Immer auf Augenhöhe
Volker Perthes, ein ausgewiesener Kenner des Nahen und Mittleren Ostens und Leiter der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik , nimmt den Leser mit auf Reisen. In seinen "Orientalischen Promenaden" zeichnet er ein ausgewogenes Bild der Region. Beate Hinrichs stellt den gerade erschienenen Band vor.
Wenn in westlichen Medien über Länder des Nahen und Mittleren Ostens berichtet wird, geschieht dies oft undifferenziert. Da wird zum Beispiel berichtet, was "die" Ägypter oder "die" Iraner denken. Oder es wird vorausgesetzt, dass religiöse Menschen einen Gottesstaat wollen, während sich für Säkularismus nur Atheisten einsetzen.
Volker Perthes zeigt eine vielschichtigere Realität des Nahen und Mittleren Ostens. In seinen "Orientalischen Promenaden" nimmt er Leser mit auf seine Reisen durch fünf Länder und Regionen: Ägypten, Israel und Palästina, Saudi-Arabien, Kurdistan und Iran.
Aufmerksam und humorvoll schildert er Begegnungen mit politischen Kadern und religiösen Würdenträgern, mit gesellschaftlich Engagierten und Menschen auf der Straße. Der Autor nimmt uns mit in Parteiversammlungen und Jugendgruppen, zu privaten Diskussionsrunden und politischen Debatten. Die Themen, um die es immer wieder geht, heißen Demokratie, Menschenrechte und Religion. Die Antworten sind oft überraschend.
Iranischer Pluralismus
So trifft der Autor in Iran beispielsweise einen hohen Ayatollah, der für Säkularismus eintritt, weil es nun einmal nicht gut sei, wenn eine Gesellschaft im Namen einer Ideologie regiert werde. Und in einer Diskussionsrunde an einer islamischen Universität in der heiligen Stadt Qom haben die hochrangigen Lehrenden ganz unterschiedliche Konzepte von Menschenrechten - sehr ideologische, aber eben auch sehr aufgeklärt-westliche.
Mit Begegnungen wie diesen illustriert Perthes seine Feststellung, dass "der Iran auf dem Weg zum Pluralismus weiter vorangeschritten ist als alle anderen Staaten im Mittleren Osten".
In Yazd, einer Handelsstadt in Zentraliran, trifft er viele Bewohner, die stolz darauf sind, dass zwei Staatspräsidenten in der Stadt geboren wurden: Der iranische Ex-Präsident Muhammad Khatami und Moshe Katzav, der Präsident Israels.
Ein abgerundetes Bild
Wir erfahren auch, dass bei Umfragen unter Palästinensern Israel immer wieder auf Platz eins rangiert, wenn nach der "besten Demokratie der Welt" gefragt wird - denn parlamentarische Kontrolle und unabhängige Gerichte hätten die Palästinenser auch gerne. Und ein Hamas-Führer aus Gaza erklärt, natürlich würde er mit Israel verhandeln, das sei schließlich nicht "haram", nicht verboten. Ariel Scharon die Hand zu geben übrigens auch nicht.
Klischeebrüche wie diese ziehen sich durch viele Begegnungen. Aber Volker Perthes flicht immer wieder Analytisches und Hintergründiges ein, um das Bild abzurunden. Und er beschönigt auch Intoleranz und Repression nicht - er lässt einfach alle Seiten zu Wort kommen.
In Israel und Palästina beispielsweise Verfechter und Kritiker der Mauer um die palästinensischen Gebiete. Seine Gesprächspartner erörtern, ob ein Frieden, ein zehn Jahre dauernder Waffenstillstand oder eine hermetische Trennung der beiden Gesellschaften eine Lösung sein könnte.
Einen eigenen Staat haben auch die Kurden im Nordirak nicht. Die dominierende Frage für die Kurden ist, ob sie Teil eines föderalen Iraks oder unabhängig sein wollen - auch darauf geben viele Kurden ganz verschiedene Antworten. Dass kurdische Einheit auch nicht immer funktioniert, demonstrieren die dortigen Mobilfunknetze: Mit deren Handys lässt sich in die ganze Welt telefonieren - nur nicht in das von der jeweils anderen kurdischen Partei beherrschte Gebiet.
Erfahrbare Realitäten
Pluraler als wir hierzulande wissen, sind auch die Diskussionen in Saudi-Arabien mit seiner extrem dogmatischen Religionsauslegung. Hier wird über Veränderung durchaus diskutiert - aber immer im religiösen, konkret: im wahhabitischen Bezugsrahmen.
In Ägypten schließlich ringen Oppositionelle - religiöse und säkulare - seit langem um Demokratisierung und Pluralismus. Aber - sagt ein Landwirtschaftsprofessor in Oberägypten - viel wichtiger als Demokratie sei ihm, dass die Analphabetenrate und die Geburtenrate sinken, dass die Trinkwasserversorgung und die Gesundheitsvorsorge verbessert würden.
Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Analyse. Wenn es eine zusammenfassende These vertritt, dann diese: Dass man nicht von einem Konflikt der Zivilisationen sprechen kann, sondern treffender von "einem Konflikt innerhalb der Kultur oder von einer Konfliktlinie in der arabisch-muslimischen Zivilisation".
Darüber hinaus sind die "Orientalischen Promenaden" ein Mosaik aus Menschen und deren Meinungen und damit ein Abbild nahöstlicher Realitäten. Diese erfahrbar zu machen, ist das Verdienst von Volker Perthes.
Beate Hinrichs
© Qantara.de 2006
Volker Perthes: Orientalische Promenaden. Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch. München: Siedler Verlag, Februar 2006, 400 Seiten. 24,95 Euro
Qantara.de
Kirkuk – Stadt des Anstosses im Irak
Schwierige Verständigung zwischen den Volksgruppen
Kurden, Turkmenen und Araber reklamieren seit dem Fall Saddam Husseins die irakische Stadt Kirkuk für sich. Wie die gegensätzlichen Ansprüche aufgelöst werden sollen, ist noch völlig offen. Volker Perthes besuchte das Zentrum für Dialog und soziale Entwicklung in Kirkuk.
Kulturpolitik in Iran
Doch keine "schwarze Welle"?
Nach dem eher der Politikverdrossenheit der Bevölkerung denn dem Wählerwillen zu verdankenden Sieg der konservativen Kräfte im vergangenen Februar stellte sich die Frage, ob mit erneuten Einschränkungen gesellschaftlicher und kultureller Freiheiten zu rechnen sein würde. Noch haben sich solche Befürchtungen nicht bewahrheitet. Volker Perthes hat sich umgehört.
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