Paternalismus statt Gleichberechtigung

Nach fünf Integrationsgipfeln wäre es endlich an der Zeit, Strukturen und Vorurteile abzubauen, die eine wirkliche gesellschaftliche Gleichberechtigung und Teilhabe von Einwanderern bis heute verhindern, schreibt Daniel Bax in seinem Kommentar.

Bei der Pressekonferenz zum Abschluss des Fünften Integrationsgipfels kam Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht auf die rassistische Mordserie der Rechtsterroristen aus ihrem Bundesland zu sprechen. In diesem Zusammenhang plädierte die CDU-Politikerin für mehr "Toleranz" und eine neue "Willkommenskultur" in Deutschland.

Seit vor drei Monaten bekannt wurde, dass ein untergetauchtes Trio von Neonazis über Jahre hinweg heimtückische Morde an mehreren türkischstämmigen Gewerbetreibenden verüben konnte, ohne entdeckt zu werden, hatte dieses Thema viele Migranten stark bewegt. Doch beim Fünften Integrationsgipfel im Kanzleramt spielte es kaum eine Rolle.

Monolog statt Dialog

Angela Merkel auf dem Neujahrsempfang der Deutschlandstiftung Integration 2012; Foto: dapd
"Der Nationale Aktionsplan trägt deutlich die Handschrift der Regierung Merkel – die Ziele und Selbstverpflichtungen sind deshalb recht überschaubar und unverbindlich", meint Daniel Bax.

​​Darin zeigte sich einmal mehr die Schieflage, welche seit jeher die Debatte zwischen Einwanderern und Mehrheitsgesellschaft über Fragen der Integration prägt. Während die Bundesregierung in Sachen Integration vor allem die Einwanderer in der Bringschuld sieht und von ihnen erwartet, sich mehr anzustrengen und anzupassen, erhoffen sich die meisten Migranten davon echte Gleichberechtigung und mehr Schutz vor Diskriminierungen. Oder, wie in diesem Fall, vor rassistischer Gewalt. Und so redet man oft aneinander vorbei. Oder, die Bundesregierung führt einen Monolog.

Zum fünften Mal kamen am letzten Tag des Januars rund 120 Gäste aus Wirtschaft, Politik, Sport und Verbänden auf Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Amtssitz zusammen, um über eine bessere Integration von Einwandern zu beraten. Zentrale Themen des Treffens waren diesmal die Sprachförderung und das bürgerschaftliche Engagement von Migranten sowie eine stärkere Einbindung von Einwanderern im öffentlichen Dienst und den Medien.

Verabschiedet wurde dazu ein "Nationaler Aktionsplan", den die Bundesregierung in den letzten Monaten zusammen mit den Bundesländern, Kommunen und Migranten-Organisationen ausgearbeitet hat. Er trägt allerdings deutlich die Handschrift der Regierung – die Ziele und Selbstverpflichtungen sind deshalb recht überschaubar und unverbindlich.

Worum etwa geht es in diesem Aktionsplan? Vor allem den Anteil von Migranten im öffentlichen Dienst will die Bundesregierung verbessern – damit "sich die Vielfalt unseres Landes auch in den Institutionen widerspiegelt", wie es Angela Merkel bei der Pressekonferenz nach dem Gipfel formulierte.

Niedriger Anteil von Migranten im öffentlichen Dienst

Dieses Ziel hatte sie allerdings schon vor fünf Jahren ausgegeben, ohne dass sich in den Amtsstuben der Republik allzu viel geändert hätte. Der Anteil von Einwanderern im öffentlichen Dienst dümpelt seit Jahren auf dem gleichen niedrigen Niveau (9,9 Prozent) vor sich hin. Nur bei Lehrern und Erziehern hat es hier einen deutlichen Anstieg gegeben. Und dass, obwohl der Staat doch eine "Vorbildfunktion" für andere Arbeitgeber haben sollte, wie die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, einräumte.

Nun gibt es dazu eine Werbekampagne, die Jugendliche mit Migrationshintergrund motivieren soll, eine Karriere im Staatsdienst einzuschlagen: als Lehrer, Polizist oder Angestellter in der Verwaltung. Ob das genügt, steht auf einem anderen Blatt. Denn die Gründe, warum sich auf diesem Gebiet in den letzten Jahren so wenig getan hat, dürften vielfältig sein.

Besonderen Wert legt die Bundesregierung auch darauf, Einwandererkindern das Deutschlernen zu erleichtern. Dafür wird die gezielte Sprachförderung in Kindergärten und Kitas bis 2014 mit 400 Millionen Euro unterstützt. Zudem will man mehr Migranten für Ehrenämter und die Mitgliedschaft in Vereinen gewinnen.

