Querdenker gesucht

Der Wunsch nach einer islamischen Theologie in Deutschland wird immer öfter geäußert. Doch die epochale Herausforderung, die dies bedeutet, wird von der Politik, aber auch christlichen Theologen und Kulturwissenschaftlern unterschätzt. Von Klaus von Stosch

Muslime in einer Moschee in Gelsenkirchen; Foto: AP
In Deutschland sollen an mehreren Universitäten Zentren für Islamische Theologie eingerichtet werden. Doch dafür ist es noch zu früh, und ein übereiltes Vorgehen könnte Schaden für die Integration der Muslime bringen, meint Klaus von Stosch.

​​ Seit der Wissenschaftsrat seine Empfehlungen für "Islamische Studien" an deutschen Universitäten veröffentlicht hat, scheint der Wunsch nach einer deutschen islamischen Theologie zu einem gemeinsamen Anliegen aller großen politischen Parteien in unserem Land geworden zu sein.

Islamische Theologie und die mit ihr gegebene Infrastruktur für die Ausbildung islamischer Religionslehrer und Imame erscheint vielen als Königsweg zur Integration der in Deutschland lebenden Muslime.

Offensichtlich herrscht in der Politik der etwas verwegene Glaube, dass man dem Islam nur Räume an deutschen Universitäten schaffen müsse und schon habe man "gute Muslime", die die Integration der hier lebenden muslimischen Bevölkerung übernehmen können. Die islamischen Verbände werden zwar vielfach noch als störrisch und schwierig wahrgenommen. Aber an den Selbstreinigungskräften akademischer islamischer Theologie scheint kaum jemand zu zweifeln.

Gleichzeitig ist an einigen Universitäten eine Art Goldgräberstimmung ausgebrochen, weil großzügige Mittel für den Aufbau dieses neuen Fachs vom Bund versprochen wurden. Jeder, der sich etwas in der Szene auskennt, weiß, dass derzeit keine einzige deutsche Universität genügend Erfahrungen gesammelt hat, um in verantworteter und nachhaltiger Weise Zentren Islamischer Studien einrichten und kompetent begleiten zu können.

Dennoch ist damit zu rechnen, dass noch in diesem Jahr das Füllhorn staatlicher Förderung über einige mehr oder weniger willkürlich ausgewählte deutsche Universitäten ausgeschüttet wird. Dabei wird völlig übersehen, welche epochale Herausforderung die Ausbildung einer islamischen Theologie in Deutschland darstellt.

Geschickte Lobbyarbeit der Modernisten

Natürlich ist der Aufbau einer deutschsprachigen islamischen Theologie zunächst einmal eine Herausforderung für die hier lebenden Muslime. Hier kann man grob drei unterschiedliche Weisen der Reaktion erkennen:

Fatih-Moschee in  Wülfrath, NRW; Foto: AP
"Die islamischen Verbände werden zwar vielfach noch als störrisch und schwierig wahrgenommen. Aber an den Selbstreinigungskräften akademischer islamischer Theologie scheint kaum jemand zu zweifeln", schreibt von Stosch.

​​ Da sind zunächst einmal die Modernisten, deren Bemühen ganz und gar darauf ausgerichtet ist, den Islam möglichst störungsfrei in unsere Gesellschaft einzuordnen. Diese Gruppe ist bei der Politik besonders beliebt, weil sie den Islam in der denkbar geschmeidigsten Form präsentiert und alles Anstößige aus dieser Religion eliminiert.

Leider basiert diese modernistische Anpassungsleistung oft auf recht eigenwilligen Auslegungen des Korans. Noch gravierender ist das weitgehende Desinteresse vieler Modernisten an einer echten systematischen Durchdringung islamischer Theologie.

Die Modernisten betreiben geschickte Lobbyarbeit bei den politischen Parteien in Deutschland, werden aber niemals die gewünschte Integration der in Deutschland lebenden Muslime voranbringen, weil bereits etwas gebildetere Gläubige merken, wie wenig fundiert ihre modernistische Lesart des Islam eigentlich ist.

Misstrauen bei den Konservativen

Ihre vorschnelle Preisgabe einer eigenen, auch widerständigen muslimischen Identität ruft die Konservativen auf den Plan.

Die Konservativen sehen einen grundlegenden Gegensatz zwischen dem Islam und den Werten unserer Gesellschaft. Sie propagieren eine Rücknahme vieler emanzipatorischer Entwicklungen der Moderne und sehen eine Anpassung islamischer Studien an westliche Wissenschaftsstandards mit großem Misstrauen und vermeiden deswegen oft auch den Begriff "Theologie".

Auch wenn sie in der muslimischen Bevölkerung einigen Rückhalt haben dürften, kann man mit Fug und Recht bezweifeln, dass von ihnen die notwendigen Vermittlungsleistungen des Islam in unsere Gesellschaft zu erwarten sind.

Emanzipatorische Potentiale des Islam

So bleibt die dritte Gruppe von Muslimen, die einerseits vorbehaltlos unsere freiheitlich demokratische Grundordnung und die säkulare Organisation unseres Gemeinwesens bejaht, die zugleich aber eine Sensibilität für die Dialektik der Aufklärung und der mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Prozesse mitbringt.

Papst Benedikt mit Muslimen; Foto: AP
Epochale Herausforderung für die christlichen Theologien: Die christlichen Theologien sollten islamische Denkbewegungen nicht nur apologetisch zur Kenntnis zu nehmen, fordert von Stosch.

