Betroffenheits-Berichterstattung statt Aufklärung

Eine Analyse der Berichterstattung zum internationalen Terrorismus und Islam nach dem 11. September ergibt, dass das Interesse an Muslimen und ihren Institutionen in Deutschland rapide nachgelassen hat.

TV-Sender konnten diesseits und jenseits des Atlantiks nicht oft genug die Sequenzen von den Horror-Bildern des implodierenden World-Trade-Centers zeigen. Besonders pervers Veranlagte verzichteten in der Nacht nach dem Terror-Anschlag auf den Text und ließen Musik im Hintergrund laufen, während in Endlosschleife immer wieder den Zuschauern die Flugzeuge gezeigt wurden, wie sie in die beiden Wolkenkratzer rasten. Nicht nur der aufgeklärte Medienkonsument stellte sich die Frage nach dem Nachrichtenwert. Die Auflagenzahlen und Zuschauerquoten konnten nicht gehalten werden, stattdessen gingen die Menschen in die Buchhandlungen, um in Büchern mehr Informationen über den weltweit organisierten Terror und die Ursachen des gewalttätigen Zweiges bestimmter Glaubensgemeinschaften herauszufinden.

Im Nachhinein ist es immer einfach, sich über die Volksvertreter aufzuregen, die echte oder vermeintliche Warnungen nicht ernst genommen haben. "Eines ist auf jeden Fall sicher: Die Redakteure diesseits und jenseits des Großen Teichs haben den Gefahren des internationalen Terrorismus keine Aufmerksamkeit geschenkt - entsprechend schwer fiel es auch den Politikern, die tatsächlich vor der Bedrohung gewarnt hatten, auf den Bildschirm zu kommen. Während ABC, CBS, NBC, NEWSWEEK oder TIME in den Folgemonaten an dem Thema dran blieben, entschieden sich ihre deutschen Kollegen erstaunlich schnell, den Terrorismus wieder von der Agenda verschwinden zu lassen." kommentiert der Bonner Medienwissenschaftler Roland Schatz die aktuelle Studie des Instituts für Medienanalysen, Medien Tenor.

Moslems bleiben unverstanden

Wesentlich irritierender ist jedoch das Desinteresse, das die deutschen Redaktionen gegenüber den moslemischen Gemeinschaften im Allgemeinen und den Fragen nach deren inhaltlicher Grundlage im besonderen entgegen bringen. Keine 50 Berichte wurden in den ersten acht Monaten in den 24 vom MEDIEN TENOR kontinuierlich analysierten überregionalen Meinungsführermedien in den Ressorts Politik und Wirtschaft dazu gebracht. Das bedeutet im Schnitt, zwei Beiträge pro Medium in 240 Tagen über eine Glaubensgemeinschaft, die sowohl in Deutschland selber, aber natürlich noch wesentlich stärker im Ausland Teil der Lebenswirklichkeit ist. Und die Grafik zeigt nicht nur das Einbrechen der Berichterstattung seit dem Terrorjahr, sondern auch die Zunahme der negativen Tendenz. Das ist der Stoff, aus dem Klischees gemacht werden, über die sich dieselben Redakteure in den Folgeberichten dann spaltenlang ausbreiten können, wenn irgendein Verrückter ausländische Mitbürger moslemischen Glaubens terrorisiert.

Themenschwerpunkte führen irre

Doch nicht allein das Agenda Cutting führt zu einer Verschärfung des Nicht-Verstehens dieser Glaubensgemeinschaften. Der Blick auf die Themenstruktur, die deutsche Journalisten dazu bringt, einen Beitrag den Moslems zu widmen, zeigt das krasse Missverständnis des gesamten Gegenstandes. Als sei deren öffentliches Auftreten oder ihre Kriminalität der Schlüssel zum Verständnis berichten die überregionalen Meinungsführermedien entlang der Oberfläche, anstatt sich kontinuierlich mit den Herausforderungen dieses Themas auseinanderzusetzen. Dies jedoch müssen ihre Leser Tag für Tag tun, wenn sie ihre Kinder aus Schulen abholen, in denen Moslems ebenfalls unterrichtet werden, oder wenn sie beim Gang zum Bäcker an Menschen vorbeigehen, die sich schon vom äußeren Erscheinungsbild her deutlich unterscheiden. Die seit dem 11.9. gebotenen Informationen zum Terrorismus einerseits und den Ursprüngen und Ausprägungen des Islam andererseits dienen allem anderen, nur nicht dem besseren Verständnis. Doch das ist mehr denn je gefordert. Schließlich entscheiden in einer Demokratie die Bürger, welche Rechte sie ihren ausländischen Kollegen einzuräumen bereit sind - und nicht die Redakteure der überregionalen Medien, die im Zweifelsfall in anderen Stadtteilen ihr Haupt betten als dort, wo die sozialen Brennpunkte sind.

Basis
Medien: TIME, NEWSWEEK, ABC, CBS, NBC; 14 deutsche Meinungsführer-Medien
Zeitraum: 01.04.2002 - 15.08.2003
Analyse: 424.502 Beiträge (davon 3.304 zum internationalen Terrorismus) in deutschen Medien; 63.549 Beiträge in US-Medien (davon 646 Beiträge zum internationalen Terrorismus).

Quelle: MEDIEN TENOR Forschungsbericht Nr. 136, September 2003

www.medien-tenor.de/aktuelles/Islam_136.pdf