Streifzug durch die moderne Musik Istanbuls

Nirgendwo in der islamischen Welt ist der Weg des Orients ins Abendland so konsequent vollzogen worden wie in Istanbul. Dies zeigt sich auch in der Musikszene der Metropole: Sie demonstriert eine selbstverständliche Koppelung von türkischen Traditionen und westlicher Urbanität.

Nirgendwo in der islamischen Welt ist der Weg des Orients ins Abendland so konsequent vollzogen worden wie in Istanbul. Dies zeigt sich auch in der Musikszene der Metropole: Sie demonstriert eine selbstverständliche Koppelung von türkischen Traditionen und westlicher Urbanität. Von Stefan Franzen

Foto: dpa
Boomende Musikmetropole Istanbul

​​"Istanbul ist die große Kreuzung, der Big Apple für diesen Teil der Welt. Hier passiert viel mehr als in der Hauptstadt Ankara, das man eher als das türkische Washington ansehen kann. Alle guten und schlechten Musiker sind hier, und es gibt eine unglaublich weit gefächerte Radiolandschaft", meint Richard Hamer, während er in einem Kaffeehaus im Viertel Beyoğlu an seinem Tschai nippt.

Der Saxophonist blieb vor 18 Jahren am Bosporus hängen und bastelt dort an vielen Jazz- und Weltmusik-Projekten. Im Zentrum seiner Arbeit steht momentan die Band Orient Expressions. Hier trifft er auf zwei DJs sowie den alevitischen Saitenvirtuosen und studierten Folkmusiker Cem Yıldız.

"Wir koppeln Elektronik mit verschiedenen Stilen der anatolischen Folklore und verändern die Spielweise der alten Lauten-Instrumente, da sind wir schon so etwas wie Pioniere in der Türkei", erläutert Yıldız. "Unser Repertoire stützt sich einerseits auf ostanatolisches und kurdisches Material, da dies meine Wurzeln sind, aber wir arbeiten auch mit iranischen und aserbaidschanischen Musikern."

Bienenhaus Beyoğlu

Für den internationalen Draht von Orient Expressions und anderer musikalischer Vorreiter Istanbuls sorgt das Label Double Moon, das mitten im verwinkelten Gewirr der steilen Sträßchen von Beyoğlu sein Office hat. Hier geht es zu wie in einem Bienenhaus. 15 Mitarbeiter investieren ins moderne und weltoffene Klangbild der Türkei.

Die kreativen Kräfte hinter dem Netzwerk, die Brüder Ahmet und Mehmet Uluğ, plaudern über ihre Philosophie: "Uns geht es darum, eine multikulturelle Plattform zu kreieren. Deshalb laden wir immer wieder internationale Musiker ein, mit unseren Künstlern zu arbeiten."

Das Gesicht des türkischen Markts mag aus unserer Perspektive von plakativem Pop à la Tarkan dominiert werden. Doch die Double Moon-Leute bedienen mit ihren innovativen Katalog, der von NuJazz über Weltmusik bis zu traditionellen Klängen reicht, schon lange kein Nischenpublikum mehr.

Sie bedauern, dass ihre CDs im Ausland nicht in der Sparte "Global" eingeordnet werden, sondern im Türkei-Fach. Und fordern die schnelle Annäherung an die EU, um ihre Projekte über die Grenzen hinaus besser koordinieren zu können. "Eine Mitgliedschaft würde uns endlich von der lästigen Visum-Bürokratie befreien. Und noch viel mehr europäische Unternehmen würden auf unsere Arbeit aufmerksam werden."

Sultan im Techno-Gewand

Überquert man die Galata-Brücke, lässt man das umtriebige Beyoğlu bald hinter sich. Im Sultan Ahmet-Bezirk wirkt Istanbul museal: Topkapı-Palast, Hagia Sophia und die Blaue Moschee bieten einen denkbar scharfen Kontrast zum pulsierenden Gegenüber. Doch es gibt einen Musiker, der auch diese für uns so exotische Historie in ein hochaktuelles Gewand gekleidet hat.

Perkussions-Meister Burhan Öçal lebte lange Jahre in Zürich, ist nun aber in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Sein "Sultan"-Projekt" mit dem Frankfurter Ambient-Musiker Pete Namlook will jedem der fast 40 Herrscher des Osmanischen Reiches eine eigene CD widmen.

