Religionsdialoge im Mittelalter

Die Suche nach religiöser Verständigung der drei monotheistischen Religionen untereinander behandelt der neu erschienene Sammelband "Juden, Christen und Muslime - Religionsdialoge im Mittelalter". Christian Hauck stellt das Buch vor.

Ramon Llull, Bild: Dartmouth College Library
Ramon Llull

​​Sie wussten, dass sie denselben Gott, denjenigen Abrahams, Jakobs und Isaaks als den einzigen verehren: Der Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen war möglich, aber das Zusammenleben nicht frei von Spannungen.

Trotz Aufklärung und Trennung von Religion und Politik sind Konflikte, die im Mittelalter als religiöse galten, noch immer präsent. Aber nur wenig ist die Begegnung der drei monotheistischen Religionen bisher historisch untersucht worden.

Mit neun Beiträgen hat ein neuer Sammelband Religionsdialoge im Mittelalter zum Thema und verweist auf Fragen der europäischen Identität. Einige Aufsätze aus dem Band gehen auf ein Forschungskolloquium der Universität Frankfurt a.M. zurück.

Im europäischen Mittelalter sehen die Herausgeber einen Prozess wurzeln, der mit der Moderne endete und zur Trennung von Staat und Religion geführt hat.

Toledo - Paradebeispiel der Toleranz

Regionaler Schwerpunkt der Analysen ist die Iberische Halbinsel. Die spanische Stadt Toledo wurde 1085 unter christliche Herrschaft gebracht, nachdem sie muslimisch verwaltet war. Bekanntlich galt sie als Paradebeispiel der Toleranz und der Convivencia, also des Miteinanders der Religionen.

Aus Frankreich sind konkrete Beispiele des intellektuellen Dialogs überliefert: Petrus Abaelardus (oder Abaelard) verfasste ein Religionsgespräch, Petrus Venerabilis gab seine Koranübersetzung bei spanischen Gelehrten in Auftrag.

Herausgeber Alexander Fidora untersucht die intellektuellen Hintergründe religiöser Toleranz im 12. Jahrhundert. Kann der Toleranz-Begriff für das Mittelalter überhaupt angewendet werden? Am Beispiel des jüdischen Gelehrten Abraham Ibn Daûd und des Christen Dominicus Gundissalinus plädiert Fidora dafür.

Ein weiterer Aufsatz zeichnet nach, wie der 1232 auf Mallorca geborene Ramon Llull sich als Christ gedanklich mit den anderen monotheistischen Religionen maß. Erst drei Jahre vor der Geburt Llulls endete die muslimische Herrschaft über die Baleareninsel.

Grundlegend im interreligiösen Dialog war für Llull, dem Gegenüber einzuräumen, dass dessen Position wahr sein könne, wenn sie rational überprüfbar sei. Eine auch gegenwärtig maßgebliche Haltung?

Disput mit Sarazenen

Auch der Text des Frankfurter Arabisten Hans Daiber dreht sich um Ramon Llull. 1307 segelte der Gelehrte in die nordalgerische Stadt Bougie und disputierte dort auf Arabisch mit einem muslimischen ("sarazenischen") Gelehrten. Die später aus dem Gedächtnis verfasste Wiedergabe der Disputation – der arabische Originaltext ging verloren, als Llull auf der Rückreise Schiffbruch erlitt – ist eine äußerst interessante Quelle europäischer Geistesgeschichte.

Das Streitgespräch endete mit einem Eklat, als der Vertreter des Islam das christliche Lob für Gottes Dreifaltigkeit nicht akzeptieren konnte. Llull, deswegen ein halbes Jahr inhaftiert, diskutierte selbst im Gefängnis unermüdlich weiter mit muslimischen Gelehrten. Das Ergebnis: Jeder sollte die Argumente für seine Religion in Buchform darstellen, die wahre Religion sollten die besten Argumente erweisen.

Hanna Kassis aus Vancouver setzt in ihrem anschaulichen, gut lesbaren Aufsatz einen Schwerpunkt auf das 11. Jahrhundert. Sie ergründet, was der Islam in Begegnungen mit dem Christentum symbolisch und gesellschaftlich erwiderte.

Begrüßten Nichtmuslime ihre muslimischen Gegenüber mit "As-Salamu alaikum", d.h. "Friede sei mit dir", war laut einzelnen islamischen Juristen die Erwiderung "Auch mit euch sei Friede, Gottes Gnade und sein Segen" für Nicht-Muslime abzuschwächen.

Nikolaus von Kues und das mittlere 15. Jahrhundert, zur muslimischen Eroberung Konstantinopels, beleuchten die beiden Textbeiträge von Markus Riedenauer und Hermann Schrödter.

Glaube ist keine Privatsache

Riedenauer weicht nicht von seinem philosophischen Vokabular ab und wirkt deshalb mit seinem Text aus Lesersicht abweisend. Der zweite Herausgeber, Matthias Lutz-Bergmann, beschäftigt sich mit dem Theologen Thomas von Aquin und der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ein Forscherquartett der Universität Barcelona untersucht Koranübersetzungen in Spanien.

Die Fülle angegebener, weiter führender Fachliteratur mag sehr hilfreich sein, doch in Form fast ganzseitiger Fußnoten schreckt sie ab. Dabei ist Büchern wie diesen ein breites Publikum zu wünschen, ist doch der Religionsdialog bis heute eine politische Herausforderung Vom Glauben als "Privatsache" kann deshalb keine Rede sein.

Christian Hauck

© Qantara.de 2005

​​Matthias Lutz-Bachmann/Alexander Fidora (Hrsg.):
"Juden, Christen und Muslime. Religionsdialoge im Mittelalter." Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, 240 S.