Der Kampf um den Islam

Die islamische Welt braucht dringend Initiativen für Reformen, fordert der libanesische Islamwissenschaftler Ridwan al-Sayyid. Sein Buch "Der Kampf um den Islam" sollte auch im Westen studiert werden, so Wolfgang G. Schwanitz.

Ridwan al-Sayyid; Foto: www.attamoddon.com
Der islamische Raum müsse sich der modernen Welt öffnen, meint der libanesische Wissenschaftler Ridwan al-Sayyid

​​Die Zeit ist gekommen, sich von zwei Täuschungen zu trennen, fordert der libanesische Autor Ridwan al-Sayyid in seinem 2004 im Libanon auf Arabisch erschienenen Buch "Der Kampf um den Islam".

Die erste Illusion bestehe darin, dass es überhaupt möglich sei, den Islam für das herrschende System zu benutzen. Die zweite Illusion liege darin, führt der in Tübingen promovierte libanesische Islamwissenschafter im Vorwort aus, dass es möglich wäre, den Islam von den politisch und sozial einflussreichen Kreisen in der arabischen und islamischen Welt zu trennen.

Damit zeigt er eine klassische Blockade auf: die Religion könne nicht für das System benutzt werden, die herrschenden Kreise könnten von ihr jedoch auch nicht getrennt werden, wie das im Westen bei der Trennung von Staat und Kirche geschehen ist.

Schuld sei der Westen

Wie die gegenwärtige Auseinandersetzung um den Islam verläuft und wo vielleicht die Auswege liegen, dies erkundet der bekannte Wissenschaftler in seinem jüngsten Buch. Zunächst setzt er sich kritisch mit dem vorherrschenden islamischen Denken auseinander.

Ridwan al-Sayyid benennt drei zurzeit obwaltende Tendenz: Da ist zum einen die Tendenz der Rechtfertigung. Dabei suchten Muslime die Gründe für das aktuelle Ringen zwischen dem Islam und dem Westen in der langen Geschichte, angefangen von den Kreuzzügen über den Kolonialismus bis zum Weltmarkt. Die westliche Zivilisation sei aggressiv. Ihrer Natur nach herrsche darin das enge materielle Streben vor. Eine der Ursachen dafür liege darin, dass sie durch "drei jüdische Strömungen beherrscht werde: das Freimaurertum, den Marxismus und den Freudianismus".

Muslime hätten darauf mit Dschihad-Bewegungen reagiert, die sich seit 1800 vor allem gegen den Kolonialismus gerichtet hätten. Andererseits hätten sie einen geistigen Kampf gegen die Überfremdung geführt und dabei an ihrer islamischen Kultur festgehalten.

Wechselbeziehung zwischen Ost und West

Vertreter der zweiten Tendenz erkennen das Missverhältnis zwischen dem islamischen Raum und der nicht-islamischen Welt als Wechselbeziehung an. Demnach habe sich das unipolare System mit dem Westen als Zentrum während des Kalten Krieges entwickelt.

Es ging nicht etwa, wie Islamisten behaupteten, um eine religiöse Auseinandersetzung, sondern um die Ressourcen und Einflusssphären. Danach seien die Globalisierung und das unipolare System zum Hauptfaktor der internationalen Spannungen geworden. Dies habe gleichwohl die Beziehungen zwischen muslimischen und nicht-muslimischen Regionen der Welt verschlechtert.

Überdies sei die bestehende Ordnung im islamischen Raum ein Hemmfaktor. Ihre nicht repräsentativen und auch undemokratischen Gesellschaften bestimmten das Bild. Hierbei hätten despotische Regimes nichts für eine freie Diskussion übrig.

Defizite bei islamischen Regimes

Repräsentanten der dritten Tendenz meinen, so führt Ridwan al-Sayyid aus, die Probleme zwischen dem Islam und dem Westen hätten politische und ökonomische Ursachen. Muslime würden darauf jedoch vor allem kulturell antworten. Sie sähen ihre Probleme - zum Beispiel in Palästina, die Bürgerkriege wie auch die Unruhe in den islamischen Minderheiten weltweit - als einzigartig an. Mithin nehme der Hass im Westen vor allem gegen die islamische Religion zu.

Diesen Eindruck verstärkten noch die Ereignisse um den Schriftsteller Salman Rushdie und die These vom Ende der Geschichte sowie vom Kampf der Zivilisationen. Insgesamt, so Ridwan al-Sayyid, erkennen die Vertreter dieser dritten Tendenz die Defizite in den islamischen Regimes, sprechen jedoch von einer Krise in der Welterkenntnis.

Keine Patentrezepte

Schon in dieser Darlegung des Autors zeigt sich, wie schwierig das von ihm behandelte Thema ist. Es geht stets um sehr komplexe Begriffe und um sehr verschiedenartige Wege, die Geschichte und die Gegenwart zu erklären.

Betrachtet man die Schlussfolgerungen in seinem Buch, so erweist sich, dass auch er kein Patentrezept vorlegen möchte. Wiederum stellt er eine "wachsende Woge des Hasses in Amerika und Europa gegen den Islam" fest.

Dort gäbe es, so zitiert er seinen Kollegen Tariq Ali, eine tief gehende Überzeugung, dass der Islam im Kern mit den westlichen Werten und mit der westlichen Kultur unvereinbar wäre. Dies mache die Integration von Muslimen im Westen zu einer fast unmöglichen Angelegenheit.

Dennoch hält es Ridwan al-Sayyid für geboten, drei Thesen im Ringen um den Islam zu betonen:
Ridwan as-Sayyid: As-Sira'a 'ala al-Islam. Al-Usuliyya wa al-Islah wa as-Siyasa ad-Duwaliyya (Der Kampf um den Islam. Der Fundamentalismus und Reformen und die internationale Politik). Beirut: Dar al-Kitab al-'Arabi 2004, 277 Seiten, ISBN 9953272662
Der islamische Fundamentalismus habe den Terror zum Weltproblem gemacht. Der islamische Raum müsse sich der modernen Welt öffnen. Der Westen beherrsche die Welt und es gebe einen heftigen Kampf zwischen ihm und den übrigen Regionen, wobei Werte eine Hauptrolle spielen.

Sein Fazit: Die Regionen des Islam bedürfen der Initiative, sich umfassend zu reformieren. Dieses Buch verrät viel über die Debatten in der arabisch-islamischen Welt, die im Westen gut studiert werden sollten.

Wolfgang G. Schwanitz

© Qantara.de 2005

Dr. Wolfgang G. Schwanitz studierte Arabistik und Ökonomie in Leipzig, seither Forschung und Lehre zur Geschichte und Politik deutscher und amerikanischer Mittelostbeziehungen und zur regionalhistorischen Komparatistik "Amerika-Nahost-Europa".

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