Showtime für TV-Prediger
Über 350 000 SMS-Glückwünsche vermittelte allein in den ersten vier Tagen dieses islamischen Fastenmonats Ramadan der Mobilfunkbetreiber Du, der in den Golfemiraten operiert. Von solchen Dienstleistungen profitieren auch die arabischen TV-Satellitenkanäle. Denn diese lassen sich kaum über Werbeeinnahmen finanzieren – der Markt ist zwar riesig, aber die Zielgruppen sind zu fragmentiert.
Sender aller Art benötigen daher Investoren, die vor allem ihre Gewinne mit der regelrechten Mobilfunksucht der Zuschauer machen. Entsprechend gängig sind Kooperationen mit Telekomfirmen. Angelockt wird das Publikum nicht zuletzt mit telefonisch einzuholenden Fatwas, also mit religiösen Rechtsgutachten. Als Fatwa-Kanal konnte sich al-Majd ("Die Glorie") an die Spitze der saudischen Religionssender katapultieren. Im Jahr 2003 gegründet, betreibt er inzwischen zwölf Kanäle.
Unzählige Prediger
Die auf al-Majd erteilten Fatwas zählen vielfach zu jenen, die regional wie international Kopfschütteln auslösen. Dass sie dennoch so gefragt sind, belegt das große Bedürfnis der Muslime, mehr über einen wahrhaft frommen Lebensstil zu erfahren. Ob die Bildschirm-Prediger eine echte Hilfe sind, bleibt fraglich – zumal es so viele von ihnen gibt.
Grund dafür ist nicht zuletzt die staatliche Erziehung. Kannte man vor 50 Jahren hauptsächlich Ulama (Religionsgelehrte) und Fuqaha (Rechtsgelehrte), gibt es mittlerweile zahlreiche neue Qualifikationen, vom Duktur (Absolvent einer Scharia-Universität) bis zum Da'i (ein zum Islam Einladender).
Das Satellitenfernsehen, das Ende der 1990er Jahre aufkam, verstärkte die Entwicklung. Hier entstand ein lukratives Geschäft und – im religiösen Bereich – das in den Diktaturen einzig mögliche Forum für gesellschaftlichen Wettbewerb. Hinzu kamen die Folgen des 11. Septembers 2001. Die Religion geriet unter Zugzwang, das Bedürfnis nach Debatten brauchte ein Ventil.
Al-Majd wurde zu einem solchen, zumindest für die Ultraorthodoxen. Der Sender präsentiert sich als Frauen-frei, Musik-frei, Sünden-frei, getreu der wahhabitischen Ideologie, die eine lange saudische Tradition aufweist. Ihre Führer entstammen alteingesessenen Familien mit einem Quasimonopol auf religiöse Expertise. Doch die Mediatisierung bedroht dieses Monopol. Namenlose andersdenkende Scheichs tauchten allerorten auf.
Die Wahhabiten mussten daher ihre Macht medial demonstrieren – zumal die saudische Monarchie mit ihnen aufs Engste liiert ist. Eine Verbindung, die der Schizophrenie nicht entbehrt: Der "Sünden-unfreie" Lebenswandel der Königsfamilie ist ein offenes Geheimnis, und ihre Mitglieder sind aktiv in die Vermarktung anderer Ideologien involviert – sofern diese Gewinne verheißen. So finden sich im Aktienportfolio von Prinz Walid Bin Talal Beteiligungen an Eurodisney und an Rupert Murdochs Medienfirma ebenso wie die Mehrheitsanteile an al-Resalah ("Die Botschaft").
Dieser 2006 lancierte Kanal sendet aus glitzernden Studios auch musikalische Einlagen, die nach Ansicht des Managements die islamischen Normen keineswegs verletzen. Man müsse als frommer Muslim nicht ständig den Koran oder das Leben des Propheten finster zitieren – im Gegenteil, dies langweile. Weitaus interessanter und absolut islamverträglich sei es, Liebe, Freundschaft und Sexualität zu besprechen. Wenngleich al-Resalah den Sender al-Majd noch nicht eingeholt hat, scheint er auf gutem Weg zu sein.
