Für eine Streitkultur ohne Selbstgefälligkeit

"Aufklärung" und "Kampf der Kulturen": Diese Begriffe fallen häufig in der Debatte um das Verhältnis von islamischer und westeuropäischer Kultur. Angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen plädiert Stefan Weidner in seinem Essay für einen Kulturwettkampf ohne Aufklärungsfanatismus.

Gibt es überhaupt einen Kampf der Kulturen? Trotz der heftig geführten Islamdebatten, trotz der Kriege in Irak, Afghanistan und um die israelischen Grenzen scheint es, als sei der Kampf der Kulturen vor allem ein Streit um den Begriff des Kulturkampfs selber. Besonders im moderat islamfreundlichen Lager und unter professionellen Beschwichtigern wird immer wieder betont, dass es diesen Kampf in Wahrheit nicht gebe.

Leider dürfte der Kampf der Kulturen nicht deshalb aufhören, weil man inständig behauptet, es gebe ihn nicht, und es wäre sehr gewagt, aus der weit verbreiteten Ablehnung des Kulturkampfs zu schließen, dass es überhaupt keinen gibt. Im Übrigen: Selbst im Sinne der Gegner eines Kulturkampfs wäre eine solche Annahme kontraproduktiv. Von der Auseinandersetzung mit realen Problemen - wie gehen die westlichen Gesellschaften mit den Muslimen und dem Islam um? - verschiebt sich die Front auf das Gebiet der bloßen Meinung darüber, ob angesichts dieser Probleme das Wort "Kampf" angebracht ist.

Dabei gibt die Metapher vom Kampf der Kulturen weitaus mehr her, als man im Allgemeinen zuzugestehen bereit ist. Statt eines Gemetzels kann man darin die Konkurrenz der Ideen sehen, den Wettstreit auf symbolischen Ebenen. Man könnte auch an einen Kampf der Worte denken wie in einem Gerichtsprozess mit permanenten Plädoyers vor den Geschworenen der Weltöffentlichkeit. Oder an einen Wettbewerb der kulturellen Ideen im weitesten Sinne: politisch, sozial, ökonomisch, religiös oder weltanschaulich.

Ohne Kampf keine Verschmelzung

Wer sich mit der simplen Feststellung begnügt, den Kampf gebe es nicht, setzt sich dem Verdacht aus, diesem Wettbewerb der Ideen um das bessere Leben die Grundlage zu entziehen. Man könnte ihm unterstellen, die Unterschiede glattbügeln zu wollen oder am Ende seine eigene, jedoch unausgesprochene, der Auseinandersetzung entzogene Sicht als letztgültige hinzustellen. Eine solche Haltung, gepflegt von Kolumnisten, Politikern, Geistlichen und anderen Schönrednern aller Lager, ist zumindest bevormundend. Im schlimmsten Fall diskreditiert sie jede alternative Position als potenzielle Kriegstreiberei.

Innenansicht der Merkez-Moschee in Duisburg; Foto: AP
"Hinter dem Kampf um das richtige Bild vom Islam, besonders wenn er von westlichen Meinungsmachern und Medien geführt wird, verbirgt sich oft ein Kampf um das richtige Bild vom Westen", erklärt Stefan Weidner.

​​Selbst wenn man die kulturellen Unterschiede nicht betonen will: Ohne Kampf gibt es keine Verschmelzung. Wenig spricht für die Annahme, dass die Mehrzahl der Menschen von alleine und freiwillig Anregungen bei anderen Kulturen sucht. Einzelne vielleicht, Kollektive aber sind schwerfällig. Wer für eine Vermischung der Kulturen ist, für wechselseitige Bereicherung plädiert, wird die Auseinandersetzung nicht nur nicht ausschließen und scheuen dürfen, er wird sie als Motor der Verschmelzung anerkennen.

Im Übrigen fällt auf, dass sich hinter dem Kampf um das richtige Bild vom Islam, besonders wenn er von westlichen Meinungsmachern und Medien geführt wird, oft ein Kampf um das richtige Bild vom Westen verbirgt. Es geht gar nicht so sehr darum, die Fremden in die Schranken zu weisen, sondern das Fremde im eigenen.

