Gehen ist gefährlich - bleiben auch

Displaced Syrian man Walid Muhammad Abdel-Baqi shows pictures of his dead son Walid on his phone
"Libanon ist die Hölle", sagt der syrische Flüchtling Walid Muhammad Abdel-Baqi und zeigt ein Bild seines Sohnes, der umgebracht wurde - wohl weil er Syrer war. (Foto: Omar Albam/DW)

Viele Syrer sehen im Libanon keine Zukunft mehr für sich und wollen das Land wieder verlassen. Doch auch eine Rückkehr in die alte Heimat bietet keine Sicherheit.

Von Cathrin Schaer

Der gewaltsame Tod seines Sohnes gab den Ausschlag: Walid Muhammad Aqbdel-Baqi entschloss sich danach, wieder in sein Heimatland zurückzukehren. 2012 war er vor dem Krieg in Syrien in den benachbarten Libanon geflohen. 

"Mein Sohn Ali Walid war auf dem Weg zu seiner Schwester in Sidon", sagt Abdel-Baqi der Deutschen Welle (DW). Sidon liegt südlich der Hauptstadt Beirut am Mittelmeer. "Doch bevor er ihr Haus erreichte, wurde es dunkel. Er verlief sich und fand das Gebäude nicht."

Danach konnte die Familie den 30-Jährigen zwei Wochen lang nicht erreichen. Später stellte sich heraus, dass eine Gruppe unbekannter Männer ihn brutal attackiert hatte: Ali Walid erlitt Rippen- und Schädelbrüche sowie innere Blutungen. In diesem Zustand legten die Schläger ihn vor einer Polizeistation ab. Kurz danach starb er an seinen Verletzungen. Für den 50-jährigen Abdel-Baqi ist klar: Sein Sohn wurde angegriffen, weil er Syrer war.

Tatsächlich herrscht im Libanon eine zunehmend antisyrische Stimmung. In dem 5,2 Millionen Einwohner zählenden Land leben schätzungsweise 1,5 Millionen Syrer. Die meisten von ihnen sind vor der Gewalt in ihrem Heimatland geflohen. Aufgrund der tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise im Libanon haben sich die Spannungen zwischen einheimischen Libanesen und vertriebenen Syrern in den vergangenen Jahren verschärft.

Refugees in an Idlib camp
Syrer sollten nicht gezwungen sein, sich zwischen einem Leben im Kriegsgebiet und Angst vor Rassismus und Übergriffen im Libanon entscheiden zu müssen, sagen Menschenrechtsgruppen. (Foto: Omar Albam/DW)

Menschenrechtsorganisationen berichten, das libanesische Militär schiebe Syrer gewaltsam über die Grenze ab, obgleich ihr Leben dort in Gefahr ist. Die jüngsten Verschärfungen der Migrationspolitik der Europäischen Union verschlimmerten die Lage zusätzlich.

So sieht die Familie Abdel-Baqi nach zwölf Jahren im Libanon keine andere Wahl mehr, als nach Syrien zurückzukehren. Allerdings will sie nicht in die von der Regierung kontrollierten Gebiete. Stattdessen möchte sie in die Provinz Idlib im Norden des Landes ausreisen, die von Oppositionsgruppen kontrolliert wird. Die Flucht nach Europa kann Abdel-Baqi nicht bezahlen, außerdem hält er die Bootsfahrt über das Mittelmeer für zu riskant.

In Syrien warten Gefängnis, Folter, Tod

Auf der Reise nach Idlib laufen Heimkehrer allerdings Gefahr, auf syrische Regierungstruppen zu treffen. Diese betrachten alle Geflüchteten als Feinde von Diktator Baschar al-Assad.

Junge Männer auf der Rückreise verschwänden in dem Gebiet häufig, berichtete die in Beirut erscheinende Zeitung "Al Modon" im vergangenen Jahr. Vermutet wird, dass sie zum Dienst in der syrischen Armee gezwungen wurden oder inhaftiert oder tot sind. 

Um zurück nach Idlib zu gelangen, müssen die meisten Rückkehrer das von der Regierung kontrollierte Gebiet durchqueren. Das geht oft nur, wenn sie die Wachen an den Kontrollpunkten bestechen. 

Noch schwieriger ist die Reise für diejenigen, die den Behörden als Oppositionelle bekannt sind: Sie müssen eine mühsame Reise über Nebenstraßen und Bergpfade auf sich nehmen. Für die in der Regel nötigen Dienste der Menschenschmuggler zahlen sie etwa 650 Dollar.