Resalahs erklärtes Ziel, islamische Botschaften unterhaltend zu verbreiten, verfolgt Iqra ("Lies!"), der erste islamische Satellitensender, der bereits seit 1998 existiert. Über das reichweitenstarke Netzwerk Art visierte er jene Muslime an, die eher westliche Satellitensender einschalten. Iqra präsentiert unkonventionelle Prediger, die eine vielfach im Ausland ausgebildete gläubige Mittelschicht ansprechen. Etwa den 43-jährigen Amr Khaled und den 31-jährigen Moez Masoud. Beide treten glatt rasiert und in Straßenanzügen auf. Beide verzichten auf furchtgebietende Koranverse und sprechen in ihrem Dialekt über Persönliches.
So bereut Masoud die wilden Nächte während seiner US-Studienzeit und den durch Alkohol am Steuer bedingten Tod seines Freundes. Er berichtet von seinen ersten Kontakten mit dem Koran, den er nur in englischer Übersetzung verstanden habe – dergestalt betonend, dass man kein Fachmann sein müsse, um Gott nahezustehen.
"Islam light"
Dieser "Islam light" betont Toleranz, Fairness und einen ethisch wattierten Unternehmergeist. Doch selbst in diesen so lieblichen Tönen schwingt mitunter politisch Brisantes mit.
So erforscht Ahmad al-Shukairi, ein weiterer Jungprediger, in seiner diesjährigen Ramadan-Ausgabe den frühen Islam – nur um den Vergleich zur gegenwärtigen Verfasstheit der Muslime zu ziehen. Ein Blogger kommentierte bereits im Vorfeld: "Warum liegt unser Potenzial heute brach? Sind wir etwa dümmer als vor Jahrhunderten? Nein, wir haben die falschen Führer."
Eine Ansicht, die man von den Anhängern der schiitischen Hizbullah in Libanon kaum hören dürfte. Dort hasst das Fußvolk seinen Führer nicht – es ist gar stolz auf ihn. Und auf sich selbst. Die Gründe heißen: Widerstand gegen Israel und wirtschaftlicher Aufstieg – aus den Underdogs, die in den 1960ern die Beiruter Vororte "beschmutzten" – wie die Gegner meinten –, wurden oft gutsituierte Geschäftsleute.
Diese Transformation spiegelt der hauseigene Sender wider. In den eleganten Studios von al-Manar ("Der Leuchtturm") diskutiert wöchentlich ein Scheich religiöse Fragen mit Gästen beiderlei Geschlechts. In seiner Betonung von Toleranz und Nächstenliebe ähnelt er den "Islam light"-Predigern, doch geht er über sie hinaus: Auch Atheisten stehe das Paradies offen. Gott kenne keine Diskriminierung. So viel Progressivität wurzelt auch in der multikulturellen Konstellation, in der sich die Hizbullah bewegt. Im gewählten Parlament koaliert sie mit Kommunisten und Christen, und gemäß dem libanesischen Gesetz sitzen Sunniten und Christen im Aufsichtsrat von al-Manar.
Über alle politischen Taktiken hinaus aber durchlief die Hizbullah-Gemeinschaft eine Modernisierung, die sie nun erhobenen Hauptes vorführt. Im Gegensatz zum konservativen Al-Majd-Stil lässt al-Manar unverschleierte Moderatorinnen und säkulare Gäste ebenso zu wie die Frage, die der jüngst verstorbene schiitische Kleriker Muhammad Hussein Fadlallah aufwarf: "Wo steht, dass eine Frau, selbst wenn sie noch Jungfrau ist, der Einwilligung ihres Vaters bedarf, um zu heiraten?"
Mona Sarkis
© Qantara.de 2010
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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