Man sieht es an der überraschenden Renaissance des Aufklärungsbegriffs. Zuletzt sprach vor 20 Jahren davon, als es darum ging, das althergebrachte Denken gegen die aus Frankreich einziehende postmoderne Unordnung zu verteidigen. Mittlerweile jedoch ist die Behauptung, dass der Islam keine Aufklärung kenne, zum Kulturkampfargument par excellence avanciert, und zwar keineswegs nur unter Intellektuellen, sondern bis in die Leserbriefspalten der Zeitungen hinein.

Fataler Zirkelschluss

Stimmt es denn, dass der Islam keine Aufklärung kennt? Die Antwort hängt davon ab, wie man Aufklärung definiert. Wenn man sie auf die Phänomene begrenzt, die ihre Entstehung in Europa begleitet haben, wird man sich selbstverständlich schwer damit tun, Ähnliches in der islamischen Welt zu finden. Genau das geschieht aber, und mit der Engführung des Aufklärungsbegriffs auf ein rein europäisches Phänomen wird der Islam essentialistisch festgeschrieben: Der Islam ist dann eben das, was keine Aufklärung kennt.

​​Der Zirkelschluss, der in einer solchen Aussage liegt, ist so offensichtlich, dass er leicht übersehen wird. Sucht man eine Aufklärung außerhalb von Europa, muss man zugestehen, dass es eine Art Aufklärung geben könnte, die sich nicht einfach auf die Trennung von Staat und Religion oder die Religionskritik ganz allgemein reduzieren lässt.

Die Aufklärung war schon in ihren Ursprüngen im Europa des 18. Jahrhunderts weitaus mehr als eine bloße Religionskritik. Obwohl auch Kant auf eine Religionskritik abzielt und ein Ausweg aus der Unmündigkeit auf Grundlage der Religion bei ihm nicht vorgesehen ist, erweist sich seine Definition von Aufklärung bei genauem Hinschauen als eine Ethik der Selbstkritik: "Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstands ohne Leitung eines anderen zu bedienen."

Nur wenn man die Aufklärung auf Religionskritik reduziert, taugt sie als Instrument im Kulturkampf gegen den Islam, und dann liegen die folgenden verheerenden Schlüsse nah: Der Islam kennt keine Aufklärung. Folglich sind die Muslime unmündig. Folglich brauchen sie einen Vormund. Es ist diese Logik, die die Vorherrschaft der europäischen Kolonialmächte ebenso gerechtfertigt hat wie heute die amerikanisch-europäische Vormundschaft in Irak und Afghanistan.

Wer den Westen und die eigene Position umstandslos mit der Aufklärung gleichsetzt, verdrängt zudem die bis weit ins 20. Jahrhundert gerade nicht von Aufklärung zeugende Geschichte Europas.

Aufklärung ist individuell

Dabei müssen wir gar nicht in die intellektuellen Tiefen von Horkheimer und Adornos "Dialektik der Aufklärung" abtauchen, um die Vorstellung, wir seien die Aufgeklärten, die anderen hingegen unaufgeklärt, als einigermaßen selbstgefällig zu entlarven. Es genügt, einen zweiten Blick in Kants berühmte Schrift "Was ist Aufklärung?" zu werfen. Dort heißt es (und zur Aktualisierung fügen wir zwei Halbsätze hinzu):

"Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Fernseher, der für mich quasselt, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Analytiker, der über mich nachdenkt, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen."

Was von diesen Unmündigkeiten auch heute noch auf uns zutrifft, wird jeder am besten für sich selbst beantworten können. Wagen wir daher die Behauptung, dass die Verwendung des Begriffs Aufklärung in interkulturellen Zusammenhängen heller Unsinn ist. Im Namen der Aufklärung kann man nämlich alles und jeden kritisieren, den Islam ebenso wie den Papst, die Indianer ebenso wie den Nachbarn - oder, was im Sinne der Aufklärung am besten wäre, sich selbst.

Stefan Weidner

© Qantara.de 2008

Stefan Weidner, Übersetzer und Redakteur, lebt in Köln. Sein jüngstes Buch "Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausforderung ist" ist vor kurzem im Verlag der Weltreligionen erschienen.

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