Wählerin bei der Stimmabgabe bei einer Kommunalwahl in Deutschland; Foto: Gina Sanders/Fotolia
Integrationspolitik der halbherzigen Schritte: Die Opposition sowie Migrantenverbände bezeichnen die Ergebnisse des Integrationsgipfels als "zu dürftig". Sie fordern u.a. ein kommunales Wahlrecht für alle in Deutschland lebenden Ausländer.

​​Sportvereine etwa sollen nur noch dann gefördert werden, wenn sie sich für die Integration engagieren. Die Bundesländer wiederum setzten sich zum Ziel, die Zahl der Schulabbrecher unter den Einwandererkindern bis 2015 zu halbieren. Das sollte ursprünglich bereits dieses Jahr passieren.

Im Vorfeld hatte es von Opposition, Gewerkschaften und Migrantenverbänden harsche Kritik am Integrationsgipfel gegeben. Drei Dutzend Verbände hatten eine gemeinsame Erklärung vorgelegt, in der sie zu einem stärkeren Engagement gegen Rassismus aufriefen.

Nach der Mordserie an türkischstämmigen Kleinunternehmern müssten "latent rassistische Strukturen in den Ermittlungsbehörden" hinterfragt werden, heißt es in dem Aufruf. Außerdem fordern die Unterzeichner einen "Aktionsplan gegen Rassismus" und eine Stärkung des Opferschutzes. Und sie plädieren für eine unabhängige Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Rechtsextremismus.

Eklatante Lücken im Aktionsplan

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht "eklatante Lücken" im Aktionsplan der Bundesregierung. In einem Positionspapier benennt er seine wichtigsten Kritikpunkte: Gerade Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit würden oft in prekäre und schlecht bezahlte Jobs abgedrängt, heißt es da.

Außerdem würden jugendliche Migranten auf dem Ausbildungsmarkt auch bei gleichen Qualifikationen weiterhin benachteiligt. Der DGB kritisiert zudem die Vorrangprüfung, nach der deutsche Kandidaten gegenüber ausländischen Bewerbern auf einen Arbeitsplatz den Vorzug bekommen.

Die Oppositionsparteien fordern außerdem Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht. SPD, Grüne und Linkspartei plädieren dafür, die doppelte Staatsbürgerschaft und das kommunale Wahlrecht auch für Ausländer, die nicht aus EU-Staaten stammen, zuzulassen. Außerdem bemängeln sie, dass die Hürden für die Einbürgerung zu hoch sind. Doch mit diesen Forderungen stoßen sie bei der konservativen Bundesregierung auf taube Ohren.

Fast sechs Jahre ist es her, dass Angela Merkel den ersten Integrationsgipfel im Kanzleramt einberief. Damals war das ein großer Schritt, weil er die Abkehr von der Vorstellung besiegelte, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. Heute spricht Angela Merkel davon, Deutschland sei ein "Integrationsland". Doch die Vorstellung, die dahinter steht, ist längst überholt.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat; Foto: dapd
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, erklärte, der Beschluss, mehr Migranten in den öffentlichen Dienst zu holen, sei "ein richtiger Ansatz". Aber das löse das eigentliche Problem nicht. "Es ist versäumt worden, in Deutschland eine echte Willkommenskultur zu entwickeln."

​​Unter "Integration" scheint diese Bundesregierung immer noch zu verstehen, dass man Migranten "an die Hand nehmen" muss, damit sie Anschluss an die deutsche Gesellschaft finden. Deshalb erschöpft sich ihre Integrationspolitik vor allem darin, Einwanderern und deren Kindern das Erlernen der deutschen Sprache zu erleichtern. Und darum ist sie so stolz auf ihre kleinen Erfolge bei der frühkindlichen Sprachförderung und auf ihre "Integrationskurse", in denen erwachsene Einwanderer ihre Deutschkenntnisse verbessern.

Abschied vom Paternalismus

Es wäre an der Zeit, sich von diesem Paternalismus zu verabschieden. Weit mehr wäre gewonnen, wenn endlich die Strukturen und Vorurteile abgebaut würden, die eine echte Gleichberechtigung und Teilhabe von Einwanderern verhindern – im Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt und vor dem Gesetz.

Nichts anderes steht hinter den vielen Forderungen, die Gewerkschaften, Verbände und Opposition am Rande des Integrationsgipfels erhoben haben. Weil sie damit bei der Bundesregierung kein Gehör gefunden haben, plant die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) deshalb nun gemeinsam mit anderen Verbänden einen "Gipfel gegen Rassismus", der voraussichtlich im Frühjahr stattfinden soll.

"Wir wollen nicht mehr über Integration, sondern über den Kampf gegen Rassismus und über mehr gesellschaftliche Partizipation sprechen", erklärte der TGD-Vorsitzende Kenan Kolat dazu. Dem Integrationsgipfel könnte damit eine ernsthafte Konkurrenz erwachsen. An der Zeit wäre es ja.

Daniel Bax

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de