Kathrin Ehrenspeck, 20. Juni 2010
zu Interview mit Aatish Taseer von Richard Marcus
Ich kenne das Buch noch nicht, möchte mich daher allein auf das Interview beziehen. Dass ein Buch, das "ein ziemlich negatives Bild vom Islam" zeichnet, wie der Interviewer bemerkt, sofort in x Sprachen übersetzt wird, daran ist nichts erstaunlich, im Gegenteil, das war klar.
Ich gehöre noch zu der Generation, die im Geist der Aufklärung erzogen wurde. Für uns galt die Rückführung einer politischen Entscheidung auf einen religiösen Grund nicht als deren Erklärung, sondern als deren Mystifizierung. Auch die Kreuzzüge wurden politisch erklärt und vor dem Hintergrund konkreter politischer Interessen gesehen, selbst wenn sie sich selbst als christliche Missionen propagiert haben. Den Menschen, selbst wenn sie ihr eigenes Handeln mystifizieren, das Recht auf Interessen, Absichten, Erfahrungen und damit eine Geschichte zuzuerkennen war für uns eine Referenz an die Menschenrechte, die wir auch den Christen des Mittelalters zugestanden haben – und "den" Muslimen der Moderne ebenfalls zugestehen müssen. Insofern hoffe ich, selbst wenn das Interview das nicht erwähnt, dass das Buch die Teilung Pakistans und die gegenwärtigen Verhältnisse in den besuchten Ländern wenigstens andeutungsweise auch historisch betrachtet hat, selbst wenn das bedeutet, die ursächlichen Zusammenhänge mit der unbewältigten Kolonialisierung nicht ganz unerwähnt lassen zu können.
Dem Autor möchte ich daher entgegenhalten, dass es nicht nur die "Grünschnäbel" gibt, die Erfahrung romantischer Gastfreundschaft so hoch halten, dass sie die tatsächlichen Verhältnisse übersehen, sondern dass es auch die Historiker gibt, die die tatsächlichen Verhältnisse – tatsächlich sehen, also vor dem Hintergrund weiterer tatsächlicher Verhältnisse, die deren tatsächliche Ursache sind.
Einige inhaltliche Aspekte wird man mit diesem Autor nach dem Eindruck des Interviews wohl kaum diskutieren können, denn es fehlt der Versuch einer philosophischen Annäherung. Die "abstoßende Idee einer religiös geläuterten Gesellschaft" kann natürlich missbraucht werden und wird es auch, was man mit Recht anklagen kann. Aber die Idee als solche weist – wie bei allen Religionen – auf einen Erkenntnisweg zurück, der tatsächlich Reinheit, allerdings im Sinne von Klarheit sucht. Hier begegnen sich Aufklärung und Religion. Und die allgemeine Regel "Wenn man mit einer politischen oder intellektuellen Herausforderung konfrontiert ist, für die man sich nicht stark genug fühlt, macht man lieber die Schotten dicht und zieht sich auf sich selbst zurück." gibt als Legitimation für Missachtung und Herablassung nicht. Zumindest ein Historiker – und auch ein Psychologe in diesem Falle – würde eine solche Defensive nicht werten, also die Schuld für die Depression beim Depressiven verorten, sondern würde versuchen, die zugrunde liegenden Konflikte zu erkennen.
Das scheint mir die Quintessenz des Ganzen: Dem Interview nach zu urteilen beschränkt sich der Autor publikumswirksam auf Schwarz-Weiß-Malerei, wo eine differenziertere Betrachtungsweise im Sinne der Aufklärung Konflikte und Widersprüche aufdecken würde.