Gesinnungstest kontra Gleichheitsgrundsatz
Yasemin Karakasoglu, erste Professorin für "Interkulturelle Bildung" an der Universität Bremen, hält den Gesinnungstest für Muslime für verfassungswidrig. Im Interview mit Larissa Bender fordert sie außerdem die Medienöffentlichkeit auf, sich beim Thema Islam nicht mit einfachen Erklärungsmustern zufrieden zu geben, denn Ehrenmorde seien nicht notwendig islamisch und der Begriff Zwangsverheiratung werde missbraucht.
Frau Karakasoglu, Sie gehören zu den Kritikern des so genannten Gesinnungstests. Ist es nicht das Recht des deutschen Staates, seine Neubürger daraufhin zu prüfen, ob sie den Grundwerten der Mehrheitsgesellschaft zustimmen?
Yasemin Karakasoglu: Grundsätzlich ist es das Recht des Staates, dies zu tun, wenn er so mit allen Menschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben möchten, gleich verfährt – also wenn hier keine Unterschiede zwischen Religion, ethnischer Herkunft, Geschlecht gemacht werden.
Die willkürliche Festsetzung des Merkmals "Muslimsein", auch noch darüber definiert, dass man aus einem Land kommt, das der Organisation islamischer Staaten angehört, finde ich grundgesetzwidrig.
Sie würden den Test so akzeptieren, wenn er für alle gelten würde?
Karakasoglu: Zumindest würde er dann dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen. Eine zweite Frage ist, ob es sinnvoll ist, und ob es eigentlich einer Demokratie wie der unseren ansteht, Menschen mit einem derartigen Fragebogen, der äußerst bizarre Fragen enthält, zu prüfen. Ob es uns nicht reichen müsste, Menschen darauf festzulegen, dass sie schwören, unserer Verfassung treu bleiben zu wollen. Und in dem Moment, in dem sie unserer Verfassung nicht mehr treu sind, hätten sie entsprechende Strafen zu erwarten, wie das ja auch bei jedem Deutschen der Fall ist.
Und wenn man die Fragen des Tests abänderte …?
Karakasoglu: Ich glaube nicht, dass wir mit dieser Art von Gesinnungstests dieser Angelegenheit gerecht werden. Ich denke auch, es ist nicht der richtige Umgang in Hinblick auf die Angst vor antidemokratischen Verhaltensweisen. Wir müssen in unserer Gesellschaft darauf vertrauen, dass Menschen demokratisch handeln und sich an unser Grundgesetz halten. Wir haben entsprechende rechtliche Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, wenn jemand das nicht tut.
Uns im Vorfeld durch Gesinnungsprüfungen dagegen schützen zu wollen, ist schon mehrfach schief gelaufen. Man hat auch geglaubt, Linksintellektuelle, Linksradikale auf diese Weise aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Es war jedes Mal ein Bruch mit der demokratischen Grundüberzeugung, in die Köpfe von Menschen schauen und sie auf ihre Geisteshaltung festlegen zu wollen.
Es scheint aber doch Probleme mit Muslimen zu geben. In den Medien wird immer häufiger das Phänomen der Ehrenmorde oder Zwangsverheiratungen diskutiert. Sollten muslimische Migranten daher nicht doch genauer unter die Lupe genommen werden?
Karakasoglu: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Ehrenmorde kein muslimisches Phänomen sind. Wenn man sich die einzelnen Fälle, die vorgefallen sind, und die Realität anschaut – ich bin nicht jemand, das möchte ich festhalten, der sagt, das gibt es nicht oder der die Augen vor der Realität verschließt –, dann sind darunter auch Fälle nichtmuslimischer Minderheiten aus Anatolien.
Welche Minderheiten sind das?
Karakasoglu: Zum Beispiel yezidische Kurden, und da lässt sich diese Praxis durchaus nicht auf den Islam zurückführen, sondern das ist wiederum eine Minderheit in der Minderheit. Diese Minderheit darf man jetzt auch wieder nicht stigmatisieren, indem man sagt, das sind ja gar nicht die türkischen Muslime, es sind die yezidischen Kurden.
Aber innerhalb dieser Minderheiten gibt es offensichtlich Minderheiten, die archaische kulturelle Normen auch nach Deutschland transportieren, auch hier zur Geltung bringen wollen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist es dann eine Bezugnahme auf "den Islam" als solchen. Und das ist ein Fehler.
Ist das eine Kritik an den Medien?
Karakasoglu: Das ist durchaus eine Kritik an den Medien, die zu leicht bereit sind, einfachen Erklärungsmustern zu folgen, die auch auf der Suche nach einfachen Erklärungsmustern sind und sich zufrieden geben, wenn ihnen ein Satz wie "Das liegt an der archaischen Kultur des Islam" entgegen gehalten wird. Das wird dann abgedruckt. Da muss man erst einmal fragen: Sind das denn wirklich Fälle, die ausschließlich Muslime betreffen?
