Bruch oder Aufbruch?

Irshad Manji, eine in Kanada lebende Muslimin, ruft dazu auf, den Islam zu reformieren. In ihrem Buch "Der Aufbruch" bricht die bekannte Fernsehmoderatorin mit allen Tabus.

Von Stefan Weidner

Die Frau ist mutig. Sie bricht mit allen islamischen Tabus und nebenbei auch mit allen unseren Vorurteilen über den Islam. Und sie tut das als Muslimin, nicht als Frau aus dem Westen vom Katheder eines elfenbeinernen Feminismus herab.

Irshad Manji stammt aus einer islamischen Familie, die aus Uganda nach Kanada geflohen ist. Geboren 1969 in Uganda, wuchs sie in Toronto auf. Die Revolte gegen den strengen Vater und gegen die engstirnige Erziehung in der Islamschule machte sie zu einer muslimischen Feministin. Die Entdeckung der eigenen Homosexualität tat ein Übriges.

Sie hat ihre eigene Fernsehsendung im kanadischen Queer-TV, und irgendwann hatte sie genug von den Schmutz- und Drohbriefen, die sie von ihren vermeintlichen muslimischen Glaubensbrüdern bekam. Sie beschloss zurückzuschlagen. Das Ergebnis ist dieses Buch, das im Original den eindeutigen, für den deutschen Buchmarkt vom Verlag wohl als zu aggressiv erachteten Titel trägt: „The Trouble with Islam: A Wake-Up Call for Honesty and Change.“

Provokante Fragen

Ohne multikulturelle oder relativistische Höflichkeitsfloskeln geht Irshad Manji in die Vollen: Warum ist der Islam frauenfeindlich? Warum ist der Islam antisemitisch, warum diskriminiert er religiöse Minderheiten? Warum verbietet es der Islam, die Religion, den Koran und den Propheten zu hinterfragen? Ist der Koran wirklich der islamischen Weisheit letzter Schluss?

Die meisten Bücher, die man bisher darüber zu lesen bekam, waren entweder billige antiislamische Polemik oder aber verstanden diese Fragen als bloß rhetorisch und bemühten sich zu zeigen, dass der Islam „in Wahrheit“ nicht frauenfeindlich, nicht antisemitisch usw. ist.

"Unser Islam ist antisemitisch und frauenfeindlich"

Irshad Manji verfolgt einen anderen Ansatz. Sie redet ihre muslimischen Glaubensbrüder und -schwestern direkt an und sagt etwa: Es hilft alles nichts, wenn wir uns die koranischen und die islamischen Gesetze genau ansehen, müssen wir leider zugestehen, dass unser Islam eben doch erschreckend antisemitisch und frauenfeindlich ist und Minderheiten oder andersartige Menschen, wie Homosexuelle, zu unterdrücken neigt.

„Wenn meine Analyse falsch ist, könnt ihr dann erklären, warum keine andere Religion so viele terroristische Travestien und Menschenrechtsverletzungen im Namen Gottes begeht? Und könnt ihr das erklären, ohne mit dem Finger auf jemanden zu deuten, außer auf einen Muslim?“

Eine „letzte faire Chance“ will Manji dem Islam noch geben, und um Gesinnungsgenossinnen und -genossen zu sammeln, aber auch, um ein Forum für Diskussionen zu eröffnen, hat sie eine eigene Homepage unter dem programmatischen Titel www.muslim-refusenik.com ins Leben gerufen. Die muss hier auch deshalb genannt werden, weil sie im Buch ärgerlicherweise falsch verzeichnet ist.

Kopierte westliche Kritik

So weit, so gut, so simpel. Mag man als Leser auch versucht sein, das Buch für den großen Befreiungsschlag zu halten, der es zu sein behauptet - Manji macht es sich ein wenig zu einfach. Sie kopiert letztlich nur eine stramm westlich orientierte Islam-Kritik und versieht sie mit dem Label der Kritik einer echten Muslimin am Islam.

Außer dem rhetorischen Gestus mit der ständigen Anrede an imaginierte muslimische Leser kommt kein neues Argument hinzu. Das macht zwar die Argumente nicht schlechter, dürfte jedoch letztlich weniger zu der von Manji eingeklagten Reform des Islam als zu seiner Abschaffung beitragen. Warum sich die Mühe einer Reform machen, wenn es das zu erstrebende Lebensmodell im Westen schon längst gibt? „Ich danke Gott für den Westen“, ist das letzte Kapitel provokant überschrieben.

Mangelnde Kenntnis der islamischen Gesellschaften

Was für Manji die Religion, der Glaube, und die islamischen Traditionen tatsächlich bedeuten, sagt sie leider nicht, und man muss vermuten: letztlich nicht viel. Wenn dies so ist, ist aber die ganz Kritik am Islam nur eine wohlfeile schriftstellerische Fingerübung. Diejenigen Muslime, die sich mit ihrer Religion, aus welchen Gründen auch immer, auf positivere Weise identifizieren, werden von Manjis Rundumschlag bald verprellt.

Das gilt erst recht für die große Mehrheit derjenigen Muslime, die in einem islamischen Umfeld leben und ihre Tradition nicht so einfach abschütteln können, ohne die schlimmsten sozialen Sanktionen zu fürchten - was Manji, die allein für die islamischen Migranten im Westen spricht und die islamische Welt selbst offensichtlich nicht kennt, zu vergessen scheint. Für die Muslime in den islamischen Ländern kann es daher keine Lösung sein, alle Grundlagen des Islam in Bausch und Bogen zu verwerfen, sie müssen sie vielmehr behutsam und gegen beträchtliche gesellschaftliche Widerstände humaner interpretieren. So betrachtet verhärtet Manji eher die Fronten, als dass sie sie aufweicht oder überschreitet.

Viel Stoff zum Diskutieren

Ärgerlich sind überdies zahlreiche Druckfehler (aus Averroes – Ibn Rushd – wird gut amerikanisch „Ibn Rush“) und schlampige Recherche. Über Bagdad, eine original abbassidische Stadtneugründung aus dem Jahr 762, heißt es bei Manji: „Als die Muslime in Bagdad ankamen, besaß die uralte babylonische Stadt bereits eine gebildete jüdische Elite, die als politische und wirtschaftliche Beratergruppe des Kalifen angezapft werden konnte.“

An dieser Stelle dürfte selbst der reformwilligste muslimische Leser das Buch zuklappen. Man könnte es ihm nicht verübeln, aber bedauerlich ist es trotzdem. Denn Manjis Buch bietet wunderbaren Stoff, um über all das zu diskutieren, was man sonst aus Höflichkeit unterschlägt.

Stefan Weidner

© Qantara.de 2004

Irshad Manji. Der Aufbruch. Plädoyer für einen aufgeklärten Islam. Einborn Verlag, Frankfurt 2003. 224 S., geb. 17,90 EUR

Irshad Manjis Website Muslim Refusenik
Irshad Manji beim Eichborn Verlag