Zornig, trotzig und hoffnungsvoll
Der Zeitpunkt ist bewusst gewählt: Pünktlich zum einjährigen Bestehen des Deutschen Heimatministeriums erscheint "Eure Heimat ist unser Albtraum", herausgegeben von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah.
Hier schreiben die intellektuellen Frontfrauen und -Männer der deutschen Integrationsdebatte wie Margarete Stokowski und Deniz Utlu sich den Frust über ihre lebens-, wenn nicht generationslangen, alltäglichen Rassismus-Erfahrungen von der Seele.
Die Texte sind teils zornig, teils trotzig, humorvoll, frustriert und hoffnungsvoll. Sie sind ein Manifest gegen ein Heimatverständnis als völkisch verklärtes Konzept und ein Plädoyer für das Bewusstsein, dass Menschen mehrere Heimaten haben können. Sie sind ein Aufbäumen gegen rechte Gewalt, Diskriminierung und Schubladendenken. Sie sind ein Wort-Ergreifen in einer Gesellschaft, in der lange über Menschen mit Migrationsgeschichte geredet wurde, nicht mit ihnen.
Viele verschiedene Themen – ein Gefühl
Einige der Texte reißen gleich viele verschiedene Themen auf einmal an. Von der Diskriminierung auf der Straße, weil man nicht den heterosexuellen Normen entspricht, bis hin zu brennenden Asylantenheime. Und dem Leser stellt sich die Frage: Ist das wirklich alles in demselben Kontext zu lesen? Etwa in Sasha Marianna Salzmanns Text "Sichtbar" kommt vieles, man könnte sagen, zu vieles zusammen. Assimilierte Juden im 20. Jahrhundert, Diskriminierung von Homosexuellen, Gender-Theorien, Alice Weidel und die AfD.
Die Autorin, die 1995 mit ihrer Familie als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland emigrierte, hat ihre Antwort auf diese Frage. "Mein Thema ist Mehrfachdiskriminierung und wie das funktioniert", erklärt sie auf der Premierenfeier. "Deswegen finde ich es wichtig, mich nicht nur darauf zu beziehen, dass ich als Jüdin diskriminiert werde oder wegen meiner Geschlechteridentität. Bei mir sind eben so viele Felder. Und ich glaube, auch wenn man nicht alles nachvollziehen kann, kann man ein Gefühl dafür kriegen, wie kompliziert das sein kann, wenn man nicht als normal gelesen wird."
Denn das alles, sagt sie, und es klingt erstaunlich unpathetisch, sei ihr Leben.
Anders-Sein als gemeinsamer Nenner
Und im Grunde geht es in den Texten um genau das: Das Gefühl, von der Mehrheitsgesellschaft definiert und objektiviert zu werden. Und darum, seiner eigenen Stimme Verhör zu verschaffen – auch stellvertretend für alle, die es in den 70 Jahren deutscher Migrationsgeschichte bislang nicht konnten.
Die Lösung für ihr gemeinsames Problem, nämlich dem "Wissen um das Aus-dem-Raster-fallen" und dem "Niemals-normal-Sein", wie Salzmann schreibt, sieht sie in einer Solidarität untereinander: "Wir werden füreinander da sein, wenn die Mehrheitsgesellschaft zuschaut und nicht eingreift." Und weiter: "Also schaffen wir unsere eigenen Strukturen, und wenn wir in Gefahr sind, werden wir uns aufeinander verlassen können. Wir sind die Alternative für Deutschland." Oder wie Simone Dede Ayivi schreibt, und damit endet das Buch, "Zu Hause ist, wo ihr seid".
Ein Buch "für uns"
Gegen dieses abgrenzende Zusammenrücken kann den Texten das Argument entgegenhalten werden was Autor Enrico Ippolito in seinem Text "Beleidigung" der Freundin des Protagonisten in den Mund legt: "Es wird sich nie was ändern, wenn du nicht bereit bist, auch mit Menschen zu sprechen, die vielleicht nicht politically correct sind. Es sind deswegen nicht alle Rassisten. Manche wissen es einfach nicht besser."
Und hier stellt sich die Frage: An wen richtet sich das Buch? Während der Titel "Eure Heimat ist unser Albtraum" suggeriert, es ginge den Autor*innen um einen, wenn auch vorwurfsvollen, Dialog mit der Mehrheitsgesellschaft, lässt sich die Widmung "Für uns" eher als Abschottung innerhalb der eigenen Community deuten.
Das Buch, sagt Herausgeberin Fatma Aydemir, richte sich "an alle". Aber auch: "Wir richten uns an uns. Wir wollten ein schönes Buch für uns machen. Für uns Autor*innen. Für uns als Community. Wir wollten auch ein Buch machen für viele junge Leute - auch die, die sich alleingelassen fühlen. Denn Teil einer Minderheit zu sein bedeutet auch ein Stück weit Einsamkeit. Mit so einem Buch, wo auch so eine Vielstimmigkeit drin ist aus verschiedenen Perspektiven, war unser Anliegen zu zeigen, dass es diese Positionen, diese Lebensrealitäten gibt. Du bist nicht alleine."
Die Stereotypenfalle
Stark sind die Texte, die sich auf persönliche Erfahrungen konzentrieren. Nadia Shehadehs pointiert komischer Text darüber, ständig als Gefahr wahrgenommen zu werden. Fatma Aydemirs Rückblick auf die Arbeitssituation ihrer Eltern. Das Gespräch von Sharon Dodua Otoo, Trägerin des Ingeborg Bachmann Preises, mit ihrem Sohn darüber, wie man seinen schwarzen Sohn auf das Leben in der weißen Mehrheitsgesellschaft vorbereitet.
Doch an Schlagkraft verlieren diese Texte immer dann, wenn sie dem verfallen, was sie der Mehrheitsgesellschaft vorwerfen: der Pauschalisierung. "In den Köpfen der Martins, Melanies und Dominiks wurden beim Thema Rassismus immer dieselben stereotypen Bilder nach oben gespült: glatzköpfige, gewaltbereite Menschen oder wahlweise auch ganz generell Ossis", schreibt etwa Enrico Ippolito.
Doch Ippolito sieht das anders. "Das verkennt die Machtstrukturen“, sagt er. "Zu glauben, dass es eine Art von 'Reverse Racism' gibt, funktioniert nicht, wenn wir über Macht reden und gucken, wer hat die Macht inne und wer nicht. Die Deutschen sind die Mehrheitsgesellschaft. Sie machen die Gesetze. Sie bestimmen sehr, sehr viel. Und ich glaube, dass das ein Trick ist, der nicht funktioniert, zu sagen, ihr wendet Rassismus gegen uns an."
Die Standing Ovations in der ausverkauften Buchpremiere in Berlin zeigen auf alle Fälle eins: Für die neuen Deutschen ist dieses Buch mehr als überfällig. Und es bleibt sehr zu wünschen, dass diese deutschsprachigen Autor*innen mit ihren starken Stimmen sich nicht in eine Sackgasse drängen lassen, in der sie alleine auf den Blick der Mehrheitsgesellschaft reagieren und sich dadurch ihre Themen diktieren lassen, sondern sich darüber hinaus Gehör verschaffen.
Ceyda Nurtsch
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