Musik ist Metapher

Daniel Barenboim erhielt zum Auftakt der Woche der Brüderlichkeit die Buber-Rosenzweig-Medaille 2004. Damit wurde er für seinen Beitrag zur Versöhnung zwischen Juden und Arabern und zwischen Serben und Kroaten geehrt. Ein Portrait von Igal Avidan.

Daniel Barenboim erhielt zum Auftakt der Woche der Brüderlichkeit die Buber-Rosenzweig-Medaille 2004. Damit wird der Pianist und Dirigent für seinen Beitrag zur Versöhnung zwischen Juden und Arabern und zwischen Serben und Kroaten geehrt. Sein Aufruf zur "Akzeptanz des Anderen, wie er ist" ist ein Markenzeichen ganz im Geiste des dialogischen Prinzips Martin Bubers und des existentiellen Denkens Franz Rosenzweigs, so die Begründung. Ein Portrait von Igal Avidan.

Daniel Barenboim, Foto: AP
Daniel Barenboim

​​"Musik ist viel mehr, als nur eine Auswahl von Noten zu spielen," sagte Daniel Barenboim einmal. Musik ist für den musikalischen Leiter der Staatsoper Berlin eine Metapher fürs Leben und für die Herstellung von Verbindungen. Mit diesen Worten erklärte Barenboim sein Konzert vor Palästinensern in Ramallah 2002, das er trotz Morddrohungen von israelischer Seite aufführte. Musik ist für den 61-Jährigen eine produktive Form der Auseinandersetzung und des Dialogs auch mit Andersdenkenden.

Schwieriger Dialog

"Es gibt zwei Sorten von Menschen in der Welt, nämlich solche, die nur gern mit Menschen reden, die mit ihnen einer Meinung sind. Das tröstet sie. Andere wiederum sind neugierig, eine andere Meinung zu hören. Aus diesem Grund liebe ich das Dirigieren, weil es in einem Orchester einige große und kreative Musiker gibt, die eigene Ideen mitbringen", so Daniel Barenboim in einem Interview.

Daniel Barenboim wurde als Sohn russischer Emigranten in Argentinien geboren und wuchs in Israel auf. Er ist israelischer Staatsbürger und besitzt eine Wohnung in Jerusalem, wo er seine erste Hochzeit an der Klagemauer feierte. In Israel dirigiert er unentgeltlich und oft in schwierigen Zeiten - wie im November 1995, als er ein Konzert zum Gedenken an den kurz zuvor ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin veranstaltete. Dennoch sind manche Israelis nicht bereit, mit ihm einen Dialog zu führen.

Richard Wagner als Zugabe

Diese Erfahrung machte Barenboim, als er im Juli 2001 in Jerusalem einen Eklat auslöste. Am Ende eines Konzertes der Berliner Staatskapelle und nach Rückfragen beim Publikum dirigierte er als Zugabe ein Stück aus "Tristan und Isolde" von Richard Wagner, der in Israel vorher noch nie live gespielt worden war. Als nach einer langen Diskussion die ersten leisen Töne erklangen, wurden sie durch das Türeknallen der Protestler gestört, die den Saal verließen.

"Viele Israelis glauben, dass Wagner 1942 in Berlin lebte und mit Hitler eng befreundet war", erzählt Barenboim. "Wagner hat man 1936 in Tel Aviv gespielt, schon beim zweiten Konzert des Israel Philharmonic Orchestra. Es war dirigiert von Toscanini, der wegen Adolf Hitlers Präsenz in Bayreuth nicht dirigieren wollte. Aber er ist damals nach Palästina gekommen, um die ersten Konzerte des Philharmonischen Orchesters zu dirigieren, und da hat er Wagner dirigiert. Der Grund liegt also nicht in der Musik oder der Tatsache, dass Wagner ein großer Antisemit war. Das wussten wir alle schon ein ganzes Jahrhundert lang."

Musik als Brückenbauer

Barenboim ist einer der wenigen weltberühmten Musiker, der seine Kunst als eine Verpflichtung begreift, in die Wirklichkeit außerhalb des Konzertsaals einzugreifen. Für ihn sind Beethovens Klänge - und auch Wagners - gesellschaftlich und politisch relevant. Er glaubt daran, dass seine Musik Brücken zwischen Menschen bauen und Misstrauen abbauen kann, vor allem im Nahen Osten. Er mag Recht haben in einer Woche, in der gemeldet wurde, dass die einzige islamische Grundschule in Berlin den Musikunterricht einstellen soll, weil für die Eltern jede Musik verwerflich sei. Ein islamischer Barenboim wäre da dringend gefragt!

In seiner nüchternen Analyse stempelt der Dirigent den Antisemitismus als eine Krankheit ab. Aber eine antisemitische Musik gebe es nicht, nur antisemitische Figuren, wie zum Beispiel den Shylock bei Shakespeare. Richard Wagner war kein Nazi und wurde erst lange nach seinem Tod von den Nationalsozialisten zu deren Propheten gemacht. Auch wenn Wagners Musik daher bei manchen Menschen Assoziationen an die Judenvernichtung auslöse, meint Barenboim, dürfe eine Demokratie wie Israel Wagner nicht boykottieren, zumal er die Musik des 20. Jahrhunderts - insbesondere die Werke von Bartok, Strawinsky, Schönberg und Mahler - wie kein anderer beeinflusste.

Israel muss Minderheiten respektieren

Eigentlich geht es Barenboim weniger um Wagner als viel mehr um die israelische Demokratie, die die Rechte der Minderheiten respektieren müsse, sowohl die der kleinen Wagner-Gemeinde als auch die der viel größeren arabischen Israelis:

"In dem Moment, in dem ich meinen eigenen Staat habe und nicht ein Teil dieser Minderheit bin, muss ich dafür sorgen, dass die Minderheit, die in meinem Land lebt, genug Rechte hat. Das heißt, dass diese geschlossene Gesellschaft, die das jüdische Volk zusammengehalten hat - durch Tradition, Religion oder wie man das auch sehen will und nennt - sich jetzt verändern muss. Deswegen ist der "Fall" Wagner für mich in Israel ein viel wichtigeres Thema als Wagner zu spielen oder nicht. Weil es ein Zeichen von Offenheit ist und ein Zeichen für ein demokratisches Prinzip, die weit über die Person Wagner hinaus geht".

Engagement für den Dialog

Die unfruchtbare Auseinandersetzung um Wagner ist zunächst beigelegt und der Parlamentsausschuss hat seine Entscheidung zurückgenommen, Barenboim als "persona non grata" zu betrachten. Im Mai wird er im israelischen Parlament aus der Hand des Staatspräsidenten einen wichtigen Preis für seine Kunst empfangen. Aber aufgrund seines musikalischen Dialogs mit den Palästinensern und seiner Kritik am Trennungszaun bleibt er in Israel weiterhin umstritten.

Er hat ein palästinensisches Jugendorchester gegründet und leitet seit Jahren musikalische Workshops für israelische und arabische Musiker. Gerade diese Aktivitäten, die Barenboim die Buber-Rosenzweig-Medaille eingetragen haben, verstehen viele Israelis im besten Fall als naiv, im schlechtesten als reine Provokation.

Igal Avidan

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004