Du hast keine Chance, also nutze sie!
Viele Verleger müssen fast überall in der arabischen Welt ohne Vertrieb auskommen. Wie also sollen die Bücher bei den Lesern ankommen? Bei einem Workshop in Abu Dhabi suchten arabische Verleger gemeinsam nach Lösungen. Gabriele Rubner informiert.
Dr. Safaa Asmy ist Zahnärztin und gläubige Muslimin. "Ich glaube an das Buch und handle strikt danach", erzählt sie mir mit ernster Miene. Mit "das Buch" ist selbstredend der Koran gemein. Dass sie auch an das Büchermachen glaubt, beweist sie in beeindruckender Weise, dabei ist sie erst seit sieben Monaten im Geschäft.
Ihren drei Kindern hat sie schon immer viele Geschichten erzählt. Als sie merkte, dass sie ein Talent für dieses Metier hat, fing sie an, die Geschichten aufzuschreiben – und zu verkaufen. Eigentlich versteht sich Safaa Asmy in erster Linie als Autorin, da aber kein Verlag ihre Kindergeschichten veröffentlichen wollte, nimmt sie nun die Sachen selbst in die Hand.
Insgesamt 15 Titel hat sie im letzten halben Jahr auf den Markt gebracht. Sie hat Grafiker angeheuert, Druckereien gesucht, Lesungen veranstaltet und mit Buchhandlungen gesprochen. Die Bücher lagern bei ihr Zuhause in Dubai.
"Wir haben ein großes Haus. Trotzdem musste mein Mann sein Zimmer räumen für meine Bücher" lacht Dr. Asmy. "Ich habe mir alles selbst beigebracht. Aber ich habe ein großes Problem: der Vertrieb." Um dieses Problem in den Griff zu kriegen, will sie jetzt auch die theoretischen Grundlagen des Verlegens erlernen. Also hat sie gleich beide Workshops des "Publishers Training" in Abu Dhabi gebucht.
Der modern ausgestattete Konferenzraum des Goethe-Instituts im 15. Stock eines Wolkenkratzers in Downtown Abu Dhabi gleicht am Vorabend meines Workshops "Marketing and Distribution" einer Großbaustelle.
Die schalldichte Kabine für die Simultanübersetzerinnen vom Englischen ins Arabische wird montiert, die Mikrofonanlage installiert, Tische geschleppt und Metaplan-Tafeln aufgebaut. Durch die großen Fenster hat man einen atemberaubenden Blick auf hunderte von Baukränen – in den nächsten Monaten entsteht auf einer Insel in rasender Geschwindigkeit eine komplett neue Stadt: New Abu Dhabi.
"Distribution is my mission"
Alexandra Bueltemeier betreut als verantwortliche Projektmanagerin bei KITAB, einem Joint Venture der Frankfurter Buchmesse und der "Abu Dhabi Authority for Culture and Heritage", der Kulturbehörde Abu Dhabis, in Zusammenarbeit mit der Akademie des Deutschen Buchhandels in München das Publishers Training. Durchführende Partner sind KITAB (arabisch für "Buch") und das Goethe-Institut Gulf Region.
"Hoffentlich sind morgen alle pünktlich und hoffentlich kommen alle angemeldeten Teilnehmer", meint sie etwas nervös. Telefonische Anmeldungen, die mit einem Inshallah beendet wurden, habe sie gleich mit einem dicken Fragezeichen versehen.
Am nächsten Tag sind dann doch fast alle gekommen: Ali, Shaheen, Mohamed und Abdullah aus Abu Dhabi, Mounes aus Jordanien, Nadim Mroueh aus dem Libanon, Yousuf Mohsen Barak aus Saudi Arabien, Ghassan Rabie aus Syrien, Guerfi Okba aus Algerien, Mohamed Awf aus Ägypten und Safaa Asmy aus Dubai.
Nach der Begrüßung durch Monika Krauss, Geschäftsführerin von KITAB, legen wir los und sind gleich mitten im Thema. Was sie denn unter Distribution verstehen, frage ich die Teilnehmer. "Distribution is my mission, das ist die wichtigste Aufgabe – und zugleich die schwierigste!" sagt Nadim Mroueh.