​​ Nur diese Gruppe kann durch theologische Reflexion die emanzipatorischen Potentiale islamischen Denkens freilegen und ein dialektisches Verhältnis zwischen dem Islam und unserer Gesellschaft begründen.

Nur dieser Gruppe gelingt es, in grundlegender Solidarität mit den Werten des Grundgesetzes die befreienden Potentiale des Korans für die Modernisierungsverlierer unserer Gesellschaft aufzudecken.

Eigentlich ist es leicht zu sehen, dass nur diese dritte Gruppe von Theologen die Integration des Islam in unsere Gesellschaft voranbringen kann. Denn nur sie vermag zu zeigen, wie der Islam das intellektuelle und soziale Leben unseres Landes befruchten kann. Leider hat diese Gruppe von Theologen kaum eine Lobby, weil sie der Politik nicht angepasst genug und weil sie vielen Muslimen schon zu progressiv ist.

Und leider haben die Universitäten erst vereinzelt die erforderliche Kompetenz entwickelt, um diese produktiven Querdenker zu erkennen und zu unterstützen.

Christlichen Theologien ignorieren die Herausforderung

Mir scheint die Errichtung islamischer Theologie in Deutschland allerdings auch eine epochale Herausforderung für die christlichen Theologien darzustellen, und ich kann nicht erkennen, dass sie sich bereits dieser Aufgabe stellen.

Korandeckel; Foto: Wikimedia Commons
Koranforscher gesucht: Derzeit gibt es praktisch keine berufbaren deutschsprachigen islamischen Theologen und Theologinnen für das neu zu schaffende Fach.

​​ Deutschland könnte an dieser Stelle sogar weltweit eine Vorreiterrolle spielen, insofern es eine funktionierende Tradition moderner Theologien unterschiedlicher Konfessionen an den Universitäten hat, die einen wichtigen Beitrag dazu geleistet haben, dass die Kirchen derzeit weitgehend produktiv mit den Herausforderungen der Moderne umgehen und zumindest als Institutionen nicht zur Fanatisierung religiöser Menschen beitragen.

Die Herausforderung für christliche Theologen bestünde darin, die islamischen Denkbewegungen nicht nur apologetisch zur Kenntnis zu nehmen und auch nicht einfach die christliche Form der Theologie zu exportieren. Vielmehr geht es darum, sich in die islamischen Ansätze hineinzudenken und diese solidarisch mitzuentwickeln, aber auch Muslime zu diesem Mitdenken in der christlichen Theologie zu ermutigen, um sich wechselseitig zu befruchten und herauszufordern.

Nur so könnten die emanzipatorischen und friedensstiftenden Potentiale beider Religionen in unseren gesellschaftlichen Diskurs eingebracht werden, und ein wechselseitiges Lernen könnte vorangebracht werden.

Im Anfang wird in diesem Dialog aufgrund der längeren Erfahrung der christlichen Theologien in unserer Wissenschaftskultur zwangsläufig eine gewisse Asymmetrie herrschen.

Aber nur wenn konfessionelle Theologien bereit sind, sich komparativen und dialogischen Denkbewegungen zu öffnen und diese systematisch zum Programm zu machen, kann die Etablierung islamischer Theologie an unseren Universitäten gelingen.

Islamische Theologie muss außerdem im Spannungsgefüge säkularer Wissenschaft und in der Pluralität verschiedener kulturwissenschaftlicher Profile ihren eigenen Weg finden.

Dominanz der Religionswissenschaften

Dazu braucht islamische Theologie vielfältige Quellen und Inspirationen aus den Kulturwissenschaften. Sie muss sich damit den unterschiedlichen Fremdperspektiven auf das eigene Fach stellen. Nicht unproblematisch ist in diesem Kontext allerdings eine Dominanz der Islam- und Religionswissenschaften.

Klaus von Stosch; Foto: Universität Paderborn
"Die Modernisten betreiben geschickte Lobbyarbeit bei den politischen Parteien in Deutschland, werden aber niemals die gewünschte Integration der in Deutschland lebenden Muslime voranbringen, weil bereits etwas gebildetere Gläubige merken, wie wenig fundiert ihre modernistische Lesart des Islam eigentlich ist", sagt Klaus von Stosch.

​​ Dadurch, dass hier derselbe Erkenntnisgegenstand mit einer völlig anderen Methodik erforscht wird, braucht es gerade in der Neugründung islamischer Theologie einen gewissen Abstand zu diesen Fächern, um genügend Entfaltungsraum für eine eigene muslimische Aneignung westlicher Wissenschaftsstandards zu lassen.

Es wird nicht leicht sein für die deutschen Universitäten, diese Herausforderungen zu meistern. Erfolgreich werden sie nur sein, wenn es gelingt, einen mittelfristig angelegten Wettbewerb der unterschiedlichen Standorte zu organisieren und hierbei unterschiedliche Modelle auszuprobieren.

In diesem Zusammenhang ist in erster Linie auf Nachwuchsförderung im Bereich der islamischen Theologie zu achten, weil es derzeit praktisch keine berufbaren deutschsprachigen islamischen Theologen und Theologinnen für das neu zu schaffende Fach gibt. Für die Eröffnung großer Zentren islamischer Theologie ist es noch zu früh, und ein übereiltes Vorgehen könnte größeren Schaden für die Integration der in Deutschland lebenden Muslime hervorrufen, als den handelnden Akteuren in Politik und Gesellschaft klar zu sein scheint.

Klaus von Stosch

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2010

Klaus von Stosch ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Paderborn und leitet dort das Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften. Zuletzt erschien von ihm "Offenbarung", Schöningh (UTB), Paderborn 2010.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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