Die Welt ist kein Jammertal

Ist die Schicksalsergebenheit eine typisch islamische Eigenschaft? Ist allein die christliche Theologie der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes nachgegangen? Diese Fragen wurden jetzt gemeinsam von islamischen und christlichen Theologen erörtert. Claudia Mende stellt die Ergebnisse vor.

Stadtansicht von Bethlehem; Foto: AP
Der Islam sieht die Welt optimistischer als das Christentum: Für Muslime ist die Welt kein Jammertal. Das Christentum dagegen hat einen langen Schatten der Verklärung von Leid.

​​Naturkatastrophen, Krankheiten, Unfälle: Das Leben hält für viele Menschen schlimme Erfahrungen bereit. Das Leiden der Welt ist für alle monotheistischen Religionen die Anfrage an ihre Glaubwürdigkeit schlechthin. Wie kann man in einer Welt voller Ungerechtigkeit und Schrecklichkeiten an Gott glauben? Wie lässt sich die Erfahrung des Bösen und das Leiden Unschuldiger mit dem Glauben an einen gütigen Gott zusammen bringen?

Seit der Neuzeit ist diese so genannte Theodizee-Frage eines der Hauptargumente gegen den Glauben an einen Schöpfergott. Umso wichtiger für Christentum und Islam, sich auf eine gemeinsame Grundlage zu verständigen, damit sie auf diese grundsätzlichen Fragen überzeugend antworten können.

Nachholbedarf für Christen und Muslime

Im Rahmen einer Tagung des Theologischen Forums Christentum – Islam an der Katholischen Akademie in Stuttgart haben christliche und muslimische Theologen um diese Fragen gerungen. Mit inzwischen vier gemeinsamen Tagungen hat sich dieses jährliche interreligiöse Expertentreffen zum wichtigsten Forum christlicher und islamischer Theologen im deutschsprachigen Raum entwickelt.

In Stuttgart zeigt sich, dass muslimische Theologen in Europa durchaus kritisch mit ihrer Tradition umgehen können und auch christliche Theologen noch einiges aufzuarbeiten haben.

Der islamische Gott muss sich nicht rechtfertigen

Die Beiträge des Forums sind mit einiger Verzögerung in einem Sammelband zum Thema "Prüfung oder Preis der Freiheit? Leid und Leidbewältigung in Christentum und Islam" des Regensburger Pustet Verlags nach zu lesen.

Erstaunlich ist, wie unterschiedlich Christentum und Islam mit dieser Frage umgehen. Im Islam hat die Theodizee-Frage einen geringeren Stellenwert als in der christlichen Tradition, sie wird nur wenig diskutiert. Die muslimische Tradition setzt den frei handelnden Menschen voraus und fasst menschliches Leiden vor allem als Prüfung auf, die es im Vertrauen auf die größere Gerechtigkeit Gottes zu bestehen gilt. Von Allah darf der Mensch keine Rechenschaft erwarten.

Gott anzuklagen, weil auch dem Gottesfürchtigen Unheil widerfahren kann, das ist dem Koran und der orthodoxen islamischen Tradition fremd. Lediglich die islamische Mystik kennt dieses Motiv. Die Figur des Hiob aus der jüdisch-christlichen Tradition, der mit Gott hadert, hat zwar auch in den Koran Eingang gefunden.

Der Hiob des Koran (arabisch Ayoub) ist allerdings ein gottergebener Mann, der sich in sein Schicksal fügt, wie der Religionswissenschaftler Stefan Schreiner von der Universität Tübingen heraus arbeitet. Die explizite Thematisierung menschlichen Leidens und seine religiöse Deutung finden sich im Koran nicht.

Dafür sieht der Islam die Welt optimistischer als das Christentum: Für Muslime ist die Welt kein Jammertal. Das Christentum dagegen hat einen langen Schatten der Verklärung von Leid, der sich in unheilvoller Weise durch die christliche Geschichte zieht. Für Arnulf von Scheliha, Professor für Systematische Theologie an der Universität Osnabrück, Grund genug, mit der eigenen Tradition ins Gericht zu gehen.

Schicksalsergebenheit als typisch islamische Eigenschaft?

Auch die christliche Geschichte kenne eine Sehnsucht nach dem Martyrium, die politisch missbraucht werden kann. "Gegenwärtig erleben wir, dass Menschen aus politischen Gründen zum Martyrium verführt und zu terroristischen Zwecken missbraucht werden" so Scheliha. Durch derartigen Übereifer werde die "religiöse Deutung von Leid und Trost in schrecklichen Misskredit gebracht".

Im sunnitischen Islam setzte sich unter dem Theologen Abu Hamid al-Ghazali (1058-1111) eine Position durch, die die Würde des menschlichen Verstandes darin sieht, den Menschen zum bedingungslosen Gehorsam gegenüber Gott zu leiten. Diese Schicksalsergebenheit wird heute oft als eine typisch muslimische Eigenschaft gesehen. Ist diese Bereitschaft, vieles zu erdulden ein Ergebnis der Theologie oder der politischen und sozialen Lebensumstände in der arabischen Welt?

Diese Frage wird von den Beiträgen leider nicht in vollem Umfang behandelt. Immerhin betont Islamwissenschafter Hüseyin Inam vom Muslimischen Theologenbund Europa, der Begriff der göttlichen Bestimmung (qadar) sei "immer wieder auch zur Rechtfertigung gesellschaftlicher und politischer Ungerechtigkeit missbraucht" worden, "obwohl sich die klassischen Theologen fast einstimmig gegen diese Art der Rechtfertigung gewandt haben."

"Gott wirkt nicht nur im 'islamischen Staat'"

Besonders bemerkenswert ist der Beitrag des bosnischen Theologen Dzevad Hodzic von der Universität Sarajevo. Hodzic fordert die Muslime auf, ihr Verhältnis zur eigenen Geschichte zu überdenken. Diese Geschichte sei "selbst in den Jahrhunderten des geschichtlichen Triumphs des Islam nicht so ideal, wie sie uns zu sein scheint", betont Hodzic. Muslime sollten sich selbst und nicht andere "für viele ihrer Nöte" verantwortlich machen.

Vor allem müssten sie "ihr vorherrschendes Verständnis des islamischen Gotteskonzepts kritisch hinterfragen. Gott ist nämlich selbst dann nicht abwesend, wenn der Islam geschichtlich nicht dominant ist. Gott wirkt nicht nur im 'islamischen Staat'."

An Hodzics Beitrag zeigt sich besonders, wie lohnend die Diskussionen christlicher und islamischer Theologen sein können. Auf die Ergebnisse der nächsten Diskussionen darf man gespannt sein.

Claudia Mende

© Qantara.de 2009

Andreas Renz, Hansjörg Schmid, Jutta Sperber, Abdullah Takim (Hrsg.)
Prüfung oder Preis der Freiheit? Leid und Leidbewältigung in Christentum und Islam, Verlag Friedrich Pustet 2008, Regensburg

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