Und was Zwangsverheiratungen betrifft, so unterscheide ich zwischen arrangierten Ehen und Zwangsverheiratungen. Ich möchte damit sagen, dass Menschen das Recht haben, auch über die Methode des Arrangements, der Beteiligung von Dritten, in erster Linie Verwandten, Eltern, aber auch anderen Personen, eine Ehe zu schließen und ihr zuzustimmen. Das darf ich nicht von vorneherein als Zwangverheiratung brandmarken. Diese Unterscheidung ist mir wichtig, allerdings wird sie in der Öffentlichkeit mittlerweile nicht mehr gemacht, weil man nur noch eine einzige Definition zulässt.
Was ich perfide finde, ist, dass solchen Argumenten entgegengehalten wird, es sei ja eine Form von Zwang, wenn man einem jungen Mädchen verschiedene Partner zur Auswahl vorstellt und sie unter einen gesellschaftlichen Druck setzt, sie müsste sich von diesen Männern für einen entscheiden. Das sei eine gesellschaftlich untragbare Situation, der man jetzt mit rechtlichen Mitteln etwas entgegenhalten müsse.
Ich bin der Meinung, dass es hier einen Prozess des Umdenkens bei Familien, Eltern, Verwandten geben muss, den wir eigentlich nur durch Information, einen Diskurs innerhalb der Migrantengesellschaft in Gang setzen können. Es muss deutlich werden, dass diese Art von Eheschließungsverfahren nicht der Lebensrealität, den Lebenswünschen von Mädchen in Deutschland entspricht.
Sie haben eine Studie zu diesem Thema erstellt …
Karakasoglu: Ja, wir haben 950 Mädchen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund befragt. 213 von ihnen waren Türkinnen. Von diesen Mädchen hat ein Viertel unter Umständen der Möglichkeit zugestimmt, eine arrangierte Ehe einzugehen. Die Frage lautete: "Wärst du damit einverstanden, mit deinen Eltern zusammen einen Partner auszusuchen?" Nur ein Viertel würde unter Umständen zustimmen. Der ganze Rest befürwortet es nicht, eine arrangierte Ehe einzugehen. Diese Realität müssen die Eltern und die Migrantengesellschaft akzeptieren.
Auf der anderen Seite kommen immer mehr Bücher auf den Markt von Türkinnen, die zwangsverheiratet wurden und ihre Geschichte aufgeschrieben haben. Das kommt in den deutschen Medien häufig gut an. Ihre Studie hingegen nicht. Wie erklären Sie sich das?
Karakasoglu: So kann man das nicht sagen. Die Studie von Frau Ursula Boos-Nünning und mir hat in den Medien ein großes Echo gefunden, als wir sie letztes Jahr der Presse vorgestellt haben. Es gab recht viele Berichte über diese Studie – wenn auch nicht so viele, wie das bei den Biographien von Frauen, die Betroffene von Zwangsverheiratungen sind oder waren, der Fall ist oder was Publikationen über Ehrenmorde angeht.
Das heißt, man hat die Ergebnisse dieser Studie zur Kenntnis genommen, und darüber berichtet, aber dann leider beiseite gelegt. Und jetzt kommen diese Biographien auf den Markt, und es erinnert sich leider keiner mehr daran, dass man noch einmal zurückschauen müsste, was es an Studien gibt, die uns dabei helfen, besser einschätzen zu können, inwiefern dies die Lebensrealität eines großen Teils oder einer Minderheit wirklich betrifft. Es ist natürlich nötig, über diese Ereignisse zu berichten, die Presse darf das nicht totschweigen, aber ich fordere die Medienöffentlichkeit auf, sich nicht mit einfachen Erklärungsmustern zufrieden zu geben.
Aber wie beurteilen Sie das Phänomen, dass so viele dieser Bücher jetzt erscheinen und auch gelesen werden?
Karakasoglu: Weil es Exotismus ist. Angefangen hat das Ganze mit Ayan Hirsi Alis "Ich klage an", danach kam "Die fremde Braut" (von Necla Kelek, Anm.d.Red.), und beides hat dann einen Diskurs eröffnet. Und in diesem Trend haben viele ihre Chance gesehen, gelesen zu werden, natürlich ging es aber auch um öffentliches Prestige und nicht zuletzt auch darum, ökonomischen Nutzen daraus zu ziehen.
Sie entdecken da eine Marktnische für sich und bedienen mit diesen Büchern eigentlich ein sehr altes Bild, nämlich das von dem exotischen Orient, der mit von unserer Seite längst überholt geglaubten oder noch nie da gewesenen Lebensweisen und Lebensformen ein Bedürfnis des Gruselns bedient.
Interview: Larissa Bender
© Qantara.de 2006
Yasemin Karakasoglu ist erste Professorin für "Interkulturelle Bildung" am Fachbereich Bildungs- und Erziehungswissenschaften der Universität Bremen und hat zusammen mit Ursula Boos-Nünning eine Untersuchung zur Lebenssituation von Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund durchgeführt, die unter dem Titel "Viele Welten leben" beim Waxmann-Verlag erschienen ist.
Qantara.de
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