Derweil bombardiert das mit Assad verbündete Russland das Gebiet weiterhin. Von Beginn dieses Jahres bis Ende Mai hat der freiwillige syrische Zivilschutz, die Weißhelme, nach eigenen Angaben 373 Angriffe registriert. Dabei wurden 31 Menschen getötet und 146 verletzt. 

Auf Anfrage der DW erklärten die Behörden in Idlib, die Zahl der im Mai aus dem Libanon angekommenen Familien habe sich im Vergleich zum April mehr als verdoppelt. Im April waren 446 Menschen zurückgekehrt, im Mai waren es 1041 Personen. 

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In den überwiegend von islamistischen Oppositionsgruppen kontrollierten Provinzen Idlib und Nord-Aleppo im Nordwesten Syriens leben schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen. Von ihnen sind der britischen Hilfsorganisation Syria Relief zufolge rund 4,1 Millionen Personen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Ernährung von 3,7 Millionen Menschen gilt als nicht sicher. Gleichzeitig geht die in das Gebiet fließende Hilfe zurück. Anfang des Jahres musste das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen die Nahrungsmittelhilfe aufgrund von Mittelkürzungen reduzieren.

Auf einer Konferenz in Brüssel Ende Mai sagten internationale Geber, darunter auch die Europäische Union, weitere 7,5 Milliarden Euro Unterstützung zu. Das ist zwar mehr, als die Vereinten Nationen gefordert hatten, aber weniger als die in den Vorjahren zugesagte Summe.

Kein sicherer Hafen

"Es ist zutiefst beunruhigend, dass einige Flüchtlinge die Rückkehr in ein Kriegsgebiet den Schikanen und der Angst im Libanon vorziehen", sagt Ranim Ahmed, ein Sprecher der in Großbritannien ansässigen Organisation The Syria Campaign, im DW-Gespräch. "Der Libanon macht die Situation für syrische Flüchtlinge so unerträglich, dass einige gezwungen sind, in den Nordwesten zurückzukehren. Ihre einzige Alternative wäre, unter der Herrschaft Assads zu leben." Doch der Libanon ist in den Augen vieler Syrer für sie kein sicherer Aufenthaltsort mehr. 

Ramzi al-Youssef hat seit 2009 im Libanon gearbeitet. Zunächst ist er nach der Arbeit immer heimgekehrt - das war vor dem Krieg ganz üblich. Als 2011 die Kämpfe in Syrien begannen, blieb er im Libanon. 

Doch inzwischen lebt auch er wieder in Idlib. "Dazu habe ich mich erstens wegen des Rassismus im Libanon entschieden und zweitens aufgrund der Unsicherheit dort", sagt er der DW. Zudem habe er im Libanon nicht mehr arbeiten dürfen. "Wir hielten uns legal dort auf", betont al-Youssef. "Wir hatten Papiere von den UN, die wir regelmäßig erneuert haben."

Etwa die Hälfte der Syrer im Libanon - rund 815.000 - sind offiziell bei den Vereinten Nationen als Flüchtlinge registriert, dürfen aber als solche nicht arbeiten. "Entweder sind deine Papiere gültig und du darfst dennoch nicht arbeiten", schimpft al-Youssef. "Oder du bist ein Bettler oder Krimineller."

Displaced Syrian man Ramzi al-Youssef waters plants in a camp for displaced near Maarat Misrin in the north of Idlib province
"Es gibt viele rassistische Übergriffe im Libanon", sagt der syrische Flüchtling Ramzi al-Youssef, während er seine Pflanzen in einem Flüchtlingscamp in Maarat Misrin im Norden der syrischen Provinz Idlb wässert. (Foto: Omar Albam/DW)

Die Reise nach Idlib war für die Familie al-Youssef eine Katastrophe. An einem Kontrollpunkt wurden sie von syrischen Soldaten festgenommen. Al-Youssefs Frau und Kinder waren etwa eine Woche lang im Gefängnis, er selbst wurde in eine andere Haftanstalt verlegt und gefoltert.

"Ich hatte mit den Protesten gegen die Regierung nichts zu tun, ich habe zu der Zeit im Libanon gelebt und gearbeitet. Aber man wird trotzdem zur Rechenschaft gezogen. Sie foltern dich, du musst gestehen", erzählt al-Youssef. Dann wurde er in die syrische Armee zwangsrekrutiert. Nach zwei Wochen gelang ihm die Flucht und er schaffte es endlich nach Idlib. 

Cathrin Schaer und Omar Albam

© Deutsche Welle 2024  

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp