Herausforderung für muslimische Gemeinden
Es sind Bilder, die um die Welt gehen: Erschöpfte Kinder, Frauen und Männer steigen aus Zügen an deutschen Bahnhöfen. Mit Willkommensgrüßen werden sie empfangen, mit Lebensmitteln und Medizin versorgt. Sie leben in überfüllten Flüchtlingsheimen, stehen tagelang Schlange und müssen sich in einer neuen Kultur zurechtfinden. Die Ankunft und Aufnahme Geflüchteter in Deutschland scheint nur durch das unermüdliche Engagement zahlloser ehrenamtlicher Helfer zu funktionieren.
Die Menschen kommen vom Balkan, dem Mittleren Osten oder Afrika. Weil mehr als die Hälfte von ihnen aus muslimisch geprägten Ländern kommen, wird Kritik laut, dass islamische Verbände ihre Glaubensschwestern und -brüder nur wenig unterstützen.
"Wir haben den Eindruck, dass die islamischen Verbände in Deutschland ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung vernachlässigt haben", meint Ali Ertan Toprak. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschlands meint zwar, mit der wachsenden Anzahl Geflüchteter in Deutschland würde auch die große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung weiter zunehmen, doch diese Hilfsbereitschaft könne jederzeit kippen. "Deutsche Muslime leben seit Jahrzehnten in Deutschland. Wer sich als Teil dieser Gesellschaft fühlt, muss auch Verantwortung für die gesamte Gesellschaft übernehmen. Sie dürfen nicht nur fordern, sondern müssen auch mit anpacken." Mit dieser Kritik möchte Toprak in Deutschland lebende Muslime wachrütteln.
Täglich setzen sich kirchliche Gemeinden für Flüchtlinge ein. Die islamischen Verbände müssten deutlich machen, dass auch sie dieses Engagement pflegen. "Ich würde mir wünschen, dass die islamischen Verbände und ihr Koordinierungsrat Flüchtlingshilfe organisieren und sich beteiligen. Es gibt punktuelle Hilfe, die von vielen Muslimen geleistet wird. Eine Organisation islamischer Verbände habe ich bisher nicht wahrgenommen", erklärt Toprak.
Integration ins Gemeindeleben
"Wir helfen in Absprache mit den Verantwortlichen nach Bedarf", erklärt der Vorstandschef der türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion (kurz: DITIB), Zekeriya Altug. Gemeindemitglieder sammeln in erster Linie Sach- und Geldspenden. Einzelne Kommunen, die speziell muslimische Kleidung suchen, fragen bei Moschee-Gemeinden an. Dort können auch Flüchtlinge abends oder an Wochenenden an Kursen und anderen Aktionen der Frauen-, Kinder- und Jugendarbeit teilnehmen.
Und natürlich seien die Moscheen für alle Menschen geöffnet. Die Gottesdienste und religiösen Angebote richteten sich an alle Muslime - unabhängig davon, ob sie Gemeindemitglied seien, betont Altug. "Im Ramadan haben wir dazu aufgerufen, Abendessen auszugeben, damit muslimischen Flüchtlingen das Fasten erleichtert wird." Diese Hilfe wird von ehrenamtlichen Helfern geleistet.
Doch einige Probleme bleiben: "Als muslimische Gemeinden sind wir nicht in der Lage, Räume für Flüchtlinge anzubieten. Unsere Räumlichkeiten sind von vornherein für die Gemeindearbeit selber nicht ausreichend. Freitags müssen Gläubige fast schon auf der Straße oder unter freiem Himmel beten", schildert Altug die Situation. "Daher können wir nur sehr begrenzt, dort wo Möglichkeiten bestehen, Räume für Flüchtlinge anbieten. Auch sprachlich gebe es Barrieren.
Ein großer Teil der Flüchtlingshilfe wird in Deutschland von kirchlichen Organisationen und Wohlfahrtsverbänden organisiert. Mit dabei: der Deutsche Caritasverband, das etwas kleinere evangelische Pendant Diakonie, das Deutsche Rote Kreuz oder die Jüdische Wohlfahrt. Dass der islamischen Gemeinde in Deutschland ein derartiger Dachverband fehlt, sieht Altug als Handicap, wodurch sie ihre ganze Arbeit auf ehrenamtlicher Basis leisten müssten, inklusive der Koordination. Ein Grund, warum das Thema Wohlfahrtsverband seit Jahren bei der Deutschen Islam-Konferenz diskutiert wird.
Wohlfahrtssystem in Planung
"Wohlfahrtsverbände, die gute finanzielle Möglichkeiten haben, die zum Teil staatlich finanziert werden und andere nachhaltige finanzielle Ressourcen wie die bereits Etablierten haben wir in Deutschland noch nicht", bemängelt Altug. "Ziel ist es natürlich, mittel- und langfristig ein Wohlfahrtssystem zu etablieren. Das schaffen wir nicht alleine, weil wir das Know-how und das Personal nicht haben, um die Ehrenamtlichen sinnvoll anzuleiten und zu unterstützen."
Eine Initiative, die auch Ali Toprak begrüßt. Viele der in Deutschland lebenden Kurden sind als politisch verfolgte Flüchtlinge ins Land gekommen. Hilfesuchende Menschen zu unterstützen sei für sie nicht nur aus diesem Grund eine Selbstverständlichkeit.
"Seit dreißig, vierzig Jahren zählt Flüchtlingsarbeit zu den essentiellen Aufgaben der kurdischen Gemeinden", erläutert er. "Die kurdische Gemeinde in Deutschland unterstützt und kooperiert mit den Grünhelmen in Flüchtlingslagern in kurdischen Gebieten des Iraks und Syrien." Aber auch in Deutschland sammeln kurdische Vereine Spenden und helfen durch ehrenamtliche Mitarbeiter zusammen mit anderen Hilfsorganisationen und Gemeinden den Flüchtlingen in Deutschland."
Ein derartiges zivilgesellschaftliches Engagement der islamischen Gemeinden vermisst er. "Unsere Kritik, die Flüchtlingskrise und die Aufmerksamkeit der Medien hat dazu geführt, dass die islamischen Verbände zumindest in der Öffentlichkeit äußern, dass sie auch mit anpacken müssen." Ein Appell, auf den islamische Verbände reagieren. Der Zentralrat der Muslime kündigt an, Gemeindemitglieder als Integrationslotsen einzubringen.
Sabrina Pabst
© Deutsche Welle 2015