"Meine Musik vereint Dede Efendi und Mozart"

Frau Ibrahimova, fühlen Sie sich mehr bulgarisch oder mehr türkisch?
Yildiz Ibrahimova: Ich wurde in Bulgarien geboren und bin dort auch aufgewachsen, meine ganze Ausbildung habe ich dort absolviert. Ich fühle mich bulgarisch-türkisch, und das betrachte ich als eine Bereicherung und einen großen Vorteil für mich. Ich habe nicht nur die bulgarische oder die türkische Kultur; ich habe beide. Ich singe, von meiner Großmutter gelernte Lieder, bei denen es sich um 500 bis 600 Jahre alte Volkslieder aus Rumelien [den Balkanraum des ehemaligen Osmanischen Reiches, d. Red.] handelt. Viele kennen die Stücke nicht, aber nachdem sie die Lieder gehört haben, begreifen sie, wie verwandt sie eigentlich sind.
Hebt die Musik die Grenzen auf?
Ibrahimova: Die Grenzen sind später gezogen worden. Eigentlich sind all diese Regionen folklorische Gebiete. Ein Beispiel: Das bulgarische Thrakien und das türkische Thrakien liegen als kulturelle Einheiten sehr nah beieinander. Aber Politiker ziehen künstliche Linien und somit teilen sie die Dörfer, Städte und Menschen auf, sie trennen sie. In der Welt gibt es so viele tragische Beispiele dafür. Auf der anderen Seite aber vereinigt die Musik alles – die Kunst ist ein sehr wichtiger Kitt für die Kulturen.
Wie würden sie sie Ihre Musik beschreiben?
Ibrahimova: Ich liebe meine Freiheit und in meiner Musik drücke ich das auch aus. Ich arbeite mit vielen internationalen Künstlern zusammen. Meine Musik mache ich nicht nur für eine bestimmte ethnische Gruppe: Mein Repertoire umfasst Lieder aus der Renaissance-Zeit, von Bach, Mozart und reicht bis Dede Efendi. Ich habe Dede Efendi und Mozart in meiner Musik zusammengebracht, ich habe also ein breites musikalisches Spektrum.
Ich habe auch ein Album mit Kinderliedern aufgenommen, es enthält europäische sowie türkische Stücke. Ich mache eine kulturelle Mischung, da wir sehr viel von einander bekommen haben und beeinflusst worden sind. Keiner hat bei Null angefangen.
Wie sehen die Europäer die Türkei?
Ibrahimova: Wenn ich mitten in Paris von einem gebildeten Menschen gefragt werde: "Welches Alphabet benutzt man eigentlich in der Türkei – schreibt ihr nicht mit arabischen Buchstaben?" – dann bekommt diese Person von mir Minuspunkte. Denn der Mensch ist lernfähig: Wenn man einen Ort oder einen Menschen wirklich kennen lernen möchte, muss man recherchieren, lesen. Aber wenn man seine Vorurteile nur bestätigt sehen will, muss man die Wahrheiten ignorieren und die Augen verschließen.
Kann auch die Politik wirksam Voruteile bekämpfen?
Ibrahimova: Die Politik soll sich gar nicht einmischen! Und das sage ich als Frau eines Politikers. Die Grenzen lösen sich in der Musik auf. Es wäre schön, wenn die Politik auch so ein einigender Kitt sein könnte, aber im Endeffekt muss man kulturelle Brücken schlagen, das ist sehr wichtig.
Inwiefern bauen Sie mit Ihrer Musik kulturelle Brücken?
Ibrahimova: Ich singe in vielen verschiedenen Sprachen wie Bulgarisch, Türkisch, Sephardisch, Russisch, Italienisch, Englisch, Romanisch; dadurch erreiche ich ein breites Publikum. Meine Botschaft ist die Toleranz; dieses Kulturerbe gehört uns allen, wir müssen es alle beschützen. Aber dafür müssen wir unsere Unterschiede kennen lernen. Wenn wir "anders sein" besser kennen lernen, können wir uns gegenseitig akzeptieren, statt negativ aufeinander zu reagieren.
Interview: Hülya Sancak
© Qantara.de 2008