Verleger ohne Bücher
In der folgenden Gruppenarbeit, in der ich die Teilnehmer bitte, ihre Vertriebswege aufzulisten und die jeweiligen Probleme zu benennen, wird dann auch schnell deutlich, wie schwer es ist, im arabischen Raum Bücher zu vertreiben. Die zahlreichen Buchmessen sind der wichtigste Weg zum Leser. Anders als Deutschland wird hier direkt an die Endverbraucher verkauft.
Da es in den meisten arabischen Ländern nur in den Großstädten Buchhandlungen gibt, nehmen die Menschen weite Wege in Kauf, um sich auf den Messen mit Lesestoff einzudecken. Aber auch die Wege der Verleger zu den Buchmessen sind weit.
"Die Flüge, die Miete für den Stand und die Hotelkosten sind enorm hoch und es ist jedes mal fraglich, ob wir unsere Bücher überhaupt rechtzeitig zur Messe geliefert bekommen", klagt Guerfi Okba, der Algerier. "Ich stand schon öfters mehrere Tage lang vor einem leeren Messestand!"
Der Vorteil der Buchmessen ist aber auch, dass die Verleger sofort ihr Geld in der Hand haben. "Wir warten oft jahrelang auf die Bezahlung durch die Buchhandlungen", erklärt der Saudi Youssuf Mohsen Barak. Es gibt keine Rechnungsstellung, kein Inkasso, keine Banküberweisungen; Kreditkartenfälschung, Korruption und Zensur sind an der Tagesordnung.
Die Verleger gewähren hohe Rabatte, wenn ein Kunde im Voraus oder sofort bei Lieferung bezahlt. Ein sicherer Weg ist der über die Distributoren. "Ich als kleiner Verlag werde bei denen gar nicht aufgelistet. Mit mir spricht man gar nicht", meint Safaa Asmy und wirft einen vorsichtigen Blick über den Tisch zu Mohamed Awf, einem der mächtigen Distributoren im arabischen Raum.
Werbung für das falsche Buch
Fehlende buchhändlerische Grundstrukturen erschweren den Verlegern außerdem die Arbeit. Eine ISBN gibt es wohl, aber kein Verzeichnis lieferbarer Bücher. Niemand weiß, welche Bücher produziert werden, welche Bücher überhaupt auf dem Markt sind – und es mangelt an Recherchemöglichkeiten. Auch Titelschutz ist unbekannt.
"Es ist mir schon häufig passiert, dass ein Buch aus meinem Verlag den gleichen Titel hat, wie das eines Konkurrenzverlages. Ich mache dann Werbung für deren Bücher", meint der Libyer Ghassan Rabie genervt. Aber auch die mangelnde Leserschaft und die geringe Zahl von Buchkäufern sind ein grundsätzliches Problem. Analphabetismus ist weit verbreitet. Leseförderung wäre ein großes Thema. Meine Frage nach den Aktivitäten des arabischen Verlegerverbandes quittiert die Gruppe mit Achselzucken.
Ein weiteres großes Problem spricht Ali an: "Wir sprechen zwar alle die gleiche Sprache, müssen aber Länder übergreifend verkaufen. Jedes Land hat eigene Gesetze. Das ist schwierig zu durchschauen!"
Am Nachmittag machen wir uns dann auf die Suche nach neuen Vertriebswegen und eine rege Diskussion entsteht. "Neue Kunden sind mir ein zu großes Risiko. Ich weiß nicht, ob ich mein Geld bekomme", ruft der Libanese Nadim Mroueh spontan in die Runde.
Mangelndes Vertrauen
Auch Safaa Asmy ist skeptisch. Sie möchte ihre Bücher zum Bespiel nicht bei Carrefour verkaufen, da auch sie dort niemals Bücher kaufen würde.
Dem bei uns so rasant wachsenden Vertriebsweg Internetbuchhandel steht die Gruppe kritisch gegenüber. Die meisten Haushalte in der arabischen Welt besitzen nach wie vor keinen Computer, der Abrechnung über Kreditkarten sei nicht zu trauen, genauso wenig wie der Belieferung durch die Post.
