Akzeptanz für Homosexualität als Widerstand

Zwei Männer und eine Frau stehen in einem Raum und unterhalten sich
Behind the Scenes: Dima Hamdan im Gespräch mit ihrem Team während der Dreharbeiten für „Blood like Water“. (Foto: Samar Hazboun)

Dima Hamdans Kurzfilm „Blood like Water“ hat den Iris-Filmpreis gewonnen. Die Palästinenserin thematisiert, wie Israel die gesellschaftliche Ächtung von Homosexualität in der palästinensischen Gesellschaft nutzt, um schwule Männer zu erpressen.

Von Nazeeha Saeed

Angesichts des Gazakriegs empfindet Dima Hamdan keine Freude, sondern allein Dankbarkeit für den Preis, erzählt sie im Gespräch mit Qantara. Im Oktober wurde ihr Film „Blood like Water“ mit dem Iris-Preis für den besten Kurzfilm 2024 ausgezeichnet – ein Preis, der als Oscar der queeren Kurzfilme gilt. 

Der Film, 2023 in Palästina gedreht und produziert, erzählt die Geschichte von Shady, einem jungen schwulen Mann im Westjordanland. Während eines heimlichen Liebesabenteuers mit seinem Freund wird er von einem israelischen Offizier gefilmt. 

Der Offizier droht, das Video zu veröffentlichen, sollte Shady nicht mit ihm kooperieren. Er verlangt Informationen darüber, wann Shadys Nachbar Raed, der vom Militär gesucht wird, nach Hause zurückkehrt. Die Situation lässt Shady und seiner Familie wenige Optionen mit schwerwiegenden Folgen.  

In dem 14-minütigen Film werden die schwierigen Momente innerhalb der Familie dargestellt: Shady (gespielt von Atallah Tannous) weigert sich, sich erpressen zu lassen, muss aber seiner Familie davon erzählen, was ein unfreiwilliges Coming-out vor seinen Eltern (Ruba Bilal und Adeeb Safadi) zur Folge hat. 

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Zwar wirft Shadys Vater seinen Sohn nach dessen Outing aus dem Haus, dennoch unterstützt er ihn und weigert sich ebenfalls, den Drohungen des Offiziers nachzugeben, obwohl die gesamte Familie durch Veröffentlichung des Videos vor der konservativen Gesellschaft bloßgestellt werden würde. 

Die Idee für den Film, erzählt Hamdan, sei entstanden während einer Unterhaltung mit einem Freund über die Methoden des israelischen Militärs, Palästinenser als Spione zu rekrutieren. „Es ist eine Taktik, gezielt schwule Männer ins Visier zu nehmen, sie in intimen Momenten heimlich zu filmen und mit diesen Aufnahmen zu erpressen“, erklärt die Regisseurin gegenüber Qantara

Hamdan hat mehr als zwei Jahre lang zu dieser Taktik recherchiert. Sie sprach unter anderem mit jungen Palästinensern und deren Eltern, um mehr darüber zu erfahren. „Dabei habe ich herausgefunden, dass die meisten, die so vom Militär erpresst werden, aus konservativen Familien stammen. Dort ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ihre Homosexualität nicht akzeptiert wird, sie also der Erpressung nachgeben.“ 

„Mein Ziel ist es, einen Dialog zu initiieren“

Hamdan will mit ihrem Film einen innerpalästinensischen Dialog über den Umgang mit diesem komplexen Thema anregen. Sie fragt, wie die Familien geschützt werden können, ohne dass die Betroffenen mit den Besatzungskräften zusammenarbeiten müssen, aber auch, wie queere Menschen vor dieser Masche der israelischen Besatzer geschützt werden können. 

