Ein kleiner Sieg für die Demokratie in Malaysia
Wem gebührt dieser Sieg? Das Oberste Gericht Malaysias hat Anwar Ibrahim freigesprochen. Der Richter führte an, dass die Beweise nicht ausreichten, um den Oppositionsführer wegen Homosexualität zu verurteilen.
Homosexualität ist ein Verbrechen in Malaysia. Auf homosexuelle Handlungen stehen bis zu 20 Jahre Haft. Im Fall der politischen Persönlichkeit Anwar Ibrahim hätte solch eine Anschuldigung das Ende seiner Karriere bedeuten können. Mehr als zwei Jahre hatte dieser Fall vor Gericht für Kontroversen gesorgt.
Ein Fall voller Machenschaften
Von Beginn an war an der Sache etwas faul. Zuvor hatte es eine Begegnung zwischen Premierminister Najib Razak und Mohamad Saiful gegeben – der Person, die die Anschuldigungen erhoben und behauptet hatte, von Anwar vergewaltigt worden zu sein. Razak stritt dieses Zusammentreffen zunächst ab, widerrief seine Aussage jedoch und gab schließlich zu, dass Mohamad Saiful ihm wenige Tage vor der Anzeige von dem Fall erzählt hatte.
Am Ende urteilte das Gericht: Anwar Ibrahim ist unschuldig und wird freigesprochen. Die malaysische Regierung wusste dieses Urteil sofort für sich zu nutzen. Mit Stolz sprach sie von einem Beweis für das Nicht-Intervenieren der Regierung und die Unabhängigkeit des malaysischen Gerichts, welches frei von der ihm bisher vorgeworfenen Korruption sei.
Doch entspricht dies wirklich der Wahrheit? Wenn es sich tatsächlich um eine unabhängige Institution handelt, warum hatte das Gericht diesen Fall überhaupt angenommen, obwohl dieser von Anfang an durch eine schwache Beweislage geprägt war? Handelt es sich nicht vielmehr um ein politisches Manöver, zu dem sich das Regime Najib Razaks genötigt fühlte, um kurz vor den allgemeinen Wahlen Sympathien zu gewinnen?
In Wirklichkeit blieb ihm wohl keine andere Wahl: Eine Inhaftierung Anwars kurz vor den Wahlen hätte das ohnehin angekratzte Image der Regierung noch weiter verschlechtert. Die Sympathien wären stattdessen Anwar zugefallen und der internationale Druck auf die Regierung in Kuala Lumpur hätte sich weiter verstärkt. Als einziger Ausweg blieb die Freilassung des Oppositionsführers. Die Regierung erhofft sich die Sympathien der Wähler und möchte gleichzeitig zeigen, dass sie es mit ihrer Reformagenda ernst meint.
Eine kritische Frage ist in diesem Fall angemessen: Hat sich Malaysia wirklich schon geändert? Das Freedom House, eine Institution zur Messung des Demokratisierungsgrades, stufte Malaysia bis zum vergangenen Jahr immer noch als "teilweise freien" Staat ein. Und das nicht ohne Grund: Die Regierung schränkt nach wie vor die Redefreiheit sowie die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ein. Journalisten und sogar Bloggern droht bei Regierungskritik Gefängnis. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es noch keine signifikanten Veränderungen gibt.
Anwar Ibrahim und die "Chamäleon-Politik"
Anwar Ibrahim ist die Schlüsselfigur für Malaysias Demokratie. Auch wenn die politische Koalition, die er gegründet hat, durchaus Fragen aufwirft. Anwar Ibrahim, der im Westen als säkularer Politiker bekannt ist, war gezwungen eine halbherzige Verbindung mit der PAS (Islamische Partei Malaysias) einzugehen, welche das Scharia-Recht einführen möchte.
Auf diese scheinheilige Allianz musste er sich einlassen, um ein Gegengewicht zu der machthabenden "Barisan Nasional"-Koalition (Nationale Front) zu schaffen. Das Magazin The Economist hatte Anwar einmal den Spitznamen "Das Chamäleon Malaysias" verliehen. An einem abgelegenen Ort hatte er die Bürger im Wahlkampf gebeten, einen Kandidaten der PAS, einen aufrichtigen, pflichtbewussten Muslim zu wählen.
Bei anderer Gelegenheit plauderte er angeregt mit säkularen Politikern über Demokratie. So ist es nicht verwunderlich, dass er häufig unterschiedlich wahrgenommen wird. Auf das säkulare Lager wirkt er manchmal doch sehr islamisch. Umgekehrt sind seine Auffassungen für die Gruppe der Muslime oft zu westlich angehaucht.
Doch auf diese Gratwanderung musste er sich einlassen. Inmitten einer Wählerschaft, die in der Mehrheit aus malaysischen Muslimen besteht, muss er mit ihren Worten sprechen. Sich auf Kompromisse mit den konservativen Kräften einzulassen, war der Pfad, auf den Ibrahmin Anwar sich begeben musste, um der starken Regierung, die bereits seit Malaysias Unabhängigkeit im Jahr 1953 an der Macht ist, gegenübertreten zu können.
Politik der Identität und die Zukunft der malaysischen Demokratie
Religiöser Konservatismus und ethnische Konflikte drohen zur Gefahr für Malaysia zu werden. Vor zwei Jahren war es infolge eines Regierungsbeschlusses zu religiösen Unruhen gekommen. Katholiken war es auf einmal verboten worden, den Namen Allah als Anrede Gottes zu verwenden. Als Begründung wurde angegeben, dass dieser Name allein dem Islam vorbehalten sei. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Beschlusses kam es zu Gewaltakten und drei Kirchenbränden.
Die Politik der Identität wird zur Herausforderung für die Zukunft der Demokratie. Das Erstarken der Gruppenkonflikte gibt Anlass zur Sorge: In welche Richtung wird der Wind der Veränderungen wehen? Werden die Islamisten siegen, so wie es in Tunesien und Ägypten der Fall ist?
Eins ist sicher, der Wind der Veränderungen bläst immer stärker. Kurz nach seinem Freispruch zwitscherte @anwaribrahim bei Twitter: "In the comming Election, voice of the people will be heard and this corrupt government will be toppled from its pedestals of power".
Jetzt hängt es davon ab, wer die Gunst der Stunde effektiver für sich zu nutzen weiß: Wird es die malaysische Regierung sein, indem sie die geplanten Reformen schrittweise in die Tat umsetzt? Oder wird die Oppositionsgruppe immer mehr Unterstützung erhalten? Und falls die Opposition an die Macht kommt, welche Strömungen werden dominanter sein, die säkularen oder die islamischen?
Diese Fragen lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten. Doch eins ist sicher: Die Freilassung Anwar Ibrahims vergrößert die Chancen, die Transformation der Politik voranzutreiben. In diesem Sinne kann von einem kleinen Sieg für die Demokratiebewegung gesprochen werden.
Andy Budiman
© Qantara.de 2012
Übersetzt aus dem Indonesischen von Birgit Lattenkamp
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de