Auf offene Ohren stößt meine Anregung, sich mit den bestehenden Vertriebswegen intensiv zu befassen, bevor man neue suche. Betreuen wir unsere Kunden optimal und könnten vielleicht höhere Umsätze mit ihnen erzielen? Wie nutzen wir unsere Messepräsenz für Folgegeschäfte? Erhalten kleine Geschenke die Freundschaft und wie schulen wir unsere Verkaufsmitarbeiter besser? Ein ganzes Bündel praktischer Ideen wird erarbeitet.
Anleitung zum Bau eines Iglus in Abu Dhabi?
Der zweite Tag des Publishers Training steht unter der Überschrift "Marketing und Export". Andrew Hansen, Managing Director bei "Prestel UK" in London, führt die Gruppe in seinem zweistündigen Gastvortrag mit viel britischem Humor in die Geheimnisse des weltweiten Vertriebs ein. Die mitgebrachte Adressliste der wichtigsten Exportpartner wird ihm aus der Hand gerissen.
Neben viel praktischem Vertriebs-Know-how vermittelt Andrew Hansen den Teilnehmern aber auch, wie wichtig es beim Bücherverkaufen im Ausland ist, die richtigen Titel für die richtige Zielgruppe im Gepäck zu haben. Der wunderschöne Bildband "How to build an Igloo" wird in Abu Dhabi wohl nur schwerlich Absatz finden.
Und so sind wir gleich mitten drin im nächsten Thema: Marketing-Mix und die zentrale Frage "Wer ist mein Kunde und wie erreiche ich ihn". Verkaufsförderung, Push- und Pull-Marketing, Werbung versus Pressearbeit, den richtigen Preis finden – das Interesse an diesen theoretischen Grundlagen ist groß.
"Vieles davon habe ich bereits angewendet, aber jetzt ist mir auch klar geworden, wie man Marketing-Tools sinnvoll miteinander verknüpft. Ich werde zukünftig zum Beispiel zu allen meinen Lesungen Journalisten einladen", freut sich Safaa Asmy.
Zielgruppenmarketing für den arabischen Raum
Eine gänzlich neue Welt eröffnet sich der Gruppe mit dem Thema Zielgruppen. Ich stelle die Sinus-Studie vor, und wir werfen gemeinsam einen Blick in die einzelnen Milieus und deren Lebenswelten. Ob man das so einfach auf die arabischen Konsumenten übertragen könne, bezweifelt Nadim Mroueh. Auch Youssuf ist der Meinung, dass die Menschen in den verschiedenen Ländern zu unterschiedlich sind.
Auch sei man auf Grund der geringen Leserzahl gezwungen, "Bücher für jedermann" zu machen, um eine halbwegs rentable Auflagenhöhe zu erreichen. Als wir anschließend diskutieren, ob Stephanie Meyers "Twilight" ein Buch für jedermann sei, gehen die Meinungen der Teilnehmer dann doch ziemlich auseinander.
In die abschließende Gruppenarbeit fließen die Ergebnisse unserer beiden Workshoptage zusammen. In drei Teams erarbeiten die Verleger ein Marketing- und Vertriebskonzept für ein Buch ihrer Wahl. Distributor Mohamed Awf und Safaa Asmy präsentieren eine gemeinsame Strategie zur Vermarktung von Asmys neuem Kinderbuch, unter anderem auch bei Carrefour – Inshallah!
Zurück in Deutschlands herbstlicher Verlagswelt denke ich etwas wehmütig an meine arabischen Kolleginnen und Kollegen. Bei allen Schwierigkeiten und Problemen beneide ich sie ein wenig. Unser Markt ist gesättigt, es regiert ein harter Verdrängungswettbewerb. Dort hingegen herrscht Aufbruchstimmung. Man ist begierig zu lernen, Neues auszuprobieren, man ist hungrig und sieht viele Chancen. Deutschland ist in dieser Hinsicht 'fertig gebaut'.
Gabriele Rubner
© Gabriele Rubner / Qantara.de 2009
Gabriele Rubner ist seit 25 Jahren in der Verlagsbranche tätig. Sie arbeitete als Vertriebs- und Marketingleiterin bei verschiedenen Verlagen und als Geschäftsführerin des Deutschen Fundraising Verbandes. Seit 2008 leitet sie den Verlage Kunst+Reise, Bad Homburg. Das "Publishers Training", das von ihr geleitet wurde, fand vom 8. bis 12. November 2009 in Abu Dhabi statt.
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