„Es ist nicht mein Ziel, dass die Leute Homosexualität akzeptieren, denn festgefahrene Überzeugungen lassen sich nur schwer ändern”, sagt Hamdan. „Mein Ziel ist es, einen Dialog zu initiieren, der auf dem Konsens basiert, dass die palästinensische Sache oberste Priorität hat. Widerstand heißt, dass man auch Opfer bringen und schwierige Entscheidungen treffen muss – auch wenn diese vielleicht anderen persönlichen Überzeugungen widersprechen. Die Akzeptanz der Homosexualität kann also durch gemeinsamen Widerstand gegen die Besatzung entstehen und durch das gemeinsame Ziel, (Israel) dieses sehr effektive Mittel gegen unsere Jugend zu nehmen.“ 

Hamdan, die derzeit in Berlin lebt, begann ihre Karriere vor mehr als zwanzig Jahren als Journalistin. Sie arbeitete zehn Jahre für BBC Arabic und BBC World Service und berichtete aus dem Irak, Libanon und Palästina. Aus dieser Zeit kommt auch die Inspiration für ihre Filmprojekte.  

Ihr erster Kurzfilm „Gaza-London“ wurde 2009 beim Jordanischen Filmfestival als bester arabischer Kurzfilm ausgezeichnet. „Die Bombe“ gewann 2019 den Preis für die beste Regie beim Ayodhya Film Festival in Indien und bekam eine Auszeichnung beim Human Rights Film Festival in Italien. 

Der Iris-Preis ist bereits die fünfte Auszeichnung für ihren aktuellen Film „Blood like Water“. Zuvor hatte der Kurzfilm Preise beim Panoptic Festival in Barcelona, beim Through Women’s Eyes-Kurzfilmfestival in Florida, beim Brooklyn Film Festival sowie beim Oslo-Fusion International Filmfestival gewonnen. Der Film war für weitere Preise nominiert und wird weiterhin weltweit auf Festivals gezeigt. 

Keine Absicht, einen queeren Film zu machen

Bei der Iris-Preisverleihung im Oktober sagte Hamdan: „Es hat nichts mit Pride zu tun, palästinensische schwule Männer zu erpressen.” Dabei brüste sich Israel als sicherer Hafen für queere Menschen weltweit. Auch aktuelle Vorfälle wie die israelischen Soldaten, die im Gazastreifen in den Ruinen palästinensischer Häuser die Regenbogenflagge schwenkten, zeigten diesen Widerspruch. 

„Jeder Preis, den der Film bekommt, bedeutet mir viel”, sagt Hamdan gegenüber Qantara, „aber ich war wirklich überrascht, als ich den Iris-Preis bekam. Es ist eine der größten Auszeichnungen für queere Kurzfilme weltweit und es waren 35 andere Kurzfilme vertreten.“ Sie stellt klar: „Es war gar nicht meine Absicht, einen queeren Film zu machen. Ich habe ein reales Problem dargestellt, das diskutiert werden muss.”  

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„Dass der Film diesen Preis bekommen hat, hat mir gezeigt, dass er nicht nur einen innerpalästinensischen Dialog ins Leben gerufen hat, sondern auch für andere Menschen und Kontexte relevant ist. Es zeigt auch, dass die Geschichte der schwulen Palästinenser, die von der Besatzung gezielt ins Visier genommen werden, ein sehr viel breiteres Publikum interessiert, als wir dachten.“  

Hamdan stellt auch den Sinn von Kunst in Frage: „Ich habe manchmal Schuldgefühle, weil der Erfolg meiner Filme in erster Linie ein persönlicher ist und kein Erfolg für die palästinensische Sache. Aber ich merke auch, dass es für mich keine Option ist, aufzuhören, zu filmen oder an Festivals teilzunehmen. Denn das ist genau das, was Israel will. Was gerade in Gaza passiert, ist nicht nur eine Auslöschung palästinensischer Körper, sondern auch der palästinensischen Seele, die überall, wo sie ist, zerstört werden soll.“ So sieht Hamdan ihre Teilnahme an Kultur- und Kunstveranstaltungen als Pflicht, um „dem Narrativ der israelischen Besatzung etwas entgegenzusetzen.“ 

Trotz dieser gemischten Gefühle empfindet Hamdan Dankbarkeit für jede Auszeichnung und jeglichen Ausdruck von Solidarität bei Festivals oder vom Publikum. „Die Solidarität zeigt uns, dass wir nicht allein sind, dass Menschen überall auf der Welt an unserer Seite stehen, auch wenn sie dieses ganze Unrecht und Übel nicht stoppen können.“ Aktuell ist Hamdan auf der Suche nach Finanzierung für ihren ersten längeren Film, der auch in Palästina gedreht werden soll. 

© Qantara.de