interessen zu vertreten. Washingtons Diplomaten und Beobachter fürchten, dass der Fall Mubaraks zu einer islamischen Revolution wie im Iran 1979 führen könnte.

Diese Kommentatoren werden nicht müde die Muslimbruderschaft – die am besten organisierte politische Kraft Ägyptens – als eine radikale, konservative und islamistische Bewegung zu beschreiben, die das islamische Recht zur alleingültigen Rechtsordnung Ägyptens erheben und hart gegen Nichtmuslime vorgehen will.

Sie unterstellen der Muslimbruderschaft, für Zensur und Unterdrückung zu plädieren und grundsätzlich gegen die USA sowie gegen Frauen eingestellt zu sein. Mit diesen Schlagworten ist es leicht, in der US-amerikanischen Öffentlichkeit Angst zu schüren – eingedenk Irans, Nordkoreas und Afghanistans. Doch die Muslimbruderschaft ist sehr viel komplexer und nuancierter.

Die Bruderschaft war für ein Gutteil des vergangenen Jahrzehnts eine standhafte Unterstützerin eines friedlichen, demokratischen Wandels in Ägypten und beteiligte sich – soweit sie konnte – an Wahlen. Sogar während der Revolution befürwortete sie, dass das ägyptische Volk sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und verglich ihre Ziele mit der der gegenwärtigen Regierung in der Türkei. Ihre Mitglieder verhalten sich nicht wie hitzköpfige, islamische Radikale, doch um den "guten" Diktator an der Macht zu halten, gibt man Argumenten wider die Vernunft Vorrang.

Eine säkulare Erhebung

Als ich auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit Leuten sprach, sagten mir viele, diese Bewegung sei für alle Ägypter und sie werde nicht von der Muslimbruderschaft angeführt. Am vergangenen Sonntag beteten wieder Zehntausende – Christen und Muslime – für die Getöteten der vergangenen zwei Wochen. Die Einigkeit und der Glaube in ihre Mission hält an und wächst in vielen Fällen noch.

Demonstration der Demokratiebewegung auf dem Tahrir-Platz in Kairo; Foto: AP
"United we Stand!" - seit Wochen treffen sich Zehntausende auf dem zentralen Platz der Befreiung in der Kairoer Innenstadt, um gegen das autokratische Mubarak-Regime zu demonstrieren. Doch bei Washingtons Politikern stoßen ihre Forderungen nach einem "regime change" bislang auf taube Ohren.

​​Die Demonstranten verurteilen die Berichterstattung in den westlichen Medien, sie werfen ihnen vor, die Angst vor einer Zukunft Ägyptens nach dem Vorbild Irans zu schüren. Doch das, so sagen sie, ist nicht das Ägypten, das sie aufbauen wollen.

Die mangelnde Unterstützung Washingtons hat die Demonstranten in vielerlei Hinsicht angespornt und sie darin bestärkt, ihre Forderungen voranzutreiben. "Wenn Obama uns nicht beistehen will, brauchen wir ihn nicht. Wir wissen, dass unser Anliegen gerecht ist. Wenn er nicht gegen einen Diktator aufstehen will, dann eben nicht", meint der 20jährige Student Mohamed.

Nichts als hohle Worte

Washington sollte sich Sorgen darüber machen, dass es Gefahr läuft, ein Land zu verlieren, das der Obama-Administration größtenteils positiv gegenüberstand, wenn es weiterhin zur amtierenden Regierung hält und den gerade ernannten Vizepräsidenten Omar Suleiman aufruft, den Wandel anzuführen.

In seiner Kairoer Rede im Juni 2009 sprach Obama von der Bedeutung der Freiheit und Gerechtigkeit und dem Recht der Bürger, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

Die Ägypter sind enttäuscht, dass sich seine Worte als hohl erwiesen haben. Versuche, jedwede Form des Status Quo in Ägypten aufrecht zu erhalten, werden zu antiamerikanischen Verstimmungen führen, nicht nur unter konservativen Islamisten, sondern auch und vor allem unter den säkularen Anführern der Bewegung.

Tränengaskanister mit der Aufschrift "Made in the USA" helfen da wenig, um Obamas Politik, den Diktator über die Interessen des Volkes zu stellen, zu unterstützen. Die Demonstranten lassen sich von den derzeitigen Reaktionen des Westens nicht behelligen, sie haben wichtigere Probleme zu lösen. Doch die Unterstützung für Mubarak wird in den kommenden Monaten von der neuen Regierung und rund 80 Millionen Menschen nicht vergessen sein.

Selbst als die Ägypter der Welt verkündeten: "United we Stand!", schien Washington geneigt zu sein, sie auf dem Altar der eigenen politischen Interessen zu opfern - in einer Region, die schon zu lange Zeit keine eigene Stimme hat.

Joseph Mayton

© Qantara.de 2011

Der amerikanische Journalist Joseph Mayton ist Chefredakteur der Website Bikyamasr.com in Kairo.

Übersetzung aus dem Englischen von Sabine Kleefisch

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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