Renaissance des Terrors
Der Jemen hat sich in jüngster Vergangenheit zu einem Rückzugsraum für Al-Qaida entwickelt. Dabei schien die Organisation noch vor ein paar Jahren das Ende ihrer Tage gesehen zu haben. Die Führer der alten Garde saßen entweder im Gefängnis oder waren tot. Hintergründe von Albrecht Metzger
Die amerikanische Botschaft in Sanaa gleicht einer Festung. Die Straße, an der sie liegt, ist komplett abgesperrt, um an den Eingang zu gelangen, muss man mehrere Checkpoints passieren.
Vor dem ersten Checkpoint stehen zwei Armeejeeps mit aufgepflanzten Maschinengewehren, die bedrohlich in den Himmel ragen. Keine gemütliche Gegend für einen ehemaligen Leibwächter Osama bin Ladens, so könnte man meinen.
Doch Abu Jandal ficht das nicht an, er wohnt seit Jahren in dieser Gegend, er fühlt sich hier sicher. "Die Amerikaner sind Feiglinge", sagt er. "Ich fordere sie gerne heraus." Der kleine stämmige Mann trägt ein grünes Jacket und ein gebügeltes weißes Hemd. Er riecht parfümiert.
Der Leibwächter des "Scheichs"
Abu Jandal ging 1996 nach Afghanistan. "Da war ich 23 Jahre alt. Ich habe in Afghanistan Osama bin Laden getroffen und mich Al-Qaida angeschlossen. Nach einem viermonatigen Training hat er mich zu seinem Chefbodyguard ernannt."
Der "Scheich", wie ihn Abu Jandal ehrfürchtig nennt, drückte ihm eine Pistole in die Hand und sagte: "Da sind zwei Patronen drin. Du wirst dafür sorgen, dass ich nie lebend gefangen genommen werde."
Wahrscheinlich würde Abu Jandal noch heute irgendwo in den Bergen zwischen Pakistan und Afghanistan auf Scheich Osama aufpassen, wenn ihn nicht ein Nierenleiden seiner Frau im Jahre 2000 zur Rückkehr in den Jemen bewogen hätte. Wenige Wochen danach rammte ein mit Sprengstoff geladenes Schlauchboot die USS Cole, einen US-amerikanischen Zerstörer, der in der jemenitischen Hafenstadt Aden vor Anker lag.
Siebzehn Seeleute und die zwei Attentäter starben, vor dem 11. September 2001 einer der spektakulärsten Anschläge von Al-Qaida. Die jemenitischen Sicherheitsbehörden begannen umgehend alle Personen einzusammeln, die irgendetwas mit Al-Qaida zu tun hatten. Abu Jandal gehörte dazu.
Er wurde am Flughafen von Sanaa aufgegriffen, wo er nach Syrien und von dort wieder nach Afghanistan reisen wollte. Er blieb 22 Monate im Gefängnis, dreizehn davon in Isolationshaft. Ein Prozess wurde ihm nicht gemacht.
Dann bot ihm die jemenitische Regierung einen Handel an: Abu Jandal sollte künftig dem bewaffneten Kampf abschwören, dafür würde er ein freier Mann sein. Er willigte ein. Bis heute hat er sich an die Abmachung gehalten.
Im Dienste des Dschihad
Der Jemen war schon immer ein geeignetes Umfeld, um junge Männer für den Dschihad zu rekrutieren. Abu Jandal ist ein gutes Beispiel dafür. Er gehört jedoch einer Generation an, die Frieden mit der jemenitischen Regierung geschlossen hat und nur noch verbal für die Sache des Islams kämpft.
Aber es gibt andere, die die Idee des bewaffneten Kampfes gegen die Feinde des Islams weiter hoch halten. Bis vor kurzem agierten sie weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit. Sie nutzten das jemenitische Hinterland, um Anschläge in Saudi-Arabien und im Jemen vorzubereiten.
Doch mit der Ruhe ist es jetzt vorbei. Der Jemen steht im Brennpunkt der Weltöffentlichkeit, seit der nigerianische Student Umar Farouk Abdulmutallab am ersten Weihnachtsfeiertag 2009 versuchte, ein Flugzug der Northwest Airlines über dem Flughafen von Detroit zum Absturz zu bringen.
Der Nigerianer verbrachte davor einige Monate im Jemen und wurde nach eigenen Angaben dort für seine Tat ausgebildet. Wenige Tage später veröffentlichte die jemenitische Al-Qaida im Internet ein Schreiben, in dem sie sich zu dem versuchten Anschlag bekannte und davor warnte, es würden sich viele weitere potenzielle Attentäter im Jemen aufhalten.
Die USA sind deswegen fest entschlossen, den Anti-Terrorkampf im Jemen zu intensivieren. Sie wird die jemenitische Regierung beim Aufbau einer Sonderheit zur Bekämpfung des Terrorismus unterstützen.
Die neue Dschihadisten-Generation
Wie erfolgreich das sein wird, ist fraglich. Denn Al-Qaida im Jemen hat in dem Land Wurzeln geschlagen. Es ist eine neue Generation von Dschihadisten, die jeden Handel mit der jemenitischen Regierung ablehnen. Sie greifen wahllos Touristen an und lassen sich auf Feuergefechte mit der Armee ein.
