Serbischer Staat hat Mitverantwortung

Der Internationale Gerichtshof hat eine Klage zurückgewiesen, in der Serbien und Montenegro für den Genozid an bosnischen Kroaten und Muslimen direkt verantwortlich gemacht werden. Benjamin Pargan kommentiert.

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat eine bereits 1993 eingereichte Klage Bosnien-Herzegowinas zurückgewiesen, in dem das damalige Rest-Jugoslawien bzw. Serbien und Montenegro für den Genozid an bosnischen Kroaten und Muslimen als direkt verantwortlich beschuldigt wurden. Jedoch werteten die Haager Richter das Massaker von Srebrenica zum ersten Mal als Völkermord und wiesen dem serbischen Staat eine Mitverantwortung zu. Benjamin Pargan kommentiert.

Friedhof für die Opfer des Völkermords von Sebrenica; Foto: AP
Achttausend muslimische Männer und Jungen wurden 1995 in der bosnischen Enklave Sebrenica ermordert

​​Und wieder gab es ein klares "Jein" und eine "sowohl als auch"-Lösung der so genannten internationalen Gemeinschaft.

Die Enttäuschung der mehrheitlich muslimischen Kriegsopfer in Bosnien-Herzegowina ist verständlich. Denn viele von ihnen wurden von aus Serbien und Montenegro stammenden Reservisten und Freischärlern vertrieben, gefoltert, vergewaltigt.

So werden zum Beispiel die Angehörigen der in der bosnischen Stadt Bijeljina umgebrachten Bosniaken (Muslimen) diese Entscheidung nie verstehen können. Denn ihre Familienmitglieder wurden gleich in den ersten Kriegstagen Opfer von Spezialeinheiten und Killerkommandos, die aus Serbien kamen, und zwar mit dem Segen der damaligen Regierung in Belgrad.

Ähnliches geschah in einigen anderen Städten in Bosnien-Herzegowina und wurde in den einzelnen Prozessen vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal mehrfach bewiesen. Indirekt bestätigte dies auch die Präsidentin des Internationalen Gerichtshofs, Rosalyn Higgins mit der Bemerkung, Serbien habe bosnische Serben militärisch und finanziell in erheblichem Ausmaß unterstützt.

Wo geht denn diese erhebliche Unterstützung in eine direkte Verantwortung für den Völkermord über? Entweder ließ sich diese Frage nicht endgültig klären, oder - was noch wahrscheinlicher ist - die Richter des höchsten UN-Gerichts hatten nicht genug Mut und Ausdauer, dies zu tun, ohne Rücksicht auf die möglichen politischen Auswirkungen.

Trotzdem hat der Richterspruch des Internationalen Gerichtshofs auch seine positive Seite. Bisher hatte ein großer Teil des serbischen politischen Establishments immer wieder von einer pauschalen Vorverurteilung der Serben gesprochen.

Solche meist nationalistisch gesinnten Kräfte nutzten die leider viel zu oft gelieferten Steilvorlagen, um ihrer Bevölkerung die Geschichten über angeblich aufgezwungene und ungerechte Kollektivschuld der Serben aufzutischen. Viele Serben nahmen diese Argumentationshilfen dankend an, wenn es um ein Hinterfragen der eigenen Rolle in den Kriegsjahren ging.

Eine Verurteilung Serbiens hätte solchen populistischen Rattenfängern noch mehr Aufwind geliefert. Es war immerhin das erste Mal, dass ein Staat wegen Völkermordes angeklagt wurde.

Jetzt gibt es eine Ausrede weniger für die bisherige Ablehnung der Überstellung von wegen Kriegsverbrechen angeklagten serbischen Generälen an das Haager Kriegsverbrechertribunal. Mit dem Urteil wurde ein wichtiger Schritt gemacht in Richtung einer - auch von Serbien oft verlangten - Individualisierung der Schuld.

Die Regierung in Belgrad wird dieses Urteil wahrscheinlich eher als Entlastung deuten. Umso mehr muss die internationale Gemeinschaft und vor allem die EU klar machen, dass die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal nach wie vor die Voraussetzung für eine Annäherung an die euro-atlantischen Strukturen bleibt.

Ansonsten werden die bisher eher dürftigen Anstrengungen der Serben, die Kriegsverbrecher zu bestrafen, jetzt noch schneller und geräuschloser versanden.

Benjamin Pargan

© DEUTSCHE WELLE 2007

Qantara.de

Interview mit Albin Eser
"Einen derart folgenreichen Urteilsspruch hätte ich nicht erwartet"
Der Internationale Gerichtshof hat das Massaker von Srebrenica erstmals als Völkermord eingestuft. Ein Gespräch mit Albin Eser, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für internationales Strafrecht