"Ich kann meine Tradition und meine Vergangenheit mit all ihrer Brutalität aber auch all ihren guten Seiten nicht ignorieren. Andererseits kann ich die Technologie von heute nicht übergehen", so Öçal über sein ehrgeiziges Projekt.

"Meine Aufgabe ist es, diese tolle und prächtige, aber auch schreckliche Zeit musikalisch zu beschreiben und für heutige Hörer zugänglich zu machen." So treffen in seinen Klanggemälden Jahrhunderte alte Kesselpauken und die Saz-Laute mit verhallten Rezitationen und technoiden Strukturen zusammen.

Sufi-Groove

&copy Mercan Dede Website
Sufi-Mystiker als große Vorbilder - Mercan Dede 2002

​​Techno ist auch ein Standbein von Arkın Ilıcalı. In Montreal hat er seit 15 Jahren eine neue Heimat gefunden, kehrt jedoch regelmäßig unter dem Pseudonym Mercan Dede in seine Heimat zurück: "Ich sehe mich im Geiste der tanzenden Derwische", beteuert der 37-Jährige. "Einen Fuß haben sie fest auf der Erde, der andere reist, während sie sich drehen."

"Istanbul bietet mir eine sich ständig erneuernde, auch chaotische Inspiration, die ich dann in Montreal verdauen kann. Diese Dualität einer nur 200 Jahre und einer über 3000 Jahre alten Stadt mit ihren multiplen Kulturschichten zu erleben, das ist phänomenal. Mit all diesen Schichten erzähle ich neue Geschichten. Deshalb sprechen vom Clubgänger bis zur kopftuchtragenden Frau alle möglichen Leute auf meine Musik an."

In die spirituelle und musikalische Welt der Sufi-Mystiker war Dede in seiner Jugend tief eingetaucht. Anschließend studierte er in Kanada Ethnomusikologie. Dort fing er auch als DJ an, Elektronik mit den Klängen seiner Ney-Flöte und Folklore aus verschiedenen Ländern zu kombinieren.

Auf seinem neuen Album "Su" (Wasser), einer Widmung an das vom Wasser umgebene Istanbul, sprengt er nun alle Stereotypen der türkischen Musik: Um die tanzbaren Beats aus dem DJ-Pult gruppiert er den Rapper Ceza von der asiatischen Seite der Stadt, einen klassischen Hackbrett-Virtuosen und drei blutjunge Roma-Musiker an Klarinette und Perkussion.

EU als Chance

Handfeste Ansichten legt er zur Frage des EU-Beitritts an den Tag: "Beide Seiten könnten nur davon profitieren. Es wäre ein Signal in den Nahen Osten hinein, dass Europa kein exklusiver Christen-Club ist, sondern eine zivilisierte Organisation, die jedem gegenüber eine offene Geisteshaltung besitzt."

Auch für die in Deutschland lebenden Türken hätte ein EU-Beitritt der Türkei eine positive Signalwirkung, meint Dede:

"Wenn wir in die EU kommen, wird auch mit den Deutschtürken ein Dialog auf ganz anderem Level stattfinden. Die scheinen mir nämlich in ihrer Entwicklung vor 20 Jahren stehen geblieben zu sein, wissen gar nicht wie Istanbuls Jugend denkt und sich benimmt. Letztendlich wird es den Adaptionsprozess meiner jungen Landsleute in Deutschland verändern und Polarisierungen in der deutschen Gesellschaft aufweichen."

Bevor die Türkei politisch in der Mitte Europas ankommt, wird der neue Sound Istanbuls sich bei uns verankern. Mercan Dede belegt derzeit die Spitzenplätze der Weltmusik-Charts. Und sein Landsmann Fatih Akin ("Gegen die Wand") bringt in Kürze eine filmische Widmung an die kreativen Musikköpfe des Bosporus in unsere Kinosäle.

Stefan Franzen

© Qantara.de 2005

Auswahldiskographie:

- Orient Expressions : " Divan " (Double Moon/Rough Trade)
- Burhan Öçal / Pete Namlook : " Sultan Orhan " (Double Moon/Rough Trade)
- Mercan Dede: "Su" (Double Moon/Rough Trade),
- Ceza: "Rapstar" (Hammer Müzik)

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