Steinmeier verneigt sich vor Opfern deutscher Kolonialgewalt

Bundespräsident Steinmeier legt in Songea, Tansania, eine rote Rose und einen Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife auf die Gräber von Opfern deutscher Kolonialherrschaft.
Bundespräsident Steinmeier legt in Songea, Tansania, eine rote Rose und einen Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife auf die Gräber von Opfern deutscher Kolonialherrschaft. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture-alliance)

Die Grausamkeit deutscher Kolonialherren in Ostafrika vor mehr als 100 Jahren ist kaum noch bekannt. Dabei starben im Maji-Maji-Krieg bis zu 300 000 Menschen. Zu einigen ihrer Nachfahren in Tansania kommt jetzt der Bundespräsident. Für eine Aussage erhält er Beifall. Von Ulrich Steinkohl, dpa

Songea. Eine rote Rose und ein Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife auf den Gräbern, eine Bitte um Verzeihung an die Nachfahren der Opfer - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier weiß um die Bedeutung von Worten und Gesten, gerade an diesem Ort. Hier in Songea, einer eher ländlich wirkenden Stadt, geprägt von Wellblechhütten und staubigen Straßen im Südwesten Tansanias, leben Menschen, deren Familien mit Deutschland bisher schrecklichste Erfahrungen gemacht haben. Ihre Vorfahren wurden von deutschen Kolonialtruppen in einem brutal geführten Krieg umgebracht.

Wenn er heute eine Entschuldigung bekäme, würde ihn das freuen, sagt Chief Emmanuel Zulu, der für die Familien in der ganzen Region spricht. Er wird nicht enttäuscht. «Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft. Und als deutscher Bundespräsident möchte ich um Verzeihung bitten für das, was Deutsche hier Ihren Vorfahren angetan haben», sagt Steinmeier kurz darauf - und bekommt dafür Beifall. So deutlich hat sich vor ihm noch kein deutsches
Staatsoberhaupt für deutsche Kolonialverbrechen entschuldigt.

Songea war einer der Hauptschauplätze des Maji-Maji-Krieges, in dem die deutsche Kolonialmacht von 1905 bis 1907 einen Aufstand der Bevölkerung niederschlug, die sich gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Zwangsarbeit und Folter zur Wehr setzte. In der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika starben nach tansanischer Schätzung bis zu 300 000 Menschen. Es war einer der brutalsten Kriege des Kolonialzeitalters überhaupt. In Deutschland ist er weitgehend in Vergessenheit geraten,
in Tansania bei den Nachfahren der Opfer nicht.

Eines dieser Opfer war Chief Songea Mbano, den die deutschen Besatzer im Februar 1906 in Songea zusammen mit 66 weiteren Anführern erhängten und dann köpften. Am Einzelgrab des Chiefs legt Steinmeier am Mittwoch eine rote Rose nieder, am Sammelgrab der 66 anderen Kämpfer einen Kranz. Lange verharrt er schweigend und mit gesenktem Kopf an beiden Gräbern. Auch wer in Deutschland mehr über deutsche Kolonialgeschichte wisse, müsse entsetzt sein über das Ausmaß der Grausamkeit, mit der die deutsche Kolonialbesatzung vorgegangen sei, sagt er anschließend. «Es beschämt mich.»

Dass er hierher eingeladen worden sei, sei «alles andere als eine Selbstverständlichkeit», er sei zutiefst dankbar dafür, betont Steinmeier. Dankbar muss er vor allem John Makarius Mbano sein, dem Ur-Ur-Enkel von Songea Mbano. Im vergangenen April lud dieser bei einem Gespräch im Auswärtigen Amt in Berlin pauschal einen Vertreter des deutschen Staates ein.

Dass jetzt gleich dessen höchster Repräsentant kommt, dürfte auch daran liegen, dass Steinmeier schon länger Defizite bei der Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit in Deutschland sieht. So sagte er 2021 bei der Eröffnung des Humboldt Forums in Berlin: «Die Wahrheit ist: Wenn es um die Kolonialzeit geht, haben wir sonst so geschichtsbewussten Deutschen allzu viele Leerstellen! Wir haben blinde Flecken in unserer Erinnerung und unserer Selbstwahrnehmung.»

Vielleicht habe man gar nicht so genau wissen wollen, an welchen fernen Orten «auch Deutsche als Kolonialherren Menschen unterdrückt, ausgebeutet, beraubt und umgebracht haben». Fast zeitgleich mit dem Krieg in Deutsch-Ostafrika wurde auch in Deutsch-Südwestafrika ein Aufstand der unterdrückten Bevölkerung blutig niedergeschlagen. Historiker schätzen, dass dabei im heutigen Namibia 65 000 bis 80 000 Herero und mindestens 10 000 bis 20 000 Nama getötet wurden. Die Bundesregierung hat diese Gräueltaten inzwischen als Völkermord anerkannt. Ein Aussöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia ist unterschriftsreif ausgehandelt.

Nun soll es auch im Umgang mit der Vergangenheit in Tansania Fortschritte geben. Mehrfach betont Steinmeier dort, dass Deutschland bereit sei, diese Vergangenheit gemeinsam mit Tansania aufzuarbeiten. Geraubt haben die deutschen Besatzer auch die Schädel von Songea Mbano und vielen anderen Getöteten. Hunderte Schädel und Gebeine liegen bis heute in deutschen Museen und Sammlungen. Sie wieder zu bekommen, ist das Hauptanliegen der Familien heute, wie auch John
Makarius Mbano an diesem Mittwoch deutlich macht. Erst wenn auch diese Körperteile in der heimischen Erde liegen, sind die Toten würdig begraben, so der Glaube.

Der Ur-Urenkel ließ bei seinem Besuch in Berlin auch seine DNA da - in der Hoffnung, der Schädel seines Vorfahren könnte so identifiziert und zurück in die Heimat gebracht werden. «Ich verspreche Ihnen: Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um zu suchen, um zu finden, um zu identifizieren, um zurückzuführen», betont Steinmeier. Er könne allerdings nicht versprechen, ob dies Erfolge haben werde. Denn die Verfahren hierfür seien einfach sehr schwierig. (dpa)