Selbst Abu Jandal, der weiter an die Rechtmäßigkeit des Dschihads glaubt, kann dem nichts abgewinnen. "Die neue Generation ist sehr gefährlich", sagt er. "Wir haben unsere Taten abgewogen, aber sie greifen jeden Menschen an, egal ob braun oder gelb, ob Pole, Russe oder Amerikaner. Sie haben keine Strategie, sie kennen nur den Kampf und sonst nichts. Wen sie bekämpfen, wissen sie nicht."
Dabei schien die Organisation vor ein paar Jahren bereits das Ende ihrer Tage gesehen zu haben. Die Führer der alten Garde saßen entweder im Gefängnis, sie hatten sich vom Kampf losgesagt – wie bin Ladens Leibwächter Abu Jandal –, oder sie waren tot. In den Jahren 2004 und 2005 gab es keinerlei Anschläge, nichts deutete auf ein Wiedererwachen der Organisation hin.
Flucht und Radikalisierung
Doch im Februar 2006 entflohen 23 Mitglieder von Al-Qaida aus einem Hochsicherheitsgefängnis in Sanaa. Vermutlich mit Hilfe von Wärtern hatten sie sich einen Tunnel gegraben, der direkt in eine Moschee führte. Von den 23 Flüchtlingen blieben im Verlauf der nächsten Monate nur sechs übrig, der Rest starb entweder bei Schusswechseln, wurde wieder festgenommen oder lieferte sich selbst den Sicherheitsbehörden aus.
Unter den übrig Gebliebenen befand sich auch Nasir al-Wahayshi, ein ehrgeiziger Dschihadist, der seit seiner Flucht daran arbeitet, Al-Qaida im Jemen fest zu verankern. Er ist im Juni 2007 offiziell zum Chef der Organisation ernannt worden. Seitdem ist es wiederholt zu Anschlägen gekommen, unter anderen auf die amerikanische Botschaft in Sanaa im September 2008, bei dem 16 Menschen starben.
Abu Jandal, der ehemalige Leibwächter Osama bin Ladens, war damals Augenzeuge. Er hörte eine Explosion und ging auf die Straße, um zusehen, was passiert war. Die Attentäter brachten zwei Autobomben zur Explosion und lieferten sich anschließen einen Schusswechsel mit dem Sicherheitspersonal. Weiter als bis zum ersten Checkpoint kamen sie aber nicht.
"Der Angriff war schwach", sagt der Leibwächter abfällig. "Sie haben keine militärische Erfahrung. Wenn wenigstens ein Amerikaner gestorben wäre! Aber sie haben nur Jemeniten getötet. Was bringt das?"
Die Radikalisierung der neuen Generation hat verschiedene Ursachen. An erster Stelle steht die Gefängniserfahrung. Viele Mitglieder von Al-Qaida geben an, in Haft gefoltert worden zu sein. Das ist nicht unwahrscheinlich, angesichts der Menschenrechtslage im Jemen.
Die Folgen der Folter
Diese Erfahrung hat die Dschihadisten offensichtlich zusammengeschweißt und ihre Entschlossenheit gestärkt, gewaltsam gegen das Regime vorzugehen. Im Gefängnis trafen sie sich zu Studienzirkeln, um über den Koran zu diskutieren.
Bei dieser Gelegenheit nutzten die Radikaleren unter ihnen die Möglichkeit, die anderen zu beeinflussen. Ein flüchtiges Al-Qaida-Mitglied, das an dem Anschlag auf die amerikanischen Botschaft im September 2008 teilgenommen haben soll, sagte in einem Presseinterview: "Die Operationen, die im Jemen stattfinden, sind die Reaktionen junger Leute, die durch Folter in den Gefängnissen tyrannisiert worden sind."
Zum zweiten hat sich die geopolitische Lage verändert. In den 1990er Jahren hatten Dschihadisten keine Probleme mit der Regierung von Präsident Ali Abdallah Salih, Rückkehrer aus Afghanistan konnten sich frei bewegen. Dann kam der 11. September 2001 und das Regime sah sich gezwungen, im Kampf gegen den Terrorismus mit den USA zu kooperieren.
Wahllos wurden Leute verhaftet, sobald nur ein leiser Verdacht bestand, sie könnten Verbindungen zu Al-Qaida haben. Damit machte sich das Regime in den Augen des Terrornetzwerks zum Lakaien des Westens.
In den kommenden Monaten wird der Druck auf die Organisation im Jemen zunehmen. Die USA werden mit Sicherheit versuchen, die Anführer der Organisation zu töten, wie sie es früher bereits getan haben. Die Frage ist nur, ob Al-Qaida diesmal zusammenbrechen wird, wie es 2002 geschehen ist.
"Ich glaube nicht, dass man das Problem nur mit Raketen lösen kann", meint Gregory D. Johnsen, ein US-amerikanischer Jemen-Experte, der einen Weblog über Al-Qaida im Jemen schreibt. "Diesen Zeitpunkt haben wir verpasst. Die neue Generation von Al-Qaida hat es geschafft, sich eine feste Basis im Jemen aufzubauen, die auch den Tod ihrer Führer überleben würde."
Albrecht Metzger
© Qantara.de 2010
Albrecht Metzger ist Islamwissenschaftler und arbeitet als Journalist mit dem Schwerpunkt Islamismus.
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